Steffen Mark Schwarz vor der Rensch-Orgel Foto: Eyrich

Steffen Mark Schwarz, Kantor der Martinskirche Ebingen, hat für seine Doktorarbeit zu einem Thema geforscht, das alle Lehrenden betrifft – und einen guten Rat für sie.

Albstadt-Ebingen - Lernen außerhalb der Schule – was bringt’s? Eine ganze Menge, hat Steffen Mark Schwarz, Kantor der Martinskirche, für seine Doktorarbeit mit dem Titel "Außerschulischer Lernort Orgel – Empirische Untersuchung eines Orgelführungsprojektes als Education-Angebot einer Kirchengemeinde in Kooperation mit allgemeinbildenden Schulen" anhand von Lerngängen mit Schülern an die Rensch-Orgel der Martinskirche herausgefunden. Sein Rat an alle Lehrenden lautet deshalb: "Raus aus dem Haus!"

Herr Schwarz, in Ihrer Doktorarbeit ist die Rensch-Orgel der Martinskirche das Beispiel für einen außerschulischen Lernort. Muss es das Erkunden eines Instruments sein, oder gibt es auch andere effektive außerschulische Lernorte?

Viele, etwa eine interaktive Ausstellung, in der Schüler chemische Experimente praktisch durchführen können. Besonders attraktiv ist das natürlich in Bereichen, in denen die Schule selbst nicht so gut ausgestattet ist. Ein Instrument wie die Rensch-Orgel erleben Schüler unserer Region nicht in Konzertsälen, schon gar nicht in der Schule. Das macht den Lerngang so effektvoll: Die Schüler erleben live, was sie im Unterricht nur theoretisch lernen.

Wie wichtig ist dabei das Berühren der Orgel?

Die Untersuchung zeigt, dass besonders Jungen den außerschulischen Lernort attraktiv fanden, was sicher auch mit der Technik der Orgel und der Haptik zusammenhängt: Register ziehen, am Sequenzer weiterschalten und vieles mehr. Mädchen haben sich eher in den Klang vertieft und sich davon begeistern lassen, das auch so beschrieben.

Was hat der Lerngang zur Orgel mit den Jugendlichen gemacht?

An allererster Stelle: Faszination. Ein Erlebnis: Bei manchen Schülern unserer Region ist die kirchliche Sozialisation ausgeprägt. Ein Junge hat mich gebeten, einen einfachen Choral zu spielen, und ich habe das sehr festlich angelegt. Er ist aufgestanden, hat seine Mitschüler mitgerissen in seiner Begeisterung, und das zeigt mir, dass diese Veranlagung, Begeisterung für etwas zu spüren und Gänsehaut zu bekommen, tief im Menschen verankert ist. Es gibt Untersuchungen dazu, was das Singen von Hymnen in Sportstadien mit Menschen macht: Es treibt an, motiviert und stiftet Gemeinschaftsgefühl.

Welche Wirkung hat der Lerngang auf schulische Erfolge?

Obwohl man seit über 100 Jahren weiß, wie wichtig ein Lerngang ist, ist das außerschulische Lernen verhältnismäßig wenig untersucht. Dabei wird das Wissen, das in der Schule oft nur begrenzt und theoretisch vermittelt werden kann, plastisch, erlebbar, konkret, und die Untersuchung zeigt, dass der Wissensmehrwert sogar jenseits des Matthäus-Effekts steigt. Der bedeutet in der Pädagogik – nach Mt 25,29 "Denn wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe" – wer mit Vorkenntnissen kommt, wird durch den außerschulischen Lernort weiter positiv beeinflusst und sein Wissen vermehrt. Die Untersuchung zeigt aber, dass nicht nur jene profitieren, die schon Wissen mitbringen. Das ist es ja eigentlich, was der außerschulische Lernort möchte: deren Wissen vermehren, ihre Begeisterung vorantreiben, aber auch jene erreichen und voranbringen, die noch nicht so weit sind wie andere.

Die Wirkung von Musik auf die Gehirntätigkeit ist erforscht. Bringt es den Schülern auch in Mathe oder Latein etwas, wenn sie sich vorher mit der Königin der Instrumente beschäftigen?

Der Mensch wird nicht intelligenter durch das Hören von Orgelmusik. Salopp gesagt: Aus einem Ackergaul macht man kein Rennpferd. Bei Personen, die selbst ernsthaft Orgel spielen mit allen vier Extremitäten, wird aber natürlich ein synaptisches Feuerwerk im Kopf gezündet.

Was ist Ihre Botschaft an Lehrer, was sie mit den Kindern tun und wie oft sie mit ihnen rausgehen sollten?

Meine Botschaft – nicht nur an Lehrer – ist, wie wichtig es ist, dass schulische und außerschulische Einrichtungen sinnvoll und effektiv kooperieren, und dass sie schauen sollten, wie sie theoretisches Wissen praktisch darstellen und zeigen können. Letztlich geht es hier um eine Ergänzung, um eine weitere Perspektive.

Biografie

Steffen Mark Schwarz, Jahrgang 1977, hat rund acht Jahre für seine Dissertation "Außerschulischer Lernort Orgel – Empirische Untersuchung eines Orgelführungsprojektes als Education-Angebot einer Kirchengemeinde in Kooperation mit allgemeinbildenden Schulen" geforscht und daran gearbeitet – neben seiner Tätigkeit als Kantor der Martinskirche Ebingen, Dozent der Universität Augsburg und seiner regen Konzerttätigkeit im In- und Ausland. Seine Examensarbeit zum Abschluss seines Schulmusik-Studiums hatte er über das Projekt "Ohren auf!" des SWR Symphonieorchesters, unter Aspekten der Emotionsforschung betrachtet, geschrieben und wollte für seine Doktorarbeit thematisch anknüpfen. Im Team der Münsterorganisten in Ulm von 2009 bis 2012 war Schwarz zuständig für Orgelführungen, zeigte und erklärte nicht nur erwachsenen Besuchern des Ulmer Münsters, sondern auch Schülergruppen aus nah und fern die riesige Münsterorgel im Hauptschiff, und wollte sich daher intensiver mit dem Mehrwert solcher Orgelführungen beschäftigen. Für seine Doktorarbeit hat er daher mit Schülergruppen der Region zusammengearbeitet und untersucht, "welchen Effekt eine Orgel-Führung auf die Klausurnote bzw. einen möglichen Leistungszuwachs innerhalb der Unterrichtseinheit hat und inwiefern sich die Probandinnen und Probanden hinsichtlich Musikaffinität, Geschlechterunterschied oder die Ansiedelung der Schulen (...) in ihren Einschätzungen unterscheiden", wie es im Vorwort heißt. Die Studie beinhaltet den bemerkenswerten Versuch, den außerschulischen Lernort Orgel vor lernpsychologischen und neurowissenschaftlichen Hintergründen der Musikdidaktik und allgemeinen Ansätzen der Musikvermittlung wissenschaftlich zu untermauern.