Großmutter Marion Schmidt und Vater Nico Müller haben Michael in ihrer Mitte und sind genauso froh wie er selbst, dass er Weihnachten im Kreise der Familie erleben darf. Foto: Huber

Wie haben sie diesem Tag entgegengefiebert. Vom Heim springen sie direkt in Papas Arme. Michael feiert mit seiner Familie Weihnachten zuhause und auch Leon wird den Jahreswechsel bei seiner Familie verbringen. Die Inobhutnahmen, gegen die ihre Eltern so sehr kämpften, sind (vorerst) beendet.

Villingen-Schwenningen - Der Siebenjährige ist gleich zu erkennen. Und doch was für ein Unterschied zu dem Kind, das im Dezember in einem Villinger Café sitzt und dem brünetten Jungen, wie ihn der Vater und die Großmutter in den letzten Wochen und Monaten erlebten. Elf Monate lang war er in einem Heim im Schwarzwald-Baar-Kreis untergebracht.

 

"Das war ganz schlimm", sagt Michael. "Da möchte ich nie wieder hin." Über eine Stunde lang hört er aufmerksam dem Gespräch zu, beantwortet die ein oder andere Frage, immer wieder schleicht sich ein Lausbubenlächeln in sein Gesicht.

Unruhiger Schlaf

Nun darf die Redaktion des Schwarzwälder Boten auch seine Familie beim Namen nennen. Aus den bislang namenlosen juristischen Klägern gegen die Entscheidung des Familiengerichts VS werden Michaels Großmutter, Marion Schmidt, und ihr Sohn Nico Müller, der Vater des Jungen. Um die Kinder zu schützen, werden, wie bisher, keine Klarnamen verwendet.

Nicht in einem Café, aber in der Villinger Innenstadt wartet an einem anderen Dezembertag Sertac Gülenc mit seinem Sohn Leon. Gülenc hatte schon längst seine Geschichte und auch seinen eigenen Namen öffentlich gemacht und in den sozialen Netzwerken ein starkes Echo erzielt. Wie Michael kann auch Leon es noch immer nicht glauben, dass er wieder daheim ist.

Nachts, erzählt der Vater des Achtjährigen, werde der Junge immer wieder wach, um dann beruhigt wieder einzuschlafen, dass er wieder zurück bei der Familie sei. "Er hatte großes Heimweh", erzählt der Vater. "Ich möchte nie mehr wieder dahin", meint der Bub und schließt seinen Vater so sehr in die Arme, als ob er ihn niemals wieder loslassen wollte.

Gericht gibt Rechte zurück

Wie bei Sertac Gülenc, Leons Vater, verlief auch die Trennung von Nico Müller und seiner Ex-Partnerin nicht ohne schwere Auseinandersetzungen. Und auch hier ist der Vater zunächst der aktive Part, der alles unternimmt, um seinen Sohn zurückzubekommen, was aus diversen Schreiben hervorgeht.

Elf Monate lang kämpfen der Vater und die Großmutter von Michael gegen die ihrer Ansicht nach nicht akzeptable Entscheidung des Familiengerichts, den Entzug des Sorgerechts und Aufenthaltsbestimmungsrechts und damit gegen die behördlich verfügte Inobhutnahme. Letztendlich mit Erfolg. Ende Oktober holt der Vater seinen Buben ab, der Junge steht erst nur fassungslos da: "Ich konnte das gar nicht glauben. Dann habe ich mich so arg gefreut und bin dem Papa in die Arme gesprungen", erinnert sich Michael an jenen Sonntag, an dem sich (fast) alles änderte. "Endlich komme ich wieder zu meinem Papa."

Doch aufatmen konnte die Familie erst einen Monat später mit der Rechtmäßigkeit des richterlichen Beschlusses. "Über unseren Rechtsanwalt haben wir von dem Entscheid erfahren." Vom Jugendamt dagegen, so Marion Schmidt, habe sie bis jetzt noch keine Reaktion erhalten. Während sie und ihr Sohn Nico Müller erzählen, strahlt der Siebenjährige, hört aufmerksam zu. Doch auch immer wieder legt er die Stirn in Falten, wird nachdenklich, vergräbt das Gesicht in seine Hände, wenn das Gespräch auf die Zeit im Heim kommt.

Wenige Wochen später fällt auch Leon seinem Vater um den Hals, es ist auch ein Sonntag, der Tag, an dem es für ihn wieder nach Hause und zur Familie geht. Und wie Michaels Vater bekräftigt auch Sertac Gülenc, dass sich die Streit-Wogen um die Ex-Partner geglättet hätten, zum Wohl des Kindes.

Fremdbetreuung ungeeignet

"Der Grund für die Herausnahme ist entfallen. Den Jungen weiterhin aus der Familie zu nehmen, das halte ich für falsch." Als Michael Tritschler, Rechtsanwalt aus VS, im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten seinen juristischen Einwand formulierte, war noch nicht klar, ob er das Gericht in VS würde überzeugen können. Immerhin: Mit seiner Einschätzung stand der Anwalt nicht alleine da. Bereits im Januar 2021 wurde aus dem Schreiben einer Psychologin deutlich, dass Michael ein zuverlässiges, ruhiges Zuhause benötige, das der Vater biete. Aus verschiedenen Schriftstücken geht zudem hervor, dass der Junge eigentlich eine gute Entwicklung durchlebt habe, eine Zäsur habe es erst wieder im Oktober 2021 gegeben und damit in jenem Monat, in dem das Gericht den Eltern unisono das Sorge- und Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen habe.

Dann die Wende bald ein Jahr später, richterlich verfügt: Die Rechte seien zurückzugeben und die Inobhutnahme zu beenden. Eine Fremdbetreuung, heißt es in der gerichtlichen Begründung, sei derzeit nicht geeignet, "das seelische Wohl des Jungen nachhaltig zu verbessern".

Widersprüche im Verfahren

Auch im Fall Sertac Gülenc war das Oberlandesgericht, Standort Freiburg, im juristischen Spiel und gab die Schale zur Abwägung wieder an das Familiengericht in VS zurück. Nun muss es eine weitere Verhandlung geben, diese könnte durchaus bereits im Januar stattfinden, um ergänzende Schriftstücke der Familie und damit neue Aspekte einfließen zu lassen. Zudem, erläutert Hakan Taskin, einer der beiden Anwälte der Familie Gülenc, habe es widersprüchliche Aussagen von Verfahrens-Involvierten gegeben, "die wir auch belegen können". Ein Attest, das die Kindswohlgefährdung belegt hätte, "hat es auch nie gegeben", fügt Taskin hinzu. Die Heimunterbringung von Leon ("ohnehin das wirklich allerletzte Mittel") sei unverhältnismäßig gewesen, argumentiert er wie sein VS-Kollege Tritschler. Mehrfach habe der Junge darum gebeten, "ihn da endlich da rauszuholen", so Taskin, "und das kann ich anhand von mehreren Sprachnachrichten auch bezeugen".

Dass nachverhandelt wird, bestätigt auch David Böhm, Richter und Sprecher am Amtsgericht VS. Mit einem offenen Ausgang, denn nach einem halben Jahr könnten sich ganz andere Entwicklungen ablesen lassen, meinte er mit Blick auf den ersten Beschluss des Gerichtes im Sommer 2021. Erst nach dieser Verhandlung können die Eltern dann Beschwerde beim OLG einlegen, falls sie nicht einverstanden sein sollten. Für die Offenburger Familienrechtlerin Christine Hass sind vor Gericht erfolgreiche Eltern eher die Minderheit. "Leider werden die Aussagen von Kindern als nicht so relevant empfunden", kritisiert sie. Oft verhielten sich Richter sehr "Jugendamt affin", so ihre Erfahrungen. Wenn Sorge- und Aufenthaltsbestimmungsrecht dann wieder zurückgegeben würden, "dann ohnehin nur unter Auflagen".

Wieder in der alten Schule

Mit dem Heim war zunächst auch ein anderer Wechsel für die beiden Buben verbunden: Schweren Herzens verließ Michael seine altes Klassenzimmer und damit seine Freunde, er wurde in eine Schule nahe des Heims gebracht. Mit dem Ergebnis, "dass sich die Leistungen verschlechtert haben", berichtet der Vater. Nun ist er wieder zurück in seinem kleinen Schwarzwald-Städtchen und besucht dort die Schule. Sein erster Tag? "War gut." Die Mitschüler hätten gefragt, was er hier mache: "Da hab’ ich gesagt, ich bin wieder zurück", berichtet der Zweitklässler. "Ich habe mich so gefreut, die alle wieder zu sehen", sprudelt es aus ihm nur so heraus. "Er blüht wieder richtig auf", beobachten Schmidt und Müller. Und Leon? Der besucht eine andere Schule in Villingen, spielt auch wieder Fußball. "Ich bin Stürmer", ruft er. Nur manchmal, erzählt seine Familie, "wird er unruhig und ängstlich, wenn es an der Türe klingelt".