Das ist ein klassischer Fehlstart für Schwarz-Gelb: Nach nur 31 Tagen muss Angela Merkel ihr Kabinett umbilden, weil Arbeitsminister Franz Josef Jung über Altlasten stürzt.

Berlin - Das ist ein klassischer Fehlstart für Schwarz-Gelb: Nach nur 31 Tagen muss Angela Merkel ihr Kabinett umbilden, weil Arbeitsminister Franz Josef Jung über Altlasten stürzt. Schon der Koalitionsvertrag galt nicht gerade als Glanzstück.

Wer Gesichter lesen kann, hätte schon vorgestern Bescheid wissen können. Als Franz Josef Jung (CDU) im Parlament nach seiner wenig gelungenen Verteidigungsrede in eigener Sache die Attacken der Opposition aushalten musste und die nur scheinbar stützenden Beiträge der Koalitionsvertreter vernahm, da sprach seine Miene Bände: der Mund zu einem schmalen Strich verengt, die Augen gerötet, die Stirn schweißbedeckt. Er wusste, das war nicht mehr durchzustehen - und die Kanzlerin wusste es auch.

Diese Krise sollte nicht ihre Krise sein. Also war Schnelligkeit gefragt. Jedes Zögern würde gnadenlos als Schwäche ausgelegt. Also wurden schon vorgestern Abend im kleinsten Beraterkreis die Szenarien durchgespielt. Erste Option. Ronald Pofalla würde den Jung-Job übernehmen. Der ehemalige CDU-Generalsekretär hatte bereits die Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales in den Koalitionsverhandlungen für die Union geleitet. Pofalla hatte auch ernsthaft auf den Ministerjob spekuliert. CDU-Chefin Merkel aber wollte den Vertrauten im Kanzleramt haben.

Fiel die Wahl auf Pofalla, müsste ein Hochkaräter ins Kanzleramt nachrücken. Norbert Röttgen wäre dafür ein Kandidat gewesen, der aber ist als Umweltminister doch eben unabkömmlich. Hermann Gröhe wäre denkbar gewesen, dann aber hätte die CDU wieder einen neuen Generalsekretär gebraucht.

Die zweite Option wäre immer noch groß, aber leichter zu handhaben gewesen: die Beförderung von Fraktionschef Volker Kauder (CDU) ins Ministerium. Tauglich wäre er fraglos. Dann aber hätte wiederum die Fraktion einen neuen Kopf gebraucht, und woher soll der denn nun schon wieder kommen?

Gesucht wurde also eine Lösung, die allenfalls eine sehr begrenzte Kettenreaktion verursacht. Da entstand eine neue Frage: Entscheidet ausschließlich Kompetenz? Dann wäre der nordrhein-westfälische Sozialminister Karl-Josef Laumann in der Partei alternativlos gewesen. Der Chef des Arbeitnehmerflügels CDA hätte sich schon nach der Bundestagswahl einen Wechsel nach Berlin gut vorstellen können, aber NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers stellte alle Ampeln auf Rot. Wie zu hören ist, erkundigte sich Merkel auch schon bei Silke Lautenschläger. Die hatte sich als hessische Sozialministerin auf einschlägigem Terrain einen guten Namen gemacht und ist nun ins Umweltressort gewechselt. Sie lehnte ab.

Die Lösung hätte Charme besessen, denn wenn sich für den Hessen Jung ein hessischer Nachfolger fände, bliebe der diffizile Regionalproporz gewahrt. Also begann jetzt die Suche nach ministrablen Hessen. Gibt es da andere Kandidaten? Nun ja. Der Chef der hessischen Landesgruppe in der Bundestagsfraktion heißt Michael Meister. Gleichzeitig ist er Vize-Fraktionschef. Aber als wirklich präsentabel galt der Finanzexperte den Königsmachern dann doch nicht. Ins Profil passte auch Andreas Storm. Der Darmstädter war parlamentarischer Staatssekretär im Wissenschaftsministerium. Der Rentenexperte verpasste den Wiedereinzug in den Bundestag, wurde aber von Merkel und Jung durch die Berufung zum beamteten Sozial-Staatssekretär gerettet. Er hätte die Innenausstattung der Macht im Sozialministerium genau gekannt.

Aber Minister müssen - spätestens im Jahr eins nach dem Aufstieg von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) auch telegen sein. Und das schließlich führte zur erfolgbringenden Spur. Christina Köhler, seit 2002 im Bundestag, hatte sich bislang auf dem Gebiet der Innenpolitik erste Reputation erarbeitet. Sie gilt als kommunikativ - und sie ist Hessin! Da passte also ziemlich viel zusammen - nur nicht das Ressort. Denn auf dem heiklen Feld der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik hatte sich die jugendlich wirkende Politikern bisher nicht umgesehen. Das hätte also ein bisschen viel für sie werden können.

Und dennoch. Der Köhler-Glaube war bei der Kanzlerin inzwischen so verwurzelt, dass sie die Idee so leicht nicht mehr aufgeben wollte - eine neue dynamisch wirkende Frau mit Guttenberg-Potenzial im Kabinett - das ist ganz nach Merkels Geschmack, sehr viel älter war die Kanzlerin selbst nicht, als sie seinerzeit als Familienministerin am Kabinettstisch von Kohl anfing.

Familienministerin? Das war der Durchbruch! Köhler als Familienministerin würde gehen. Schließlich hatte Ursula von der Leyen alle wichtigen Pflöcke für die Union schon in der vergangenen Wahlperiode eingeschlagen. Viel falsch zu machen gibt es nun jedenfalls nicht mehr. Von der Leyen hing ohnehin nicht mehr am Ressort, liebäugelte sie doch während der Koalitionsverhandlungen schon ziemlich unverhohlen mit einem Wechsel ins Gesundheitsressort. Das war an der FDP gescheitert. Nun also konnte Merkel gleichzeitig von der Leyen von der neuen Langeweile im alten Ministerium befreien und eine neue verheißungsvolle Kraft aus Hessen im Kabinett installieren. Solche Kompakt-Lösungen sind ganz nach dem Geschmack der Kanzlerin.