Der VfB steht mal wieder ohne Trainer da. Das ist das Ergebnis eines Konflikts, der den Verein und Jos Luhukay entzweit hatte. Das Besondere dabei ist: Wie schnell es diesmal ging.
Stuttgart - Wolfgang Dietrich hat nichts gewusst. Rein gar nichts. Nicht einmal geahnt hat er es an diesem Vormittag. Doch als der Präsidentschaftskandidat des VfB Stuttgart seine Gesprächsrunde mit Medienvertretern im Cannstatter Kursaal beendet, tritt Oliver Schraft mit ernster Miene auf ihn zu: „Trainer Jos Luhukay ist soeben zurückgetreten“, sagt der Kommunikationsdirektor. Ungläubigkeit spiegelt sich in diesem Moment in Dietrichs Gesicht, Unfassbarkeit bei seinem Gegenüber Schraft, der – mit einer Unterbrechung – schon viele Jahre für den VfB tätig ist und die Unruhe nur zu gut kennt, die den Verein für Bewegungsspiele von 1893 seit Langem umtreibt.
Auf und ab ging es in der jüngeren Vergangenheit. Ständig. Wie im Zeitraffer war das auch in den ersten vier Spieltagen der zweiten Liga zu erleben. Siege und Niederlagen. Aufbruchstimmung und Niedergeschlagenheit. Neustart und drohendes Chaos. Der schwäbische Traditionsverein hat sich den Ruf erarbeitet, alles zu können – nur nicht den Erfolg nachhaltig zu gestalten. So gibt es unter den Fans viele Anhänger der These, dass der Niedergang ihres Lieblingsclubs mit dem überraschenden Titelgewinn 2007 begonnen hat. Damals verfügte der VfB über eine Mannschaft, in die sich halb Fußballdeutschland verliebt hatte. Jetzt verfügt der VfB jedoch nur noch über eine Mannschaft, die gegen Heidenheim verliert und auf dem neunten Rang der zweiten Liga liegt.
Die Mercedesstraße scheint keine gute Adresse zu sein
Weit weg von den eigenen Ansprüchen, aber ganz nah dran an weiteren emotionalen Tiefpunkten nach dem Bundesliga-Abstieg. Dazu braucht man nur auf die Zweitligatabelle zu schauen – und man sieht am Ende eine Reihe von einst ruhmreichen Clubs. Der 1. FC Kaiserslautern, der 1. FC Nürnberg, Arminia Bielefeld und der Karlsruher SC. Denkt man sich noch 1860 München dazu, dann sind die Dauer-Sanierungsfälle komplett. So wollen die Stuttgarter jedoch nicht enden. Weshalb nicht nur Dietrich auf seiner Wahlkampftour immer wieder eines begegnet: Die Sehnsucht nach Kontinuität.
Doch der VfB hat allein in den vergangenen zwölf Monaten eine bittere Realität zu bieten: ein Präsident, ein Sportvorstand sowie drei Aufsichtsräte und jetzt auch drei Trainer mussten gehen, sind gegangen oder wurden schlichtweg verschlissen. Ganz gleich, welche dieser drei Zugangsvarianten man wählt, eines ist sicher: Die Mercedesstraße in Stuttgart scheint keine gute Adresse mehr zu sein. Auch wenn der neue Sportvorstand Jan Schindelmeiser sagt: „Eigentlich haben wir in diesem Club und in der Mannschaft alles, um erfolgreich zu sein.“
Luhukay war die neue Frontfigur
Doch mit der Nachwuchsabteilung geht es abwärts, bei den Profis ist eine Trendwende zum Besseren nicht erkennbar und der ganze Verein steckt in einer Angstspirale. Kein Mut zum Risiko auf dem Platz und kein Mut zu Entscheidungen auf der Führungsetage – das ist kennzeichnend. Mit Jos Luhukays früher Verpflichtung im Mai sollte jedoch Entschlossenheit demonstriert werden. Er war die neue Frontfigur, die nach dem Abstieg das Leitmotto verkörpern sollte: Wir schaffen das. Zupackend und keineswegs zögerlich. So wurde der Niederländer im Juni auch präsentiert. Voller Stolz. Angeblich hatte man ihn vom VfB überzeugen können, bevor er bei Werder Bremen unterschreibt.
Luhukay als Missverständnis
Er, der kleine General und große Aufstiegsexperte, sollte nun dem VfB den Weg nach oben weisen. Wenig später hat sich das Engagement des 53-jährigen Fußballlehrers als Missverständnis entpuppt. Luhukay wollte mehr Machtbefugnisse, als ihm der VfB zugestand. Im Grunde wollte er im sportlichen Bereich das alleinige Sagen haben.
Ein Modell Felix Magath also. Doch der Verein hat ihm mit Schindelmeiser einen Sportvorstand vor die Nase gesetzt, mit dessen Art und Denkweise Luhukay nicht zurechtkam. Dazu die Verpflichtung der drei Perspektivspieler Takuma Asano, Carlos Mané und Benjamin Pavard statt der gewünschten erfahrenen Kräfte. Das mündete vergangene Woche in einen offenen Konflikt. Wobei Chefcoach und Sportchef nicht mehr miteinander sprachen, sondern nur noch übereinander. Der Grund: Luhukay wollte plötzlich von den Neuen nichts mehr wissen, in deren Suche er zuvor eingebunden war. Deshalb wurde dem eigenwilligen Luhukay von Vereinsseite nicht nur intern nahe gelegt, sich kooperativer und kommunikativer einzubringen – nein, es wurde vom Aufsichtsrat Wilfried Porth (Daimler/Personalchef) auch öffentlich eingefordert. Das war zu viel für den prinzipientreuen Mann aus Venlo, gar ein Vertrauensbruch. Über seinen Anwalt Markus Buchberger lässt er mitteilen: „Aufstiegsprojekte verlaufen nie reibungslos, dass weiß ich sehr gut. Aber die Arbeit als Cheftrainer in einem großen Traditionsverein wie dem VfB funktioniert nur, wenn volle Rückendeckung von den entscheidenden Personen besteht.“
Auf eine Abfindung verzichtet Luhukay
Noch am Donnerstagvormittag um 10.30 Uhr erscheint Luhukay auf der Geschäftsstelle, um sich mit den Vorstandsmitgliedern über die Misere zu unterhalten. Die Stimmung ist äußerst angespannt, da die Vereinsspitze mit Porths klaren Worten in Kauf genommen hatte, dass Luhukay Konsequenzen zieht. Dafür ist er bekannt, dafür ist er auch störrisch genug. Kurz darauf steht der Abgang auch fest – und trifft den VfB völlig unvorbereitet.
Auf eine Abfindung verzichtet Luhukay aber, was dem VfB Geld spart, da der Vertrag ursprünglich bis 2019 datiert war. Als ein Facharbeiter auf Zeit versteht sich der 53-Jährige ohnehin und noch vergangene Woche hatte er darüber sinniert, dass er bestimmt nicht so lange beim VfB tätig sein werde wie Frank Schmidt es schon beim 1. FC Heidenheim ist. Seit neun Jahren leitet Schmidt das Team von der Ostalb. Luhukay hat es gerade mal auf 85 Tage gebracht.