In Stuttgart findet der Wettbewerb „Jugend musiziert“ statt. Foto: dpa

„Jugend musiziert“ in Stuttgart: Gespräch mit dem Generalsekretär des Deutschen Musikrats.

Stuttgart – Der Deutsche Musikrat (DMR) ist der Träger des Wettbewerbs „Jugend musiziert“, dessen Bundesauswahl an diesem Freitag in Stuttgart beginnt. Mit DMR-Generalsekretär Christian Höppner sprachen wir über musikalische Bildung, Spitze und Breite.

Herr Höppner, der Deutsche Musikrat ist der Träger des Wettbewerbs „Jugend musiziert“. Was macht der Deutsche Musikrat außerdem?
Wir engagieren uns dafür, dass jeder Bürger die Möglichkeit hat, Musik in all ihrer Breite zu erleben. Dabei betätigen wir uns auf zwei Ebenen: Erstens organisieren und finanzieren wir etwa mit dem Wettbewerb „Jugend musiziert“ und mit dem Bundesjugendorchester konkrete Projekte, bei denen wir Jugendliche fördern, und zweitens leisten wir musikpolitische Arbeit. Für sie ist vor allem der Generalsekretär in Berlin zuständig – mit dem Ziel einer Verbesserung der Rahmenbedingungen bei der Vermittlung und Ausübung von Musik in Kindergärten, Schulen, Musikschulen.

Sie sind seit 2004 Generalsekretär des Deutschen Musikrats, also ist dies Ihre Aufgabe. Wo setzen Sie Schwerpunkte?
Wir sind keine Museumswächter. Wir schützen die Vielfalt des kulturelle Erbes und entwickeln es gleichzeitig weiter. Wir fördern zeitgenössische Ausdrucksformen, zu denen auch die populäre Musik zählt, ebenso wie den Austausch mit den Kulturen anderer Nationen, die für unser Land eine große Bereicherung sind. Eine Frucht dieser Arbeit ist zum Beispiel, dass in diesem Jahr bei „Jugend musiziert“ erstmals auch Spieler der türkischen Langhalslaute dabei sind.

Brauchen junge Musiker Wettbewerbe, und braucht unsere Gesellschaft überhaupt so viele junge Musiker?
Zu Letzterem: Wir haben immer noch viel zu wenig Musiker! Und zu „Jugend musiziert“: In diesem Wettbewerb geht es nicht nur um Leistungsvergleiche, sondern auch um Begegnung und um Begeisterung. „Jugend musiziert“ ist nicht nur eine Maßnahme zur Rekrutierung von Orchestermusikern, sondern die jungen Menschen sollen lernen, ihre Ressourcen auszuschöpfen und sich anderen über Musik mitzuteilen.

Was ist bei „Jugend musiziert“ anders als bei anderen Wettbewerben?
Nirgends sonst gibt es ein so breites Spektrum an instrumentalen Wertungskategorien, das noch dazu über die Jahre hinweg kontinuierlich gewachsen ist. So haben wir beispielsweise seit einigen Jahren das DJing dabei – wir mussten lange darum kämpfen, dass diese Kategorie als ernsthafte musikalische Ausdrucksform anerkannt wurde. Ein zweites Alleinstellungsmerkmal von „Jugend musiziert“ ist, dass dieser Wettbewerb von der Begegnung bis zur Eliteförderung alles abdeckt. Fast alle anderen Wettbewerbe sind Spartenwettbewerbe. „Jugend musiziert“ hingegen ist kein Pferderennen, sondern zuallererst eine Fördermaßnahme. Das wird von überehrgeizigen Eltern allerdings manchmal anders gesehen.

 

"Die Sehnsucht nach kreativer Tätigkeit nimmt zu"

Sorgt so ein Wettbewerb nicht trotzdem dafür, dass auch das Musizieren der Leistungsgesellschaft eingepasst wird?
Natürlich haben wir damit zu kämpfen, dass in einer Zeit zunehmender Ökonomisierung aller Bereiche auch die Musik als zweckgebunden betrachtet wird. Und diese Tendenz nimmt weiter zu. Wenn man sich einfach nur an Schönem erfreut, dann wird das oft als gestrig und romantisch belächelt. Aber wir brauchen diese zweckfreien Bereiche des Spiels. Und die Sehnsucht nach kreativer Tätigkeit nimmt zu.

Wie stellt sich die Situation des musizierenden Nachwuchses in Zeiten des achtjährigen Gymnasiums für Sie dar – in der Spitze und in der Breite?
Wir bemerken heute eine dramatische Diskrepanz zwischen dem Bedürfnis nach künstlerischer Betätigung und den Möglichkeiten, dies zu tun. Im G-8-Gymnasium müsste man die Lehrpläne unbedingt inhaltlich und mengenmäßig anpassen. Gesamtgesellschaftlich gesehen findet zudem eine totale Verschulung statt, und es gibt immer weniger echte kreative Freiräume. In Teilen Deutschlands findet mittlerweile außerdem ein großes Sterben der Laienmusik statt, das sich auch auf das Interesse für Musikberufe auswirkt. Ähnliche Folgen hat auch der heute schon eklatante Fachlehrermangel im Musikbereich.

Was könnte man tun, um die Qualifikation deutscher Bewerber an Musikhochschulen zu erhöhen?
Ich würde hier unbedingt zu einem differenzierten Blick raten. Es gibt tatsächlich Hochschulklassen, in denen nur Koreanisch gesprochen wird, es gibt aber auch Rektoren, die hier erfolgreich gegensteuern. Ich denke, dass eine gute Breitenförderung entscheidend ist. Deshalb ist es ein gesellschaftspolitischer Skandal, wenn deutschlandweit gut 100. 000 Schüler bei kommunalen Musikschulen nur auf Wartelisten stehen: Durch immer mehr Kürzungen verweigert die Politik den Schülern eine qualifizierte Ausbildung. Und für die Schule gilt: Musik muss wieder Hauptfach werden. Viele Politiker betrachten, auch bedingt durch die Pisa-Studie, die kulturelle Bildung immer noch als bloßen Wurmfortsatz.

Für die musikalische Bildung sind heute oft die Kulturinstitutionen zuständig: Musiker unterrichten und geben Workshops. Ist das eine Lösung?
Einerseits ist das gut, denn die mit öffentlichen Mitteln geförderten Institutionen sollen unbedingt ihrer gesellschaftlichen Mitverantwortung gerecht werden. Teilweise ist ihre Tätigkeit aber auch absurd. Die Vermittlungskompetenz eines ausgebildeten Schulmusikers kann ein Künstler nicht haben. Die Rückkehr zum orgelschlagenden Dorfschullehrer kann das Ziel nicht sein. Viel entscheidender sind die Qualität und die Kontinuität an Orten der kulturellen Erstbegegnungen in Kindergarten und Schule. Leider neigt die Politik heute eher zu einer Eventisierung der kulturellen Bildung. Events können aber höchstens Impulse setzen.