3617 Jungen und Mädchen sind 2012 im Südwesten von Jugendämtern aus ihrer Familie genommen worden - so viele wie noch nie zuvor. Foto: dpa

3617 Jungen und Mädchen sind 2012 im Südwesten von Jugendämtern aus ihrer Familie genommen worden - so viele wie noch nie zuvor.

Stuttgart - 3617 Jungen und Mädchen sind 2012 im Südwesten von Jugendämtern aus ihrer Familie genommen worden - so viele wie noch nie zuvor. Hauptgrund dafür sei eine Überforderung der Eltern, gefolgt von Beziehungsproblemen, Anzeichen von Misshandlung und Vernachlässigung, heißt es beim Statistischen Landesamt. „Häufig sind es gleich mehrere Anlässe, die zu einer Inobhutnahme führen.“ Jugendämter nehmen Kinder und Jugendliche vorübergehend in Obhut, wenn sie aufgrund von Gewalt, Verwahrlosung, Unterernährung oder Sucht in Gefahr sind.

2012 waren demnach 1942 Mädchen und 1675 Jungen betroffen, etwa ein Fünftel wurde nach vorherigem Ausreißen aufgegriffen. Die Mehrzahl der Kinder und Jugendlichen - 59 Prozent - waren zwischen 14 und 18 Jahre alt. Auch Minderjährige, die ohne erwachsene Begleiter nach Deutschland kommen, werden in Schutz genommen. Dass die Anzahl der Inobhutnahmen auf einen neuen Rekordwert gestiegen ist, habe aber nicht nur negative Ursachen, sagte Jürgen Strohmaier vom Landesjugendamt in Baden-Württemberg. „Der Kinderschutz ist ein gesellschaftsrelevantes Thema geworden und wird in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen.“

"Menschen sind aufmerksamer geworden"

So werde in der Nachbarschaft, an Bahnhöfen, in Supermärkten oder auch Vereinen schlicht besser hingesehen. „Die Menschen sind aufmerksamer geworden. Das ist erstmal ein positives Anzeichen in einer Zivilgesellschaft“, sagte Strohmaier, der als Referatsleiter für den Bereich Hilfe zur Erziehung arbeitet. „Es kann zum Beispiel sein, dass ein Handballtrainer aus dem Kinder- und Jugendbereich mit dem Jugendamt Kontakt aufnimmt und sich Rat holt oder etwas meldet - das wäre bisher nicht so selbstverständlich gewesen.“

Denn auch die Fachwelt sei nach einer Präzisierung des Bundeskinderschutzgesetzes sensibilisierter - und besser vernetzt. „Das hat auch mit spektakulären Fällen zu tun, die wir in den vergangenen Jahren hatten“, sagte Strohmaier. So werde inzwischen systematisch mit Arztpraxen, Schulen, Kindertagesstätten oder Hebammen zusammengearbeitet. „Dadurch sind Netzwerke und Kooperationen entstanden, die es ermöglichen, dass möglichst wenig Kinder durch Gewalt oder Missbrauch, Vernachlässigung, Misshandlung zu Schaden kommen.“

Überforderung bei manchen Eltern habe nicht nur milieuspezifische Ursachen, sagte Strohmaier. „Natürlich ist der Zusammenhang zu Armut, prekären Arbeitsverhältnissen, Arbeitslosigkeit oder auch Sucht gegeben, das ist klar.“ Allerdings sei es zu einseitig, anzunehmen, dass nur Kinder von armen oder suchtkranken Familien betroffen seien. „Wir stellen grundsätzlich in allen Familienformen einen unglaublich hohen Anspruch der Familien an sich selbst fest. An denen scheitern aber viele - auch solche, die von der finanziellen und materiellen Ausstattung her gut dastehen.“