Der mexikanische Drogenkrieg fordert jeden Tag Opfer. Deren Mütter, Schwester und Töchter stellen sich den Kartellen – und blamieren dabei den Staat.
An starken und vor allem mutigen Frauen mangelt es Mexiko nicht. Es gibt sie unter Journalistinnen, Menschenrechtsaktivistinnen und mitunter auch Politikerinnen. Aber die wirklich unerschrockenen Frauen Mexikos sind die Angehörigen der vielen Verschwundenen und Verschleppten. Es sind Mütter, Schwester, Töchter und Tanten von meist jungen Männern, die im Krieg der Kartelle verschwanden – weil sie auf der falschen Seite mitmachten, zur falschen Zeit am falschen Ort waren oder verwechselt wurden. In diesem gespenstischen Krieg der Kartelle in Mexiko braucht es gar keinen Grund, um Menschen zu ermorden oder einfach verschwinden zu lassen.
Sie versuchen sogar, mit Drohnen die Gebäude der Kartelle aufzuspüren
Experten und auch staatliche Institutionen beziffern die Morde in Mexiko auf nahezu 100 am Tag. Zudem verschwanden seit 2007 im Schnitt jeden Tag rund 15 Menschen. Bis Ende 2023 galten 113 820 Mexikanerinnen und vor allem Mexikaner als vermisst, wobei nur 42 Prozent der Fälle seit 2019 registriert wurden, also in der Amtszeit des Linkspräsidenten Andrés Manuel López Obrador. Es deutet nicht nur auf sein Versagen bei der Kriminalitätsbekämpfung hin, sondern auch auf eine dramatisch steigende Zahl von Verbrechen. Aus Sicht der suchenden Mütter ist die Dunkelziffer der Verschleppten und Verschwundenen viel höher. Sie haben voriges Jahr den Staat verklagt, weil sie der Staatsanwaltschaft die Manipulation der Daten vorwerfen.
Aber die suchenden Mütter, zeigen sich nicht nur kämpferisch, sondern vor allem auch furchtlos gegenüber der Mafia. Und sie blamieren den Staat, in dem sie dessen Arbeit machen und selbst nach den Entführten und Verschwundenen suchen. Sie haben sich dafür in nahezu dem ganzen Land organisiert und ziehen seit über fünf Jahren durch Wüste und Wälder, streifen über Brachen, reißen die Erde mit bloßen Händen auf, stechen mit Stangen dort hinein, wo sie Massengräber vernuten. Kaum mehr als einen Meter tief würden die Mörder ihre Opfer vergraben, ist die Erfahrung der Frauen. Es ist eine fürchterliche, aber notwendige Arbeit.
Inzwischen versuchen sie sogar, mit Drohnen aus der Luft die Gebäude der Kartelle aufzuspüren, wo diese ihre Opfer nach der Entführung festhalten und meist auch ermorden. Diese in der Regel verlassenen oder verfallenen Gebäude liegen abgelegen und versteckt.
Die Frauen graben in 26 der 32 mexikanischen Bundesstaaten die Erde um
Nach Schätzungen von Medien gibt es in ganz Mexiko inzwischen 234 dieser weiblichen Suchtrupps. Einige Mitglieder sind mittlerweile landesweit und international bekannt, haben wie Celia Flores aus dem Bundesstaat Sonora Bücher über ihr Leid und ihre Arbeit geschrieben. Andere graben still und unbemerkt nach ihren Vermissten, versuchen, sich mit den Kriminellen zu arrangieren, damit sie ungestört und unbedroht nach ihren Angehörigen suchen dürfen. Es ist ein schmaler Grat. Inzwischen erhalten viele der Frauen Morddrohungen oder werden selbst verschleppt.
Die Frauen graben inzwischen in 26 der 32 mexikanischen Bundesstaaten die Erde um. Das ist vor allem ein Beleg dafür, dass der Krieg der Kartelle nicht mehr nur in Konfliktzonen stattfindet, sondern nahezu das ganze Land erfasst hat. Und der Staat schaut nicht nur bei den Verbrechen weg – oder macht gelegentlich sogar gemeinsame Sache mit den Drogenbanden. Er stellt sich auch bei den Bitten der Frauenkollektive um Spitzhacken, Schaufeln und Schutz oftmals taub.
Zwischen Dezember 2018 und Januar 2023 hat die Nationale Suchkommission CNB landesweit 2710 geheime Gräber mit menschlichen Überresten gezählt. Andere Quellen sprechen von mehr als doppelt so vielen. Zahlen, hinter denen eine dramatische Entmenschlichung und unvorstellbares Leid stecken. Celia Flores, deren beiden Söhne innerhalb von vier Jahren in Sonora im Norden Mexikos spurlos verschwanden, sagt: „Ich möchte meine Kinder wiedersehen, auch wenn von ihnen nur eine Handvoll Knochen übrig ist.“