Er sorgt immer wieder für Kontroversen: Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer. Foto: Marijan Murat/dpa/Marijan Murat

Boris Palmer sucht mit voller Absicht die maximale Provokation. Verletzungen nimmt er dabei in Kauf. Damit hat er keinen Platz in der Grünen-Partei, das hat er nun auch selbst eingesehen. Richtig so, kommentiert Tobias Peter.

Es gibt Grundwerte, die Grüne einen. Dazu gehört neben der Ökologie auch Antirassismus. Die Grünen sind schon oft als „Gutmenschen“ verspottet worden: ein Wort, das ein Lob sein sollte und kein Schimpfwort. Es beschreibt eine Haltung, die davon ausgeht, dass man Mitmenschen möglichst nicht verletzen sollte – schon gar nicht aus Freude an der Provokation. Das gilt erst recht, wenn es sich um Mitglieder von Minderheiten handelt.

 

Boris Palmer ist kein Rassist. Aber der Tübinger Oberbürgermeister benutzt ein rassistisches Wort. Sein freigiebiger Umgang mit dem N-Wort und seine Argumentation, es komme immer auf den Kontext an, in dem es gesagt werde, zeigen vor allem eins: Palmer sind die Gefühle derer, die sich durch sein Verhalten verletzt fühlen, egal. Das ist rücksichtslos.

Der Unterschied zu Astrid Lindgren

Keine Frage, auch die Schriftstellerin Astrid Lindgren hat das Wort in ihren Pippi-Langstrumpf-Erzählungen verwendet. Es lässt sich darüber streiten, ob das N-Wort überall, wo es geschrieben steht, gestrichen werden sollte – oder ob es besser ist, es stehenzulassen und auch Kindern zu erklären, warum man es nicht mehr benutzt. Doch anders als Lindgren lebt Palmer heute. Die Gesellschaft hat sich erheblich weiterentwickelt und hat, zu großen Teilen, verstanden: Darüber, ob ein solches Wort benutzt werden darf, sollten diejenigen entscheiden, die es betrifft.

Als Palmer nun vor einer Migrationskonferenz in Frankfurt mit „Nazis raus“-Rufen konfrontiert wurde, verstieg er sich zu einem unsäglichen Vergleich: Das sei „nichts anderes als der Judenstern“, hielt er den Protestierenden entgegen. Wenn man ein falsches Wort sage, werde man zum Nazi erklärt.

Ob einer, der so gern austeilt wie Palmer, sich zum Opfer stilisieren sollte, sei dahingestellt. Zum konkreten Vergleich lässt sich nur unterstreichen, was Palmers bisheriger Anwalt Rezzo Schlauch gesagt hat: Nichts rechtfertigt eine historische Parallele zum Judenstern als Symbol der Verfolgung in Nazi-Deutschland herzustellen. Palmer sollte unmissverständlich um Entschuldigung bitten. Seine Erklärung, er wolle eine Auszeit nehmen und sich professionelle Hilfe holen, reicht nicht aus. Er wirkt noch immer, als suche er die Schuld stark bei anderen.

Es gibt unterschiedliche Arten zu provozieren. Ein Schauspieler, der auf der Bühne laut losbrüllt und sich plötzlich die Hose runterzieht, soll damit, nach dem Wunsch des Regisseurs, womöglich das Publikum auf einen Missstand aufmerksam machen und zum Nachdenken bringen. Es liegt nahe, dass Palmer – der sich als sein eigener Regisseur stets selbst inszeniert – sein eigenes Auftreten ein Stück weit so sieht. Einem Exhibitionisten kommt es dagegen darauf an zu erschrecken. Ihm macht das Spaß – komme, was wolle. Diesen erbärmlichen Eindruck hinterlässt Palmer, bei allem Respekt, mit seinem Verhalten in der öffentlichen Debatte.

Parteiausschlussverfahren endete mit Kompromiss

Drei Mal ist Palmer zum Oberbürgermeister in Tübingen gewählt worden. Wollen die Grünen zu einer Volkspartei werden, brauchen sie eigentlich Politiker wie ihn, die in den Kommunen zeigen, dass es mit dem Klimaschutz funktioniert. Doch nun hat der egozentrische Daueraußenseiter in der Partei sich endgültig ins Abseits gestellt.

Gegen Palmer ist wegen seiner Entgleisungen schon einmal ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet worden. Es endete mit dem Kompromiss, dass er seine Parteimitgliedschaft bis Ende 2023 ruhen lässt. Palmer hatte viele Chancen – eigentlich ist er aber für die Grünen schon lange nicht mehr tragbar. Es ist gut, dass er nun von selbst seinen Austritt bei den Grünen erklärt hat. Sonst hätten sie sich trennen müssen.