Márcia Haydée und ... Foto: Hannes Kilian

Am Freitag zeigt das Stuttgarter Ballett zum letzten Mal in dieser Spielzeit „Der Widerspenstigen Zähmung“. Gut so, sagen einzelne Zuschauer, denen John Crankos getanzte Version von Shakespeares Komödie zu frauenfeindlich und zu klamaukig ist. Aber so klar, wie die Dinge scheinen, sind sie nicht.

Stuttgart - Huch, geht das heute noch? Vier junge Damen müssen da vor ihren Angetrauten auf die Knie, wie Lämmchen den Kopf beugen und den Männern Gehorsam schwören. Zu sehen ist diese Szene kurz vorm Happy End von John Crankos Ballettkomödie „Der Widerspenstigen Zähmung“. Und auch vieles, was davor passiert, scheint, wie manche meinen, eher ein Fall für die Gleichstellungsbeauftragte als für die Tanzbühne.

Denn John Cranko inszenierte die Zähmung der Widerspenstigen, von der Shakespeare erzählt, in keiner Weise zimperlich, er verwandelte schöne Wortgefechte in einen Krieg der Geschlechter. Der Dramenautor ließ seinen Frauendompteur Petrucchio zu Schlaf-, Nahrungs-, Liebesentzug und anderen Demütigungen greifen, um die kratzbürstige Katharina in eine höchst liebreizende Gattin zu verwandeln. Psychofolter also. John Cranko addiert zu Petrucchios Strafregister, wollte man es überspitzt böse formulieren, noch häusliche Gewalt.

Der Geschlechterkampf findet auf der Bühne des Stuttgarter Balletts seit 1969 also ganz handfest statt, mit Fußtritten und Fausthieben, mit Überschlag und Kopfnuss. Über weite Strecken sehen wir zwei Ebenbürtige. Was Katharina an körperlicher Stärke fehlt, macht sie durch fiese Tricks wett. Das Happy End, bei dem die ehemalige Widerspenstige als gezähmt auftritt und ihrer Schwester Bianca und deren Freundinnen ehelichen Gehorsam beibringt, mag da besonders krass wirken.

War da ein choreografischer Macho am Werk und hat ein Lob der Unterwürfigkeit inszeniert? Die Frage stellte bei der Wiederaufnahme von Crankos Ballettkomödie zu Beginn dieser Spielzeit ein Publikumsrezensent auf der Internetplattform Tanznetz.de. Und sie stellt sich sicherlich auch manchem Zuschauer an diesem Freitag im Stuttgarter Opernhaus, wenn „Der Widerspenstigen Zähmung“ sich – neu besetzt mit Daniel Camargo und Elisa Badenes in den Hauptrollen – für diese Spielzeit von der Bühne verabschiedet.

Doch auch 45 Jahre nach der Uraufführung darf man selbst als Frau ohne schlechtes Gewissen diese Zähmung belachen. Warum, das zeigte nun sehr schön das Debüt von Marijn Rademaker als Petrucchio. Der blonde Holländer, sonst als schöner Danseur noble eher auf der Seite des offensichtlich Guten, spielte wunderbar die Vielschichtigkeit dieser Macho-Rolle heraus. Von Anfang an macht er mit einem wissenden Lächeln, herausfordernd-weiblichem Wippen im Gang und doppeldeutigen Gesten klar: Was kommt, ist alles nur ein Spiel. Geschlechter, Rollen, Masken – John Cranko legte in seiner getanzten Version von Shakespeares Komödie so viel Wert auf den mühelosen Fluss zwischen Identitäten, dass dieser selbst zum Thema wird. So konnte er auf Shakespeares Rahmenhandlung, die dieses Spiel mit Rollen ankündigt, getrost verzichten.

Schön, folgsam, nett – mit dem Entwurf seiner Katharina hinterfragte der Choreograf das Frauenbild seiner Zeit. Schon die Tatsache, dass eine selbstbewusste Tänzerin wie Marcia Haydée an der Entwicklung dieser Rolle großen Anteil hatte, macht sie über jeden Verdacht erhaben. Bis heute dürfen die Solistinnen des Stuttgarter Balletts keine Angst davor haben, hässlich auszusehen, männlich aufzutreten, den Spitzenschuh, also das Attribut ihres Tänzergeschlechts, als vieldeutige Waffe einzusetzen.

Man kann John Cranko und seinen Stars Marcia Haydée und Richard Cragun, die beide bei der Uraufführung am 16. März 1969 tanzten und viel zum internationalen Erfolg dieser Komödie beitrugen, durchaus einen gewissen Weitblick bescheinigen. So wie sie Katharina mit Rollen spielen lassen – erst agiert sie männlich forsch, dann mit weiblicher Einsicht –, könnte man auch postfeministisch von der Aufhebung vom Frausein sprechen. Das biologische Geschlecht tritt hinter der Konstruktion von Geschlecht zurück. Wie wird man Frau? Wie wird man Mann? Indem man in eine kulturell, soziologisch vorgegebene Rolle schlüpft – und spielerisch alle Möglichkeiten nutzt.

Alles nur ein Spiel! Sogar die Requisiten folgen dieser Vorgabe. Selbstverständlich treten die gebratenen Schweinsköpfe und Wurstschlangen, die da fliegen, die Musikinstrumente, die zu Bruch gehen, klar als Attrappen auf und wurden wohl 1969 schon so wahrgenommen. Alles nur ein Spiel! Dieser Sicht beugt Cranko die literarische Vorlage, dass für manchen Shakespeare-Fan der Klamauk zu sehr im Vordergrund steht. Tänzerisch freilich beeindruckt dieses Ballett bis heute mit seiner Reihung von technischen Kunststücken. „Shakespeare ist so gewaltig, dass man gar nichts hinzufügen kann“, sagte der Choreograf vor der Premiere „Der Widerspenstigen Zähmung“. „Meine Absicht war es, etwas Vergleichbares, jedoch in der Bewegung, zu machen.“