Viel Zeit vor dem PC, kaum noch auf dem Sportplatz: Was macht die Jugend im "Lockdown"? (Symbolfoto) Foto: © sakkmesterke – stock.adobe.com /Rath

Schule lange zu, Freizeiteinrichtungen zu, kaum noch Kontakte, und auch sonst ist nicht viel los – was macht Corona mit Kindern und Jugendlichen? Und was kann Jugendarbeit tun, um junge Leute durch die schwere Zeit zu begleiten?

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Kreis Freudenstadt - Antworten auf diese und weitere Fragen gibt Magdalena Becht, Kreisjugendreferentin im Landratsamt. Sie hat auch eine simple Erklärung dafür, warum der Landkreis angeblich ein so großes Problem mit Alkoholmissbrauch unter jungen Leuten hat.

Frau Becht, nach rund anderthalb Jahren im Amt – wie fällt Ihr Eindruck von der Jugendarbeit im Kreis Freudenstadt aus?

Wir sind als Landkreis gut ausgestattet mit kompetenten haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Einrichtungen der offenen und verbandlichen Kinder- und Jugendarbeit vor Ort, die gewinnbringende Arbeit zur Förderung einer kinder- und familienfreundlichen und somit zukunftsfähigen sozialen Infrastruktur in den Städten und Gemeinden leisten.

Gibt es Defizite, und falls ja: Wie sehen sie aus?

Es ist noch Luft nach oben, wenn man sich den Herausforderungen des demografischen Wandels stellen will. Damit eine breite Bildung sowie gesellschaftliche Integration der nachwachsenden Generation gewährleistet werden kann, ist es von großer Bedeutung, die Infrastruktur der haupt- und ehrenamtlichen offenen und verbandlichen Kinder- und Jugendarbeit zu erhalten und weiterhin zu stärken. Dadurch können auch Prozesse der Ausgrenzung von benachteiligten jungen Menschen entgegengewirkt werden. Ebenso gilt es, die bestehenden Ehrenamtsstrukturen und Angebote der Jugendmigrations- dienste im Landkreis Freudenstadt zu erhalten, zu stärken und zu unterstützen.

Sie sind die erste Kreisjugendreferentin im Landratsamt Freudenstadt überhaupt. Welche Neuerungen wurden seit Ihrem Amtsantritt angepackt?

Allgemein betrachtet, ist die Schnittstellenfunktion die wesentliche Neuerung, was meine Stelle ausmacht. Als Kreisjugendreferentin stehe ich als neutrale Fachperson für alle Fragen der Kinder- und Jugendarbeit zur Verfügung und leiste Fachberatung und Vernetzungsarbeit, übernehme planerische Aufgaben und stelle vielfältige Serviceangebote zur Verfügung. Die Fachberatung der hauptamtlichen Jugendarbeiter in Fragen zur Konzeptionierung, Umsetzung und Ausgestaltung von Angeboten und vor allem in Einzelfällen als kollegiale Fachberatungsstelle ist für kleine Gemeinden ohne sozialpädagogische Fachkräfte wichtig. Durch die projektorientierte Form von Fachberatung in der Planung und Umsetzung von Maßnahmen erhalten die Gemeinden Unterstützung, etwa für die Etablierung von Formen der Kinder- und Jugendbeteiligung in der Kommune. Eine Neuerung ist die Serviceleistung von Bündelung jugendrelevanter Themen durch den Newsletter, der vierteljährlich erscheint, mit Informationen zu Fachtagen und Fortbildungen, Jugendarbeit in der Coronazeit und mehr. Eine weitere Neuerung ist die Bündelung der Aufgaben bei einer zuständigen Fachkraft, die mit der Berechnung der Personalkostenförderung des Landkreises in der offenen Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit an Schulen sowie die damit verbundenen Kooperationsgespräche zusammenhängen. In Verbindung hierzu entsteht gemeinsam mit den Jugendsozialarbeitern ein Fachkraft-Handbuch mit landkreisweiten Qualitätsstandards, um in den einzelnen Standorten gleichwertige Qualität und Wirkung der Arbeit vorhalten zu können. Im Bereich Jugendbeteiligung soll ein kreisweites nachhaltiges Konzept entstehen. Durch meine Stelle kann nun auch der proaktive Baustein des Landkreisprojektes "HaLT –Hart am Limit" ausgebaut und intensiviert werden und mehr die Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit vor Ort umgesetzt werden. Hier spielt auch die Entwicklung eines Konzepts zur selbstverwalteten Jugendarbeit in Hütten, Buden und Bauwägen eine wichtige Rolle. Im Bereich Vereins- und Verbandsarbeit soll ein Schulungsangebot zusammen mit dem Kreisjugendring entstehen. Ebenso soll eine Handreichung entstehen, um die Vereine und Verbände bei der Umsetzung des "Tätigkeitsausschlusses einschlägig vorbestrafter Personen" mit erweitertem Führungszeugnis für Ehrenamtliche zu unterstützen.

Wohin sollte sich die Jugendarbeit im Landkreis Ihrer Meinung nach entwickeln?

Die Kinder- und Jugendarbeit steht unter einem ständigen Weiterentwicklungsprozess, um den Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen und der gesellschaftlichen Entwicklungen entsprechen zu können. Die Dimensionen der Sozialisation und gesellschaftlichen Integration von jungen Menschen zeigen sich in immer breiteren, vielfältigeren und fachlichen herausfordernden Facetten. Daher müssen sich die Leistungen und Angebote der Kinder- und Jugendarbeit als wichtiges Ergänzungsangebot zur schulischen Bildung auf die Bedarfslage vor Ort anpassen und weiterentwickeln.

War und ist die Jugendarbeit während Corona für die jungen Leute da?

Ja, mehr denn je. Durch diese neue Situation stehen auch die Kinder und Jugendlichen sowie deren Eltern vor neuen Herausforderungen, Schwierigkeiten und Ängsten. Durch die Ideenvielfalt und das tolle Engagement der Fachkräfte vor Ort können im Landkreis auf unterschiedlichen Kanälen weiter Angebote der Jugendarbeit stattfinden, sei es durch Telefongespräche oder Spaziergänge, über soziale Medien wie Instagram und WhatsApp oder durch Briefe und Materialtüten mit Ideen, wie man die Corona-Zeit sinnvoll gestalten kann. Damit haben die Fachkräfte die unerlässliche Beziehung zu "ihren" Kindern und Jugendlichen aufrechterhalten und ihnen eine gewisse Sicherheit in dieser unsicheren Zeit gegeben. Gerade in solchen Zeiten war meine koordinierende und vernetzende Stelle sehr wichtig, um Informationen zu bündeln und an die Jugendarbeiter gefiltert weitergeben zu können.

Was machen die Einschränkungen mit den jungen Leuten?

Die Pandemie stellt eine erkennbare Belastung für Kinder und Jugendliche dar, da es einschneidende Veränderungen für deren Alltag bedeutet hat. Treffen mit Freunden und Freizeitaktivitäten fallen weg. Auch die Einbindung ins Vereinsgeschehen findet kaum noch statt. Dadurch werden auch Sport und Bewegung auf ein absolutes Mindestmaß beschränkt. Durch die langen Schulschließungen mit Onlineunterricht und geschlossene Ausbildungsbetriebe machen sie sich Sorgen um ihre Bildung und Ausbildung. Daraus resultiert eine Verschlechterung der Lebensqualität. Ängste und Sorgen haben deutlich zugenommen, die Bewegung hat abgenommen.

Kann Jugendarbeit da überhaupt helfen?

Das Angebot nach Einzelfallberatung wird gut angenommen und bestätigt den Bedarf an  Beratungs- und Unterstützungsangeboten zur Förderung der sozialen Fürsorge sowie individuellen und sozialen Entwicklung mehr denn je. Jugendhilfe soll dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen und positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen.

Wo sind die jungen Leute überhaupt? Man sieht sie kaum noch.

Viele der Kinder und Jugendliche verbringen tatsächlich sehr viel Zeit zuhause, gerade jüngere, während die Älteren schon auch den öffentlichen Raum nutzen, um etwas Freiraum zu erhalten, welcher für ihre Persönlichkeitsentwicklung eine wichtige Rolle spielt.

Sie sagten, es gehe auch darum, sich um eine gute Ausstattung der Jugendarbeit in den Städten und Gemeinden sowie an Schulen zu kümmern. Wie können Sie da helfen?

Durch einen regelmäßigen Kontakt zu den Kommunen erhebe ich den Ist-Zustand in den Kommunen und die Bedarfslage der Jugendlichen und kann dann, wenn ein politischer Wille besteht, das heißt mich beispielsweise der Gemeinderat und der Bürgermeister beauftragt, in die Konzeptentwicklung gehen. Wenn kein Bedarf besteht, der politische Wille nicht vorhanden ist und keine ausreichende finanziellen und personellen Ressourcen vorhanden sind, kann ich nicht tätig werden.

Wenn der politische Wille und Auftrag vorliegt – wie genau sieht Ihre Aufgabe dann aus?

Ich nehme die fachlichen Anliegen sowie Vorüberlegungen, Erwartungen, Ideen, Sorgen oder Ärgernisse von meinen Adressaten auf und gehe damit in den Entwicklungsprozess der Sozialraumanalyse. Darin geht es um den Ist-Zustand vor Ort, den Bedarf der Jugendlichen, Zielsetzung, strukturelle Voraussetzungen, Umsetzung von Handlungsschritten, Erfolgskontrolle und nachhaltige Qualitätssicherung.

Der Kreis Freudenstadt steht erneut im landesweiten Vergleich schlecht da, was Hinweise auf Alkoholmissbrauch unter Jugendlichen angeht. Die Zahl der jungen Leute, die sich bis zur Besinnungslosigkeit betrinken, ist statistisch vergleichsweise hoch. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Grundsätzlich ist ein starker Rückgang von den alkoholinduzierten Krankenhausaufenthalten in ganz Baden-Württemberg, wie auch im Landkreis Freudenstadt, zu verzeichnen. Wir sind ein sehr kleiner Landkreis mit wenig Jugendlichen im Alterssegment der 13- bis 19-Jährigen im Vergleich zu anderen Landkreisen. Statistisch gesehen fallen die absoluten Zahlen durch eine Hochrechnung auf 10 000 Einwohner in diesem Alterssegment dann stark ins Gewicht bei kleinen Landkreisen. Für uns bedeutet dies im Alterssegment der 13- bis 19-Jährigen mehr als eine Verdopplung der Zahlen, die als Vergleichszahl herangezogen werden, während sich die Vergleichszahlen des Landkreises Ludwigsburg oder Stadtkreises Stuttgart mehr als halbieren. Zudem sagen diese Zahlen nichts darüber aus, ob es sich beispielsweise um einen Mehrfachtäter handelt, was die Zahl für den Kreis Freudenstadt im Jahr 2018 stark erhöht hat.

Wie sieht es derzeit aus?

Aktuell, nach Rücksprache mit der Kinderklinik Freudenstadt zu den Zahlen 2019, sind wieder Rückgänge zum Vorjahr zu verzeichnen. Insgesamt gab es 35 Fälle im Jahr 2019, wovon sechs Fälle aus anderen Landkreisen kamen. Hinzu kommt noch, dass durch die ländliche Struktur eine hohe Zivilcourage und Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung besteht, man nicht wegschaut und die Rettungskräfte schneller gerufen werden. Dies kann aus meiner Sicht auch ein Grund für die statistische Spitzenposition im landesweiten Vergleich erklären.

Was lässt sich gegen Alkoholmissbrauch durch Jugendliche tun?

Es gehört zur Entwicklungsaufgabe im Jugendalter, eigene Erfahrungen zu machen, auch mit dem Konsum von Alkohol. Ich denke, dass es bereits wirkungsvolle Maßnahmen im Landkreis in der Verhaltens- und Verhältnisprävention bei den Jugendlichen direkt gibt. Hier sind auch der Arbeitskreis Jugendschutz mit Präventionsprojekten sowie der Jugendfonds zu nennen, welcher Präventionsprojekte finanziell unterstützt. Jedoch gibt es noch Luft nach oben, und wir müssen auch die Verhältnisprävention in den Blick nehmen und einen mehrdimensionalen Ansatz aufbauen. Das bedeutet, dass auch die Systeme um die Jugendlichen herum wie die Eltern, Freundeskreise mit großem Einfluss auf die Jugendliche, Vereine, Schulen, Festveranstalter, Supermärkte, Gastronomie sowie Städte und Gemeinden, aktiv eine Vorbildfunktion einnehmen. Wenn diese relevanten Gruppen stärker dafür sensibilisiert werden, können sich auch die Glaubens- und Denkmuster in der Gesellschaft verändern. Genau hier setzt der proaktive Baustein des bereits im Landkreis umgesetzten Präventionsprojektes "HaLT" an. In Zukunft soll dieses Projekt ausgebaut, mehr in der jeweiligen Kommune verortet und öffentlichkeitswirksame Arbeit zur Sensibilisierung geleistet werden.

Eins Ihrer erklärten Ziele ist es, dass sich Jugendarbeit um Kinder von Einwandererfamilien kümmert. Lassen sich diese Jugendlichen und deren Familien über Jugendarbeit überhaupt erreichen?

Zum Teil sind die Jugendlichen schon an die Jugendarbeit angebunden, und es besteht eine Kooperation zum Jugendmigrationsdienst vom IB. Diese Kooperation zwischen offener, kommunaler und verbandlicher Jugendarbeit sowie Jugendsozialarbeit an Schulen soll in Zukunft intensiviert werden, um mehr Begegnungsräume durch gemeinsame Aktionen und Angebote zu schaffen.

Was erwarten Sie sich von der kreisweiten Jugendanhörung?

Das Ziel der kreisweiten Jugendkonferenz ist, dass die Jugendlichen mit den Politikern auf Kreisebene ins Gespräch kommen und ihre Anliegen und Wünsche wahrgenommen und gehört werden. Dadurch soll die Identifikation zum Landkreis gestärkt werden. Denn eine gelungene Beteiligung und das Gefühl, eigenes Engagement einbringen zu können, stärkt die Bindung und hält Jugendliche im Landkreis. Die Jugendlichen erhalten durch die Jugendkonferenz die Möglichkeit, eigene Ansichten und Ideen zu Themen öffentlich zu machen, um diese in die Politik und die Zukunftsgestaltung des Landkreises miteinzubringen. Es soll ihnen die Möglichkeit geben, sich aktiv an der Planung und Umsetzung von Maßnahmen zu beteiligen, die die Rahmenbedingungen weiterentwickeln und die Lebensqualität steigert. Denn nachhaltige Kreisentwicklung bedeutet, ökologische, soziale und wirtschaftliche Fragestellungen im Landkreis gemeinsam zu denken und in Einklang zu bringen, um für jetzige und kommende Generationen ein gutes Leben zu ermöglichen.