Mit ihrer Trampolin-Nummer haben die Errani-Brüder den Goldenen Clown beim Zirkusfestival in Monte Carlo gewonnen Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Mit einem herausragenden Programm feiert der Weltweihnachtscircus sein Silberjubiläum auf dem Cannstatter Wasen. Mit der Raubtiernummer aber macht sich Produzent Henk van der Meijden nicht nur Freunde. Wir waren bei der Vorpremiere.

Stuttgart - 80 Jahre soll er sein? Dem Herrn mit dem schlohweißen Haar und den wachen Augen sieht man sein Alter nicht an. Vor einem Vierteljahrhundert brachte der gelernte Journalist Henk van der Meijden den Weltweihnachtscircus nach Stuttgart – und damit das Träumen und Staunen.

Zum Silberjubiläum des mit 100 Artistinnen und Artisten längst größten Zirkusfestivals in Deutschland könnte sein Glück perfekt sein, gäbe es nicht den wachsenden Protest gegen Löwen und Tiger im Zirkus und das klare Nein dazu aus dem Gemeinderat. Eine Zeitung in Paris, erzählt er mit seinem sympathischen holländischen Akzent, habe geschrieben, in Stuttgart fänden „die Olympischen Spiele des Zirkus“ statt. Und was das Gute daran sei, sagt er strahlend: „Wir haben nur Goldmedaillengewinner!“

Unentwegt schleudern Menschen durch die Luft

Selbst für ein Publikum, das seit Jahren mit preisgekrönten Darbietungen verwöhnt wird, ist das Jubiläum auf dem Wasen reich an Wow-Momenten. Die turbulente Geburtstagsfeier ist eine Hommage an die Tradition. Mit raffinierten Lichtinszenierungen und tänzerischen Beiträgen sind die klassischen Elemente aber noch weiter verfeinert.

Nervenkitzel, Melancholie, Witz auf hohem Niveau, Ästhetik und poetische Reminiszenzen erwarten das zirkusverliebte Stuttgart. Unentwegt schleudern Menschen durch die Luft. Sieben Kolumbianer bauen eine den Atem raubende Hochseil-Pyramide. Zehn Chinesinnen fahren gemeinsam auf nur einem Fahrrad – so also spart man im bevölkerungsreichsten Land der Welt Platz. Die dreieinhalb Stunden (inklusive 25 Minuten Pause) werden zum Gemeinschaftserlebnis, das gerade an Weihnachten so gut ankommt. Es sind nicht allein die Artisten und Tiere, die verzücken. Familien und Freunde setzen sich beim Geruch von Sägemehl so gern zusammen, weil die Seit an Seit empfangenen Unvorstellbarkeiten wohltuend vereinen.

Der neue Moderator Björn Gehrmann aus Oldenburg, der sonst Militär- und Blasmusikparaden ansagt, kündigt gleich zu Beginn die Löwen- und Tigernummer von Martin Lacey als „artgerecht“ an, die erneut für hitzige Debatten sorgen wird – kürzlich war er bereits mit dem Zirkus Krone hier. Wie Schmusetiere wirken die 26 Raubkatzen, würde der Herr des Käfigs nicht einen Löwen furchterregend brüllen lassen, was freilich nur Show ist. Für den Zirkusdirektor sind Laceys Lieblinge keine Wildtiere. „Sie sind mit Fläschchen aufgezogen worden“, sagt van der Meijden. Würden alle Deutschen so gut zu ihren Hunden und Katzen sein wie der Krone-Mann zu seinen Raubtieren, es wäre mit der Tierliebe weitaus besser bestellt in diesem Land, meint er.

Tochter Katerina vertritt ihre verletzte Mutter

Mehr als alle Löwen zusammen begeistert der junge Russe Alexander Batuev – und das ganz allein. Dieser ist nicht nur ein Mensch, er hat auch was Schlangenhaftes – so sehr kann er sich verbiegen. Der 27-jährige Alan Sulc, ein Weltstar der Jongleure, kehrt auf den Wasen zurück, wo er mit 13 seine Karriere begann. Wie groß die Gefahren für Artisten sind, zeigte sich im Sommer beim russischen Flugpaar Desire of Flight in Luzern. Malvina Abakarova stürzte aus fünf Metern und verletzte sich schwer. Ihrer Tochter Katerina ist es gelungen, an der Seite von Valerij Sychev die Rolle der Mutter so gekonnt zu übernehmen, als mache sie dies ewig.

Ohne Clownmaske zieht der mimisch und motorisch überragende Russe Andrew Jigalow sein Publikum in den Bann. Sein Markenzeichen: das Peace-Zeichen seiner Finger. Weitere Höhepunkte sind die Pferde- und Kamel-Nummer des Circus Knie mit der sechsjährigen Chanel Marie, die Chaos-Musiktruppe Släpstick, die mit Skiern steppt, die Trampolinsprüge der Errani-Brüder, die coolen Sprungbrett-Artisten vom Duo Sons, die Saltos des Staatszirkus der Mongolei, Kraftmenschen mit „Silver Power“ und Vertikalseilspiele des Duos Black & White.

Van der Meijden will nicht gegen die Stadt Stuttgart klagen

Die zweite Hälfe erweist sich als noch stärker – es ist die Hälfte, in der auf dem dann ausgelegten Holzboden keine Tiere mehr auftreten. Wenn das Wildtierverbot gilt, dürfte der Weltweihnachtscircus nicht an Attraktivität verlieren. Der 80-jährige van der Meijden bereitet gerade das Programm für 2020 vor. Für Löwe, Elefanten und Co. will er nicht gegen die Stadt klagen, sagt er.

Stuttgart ist Weltklasse nicht allein bei den Autos. Dankeschön, Herr van der Meijden, dafür! Schade wäre es, die Jubiläumsshow auf den Streit um die Wildtiere zu reduzieren. Dafür ist der Zauber zu groß. Was so sehr fesselt, ist pure Magie.

Die Vorstellungen finden bis zum 7. Januar statt. Karten können unter der Telefonnummer 07 11 / 6 74 47 70 bestellt werden.