John Cranko Foto: dpa

John Cranko wäre 85 geworden: Erinnerungen an den Begründer des Stuttgarter Ballettwunders.

Stuttgart - John Crankos Handlungsballette wie „Romeo und Julia“, „Onegin“ oder „Der Widerspenstigen Zähmung“ sind bis heute weltweit Exportschlager des Balletts made in Stuttgart, und Stücke wie „Spuren“ verdeutlichen in ihrer radikalen Vereinfachung die abstrakte Qualität seiner Choreografien. Gründer des Stuttgarter Balletts, Begründer des Stuttgarter Ballettwunders – strahlend ist das Bild des Mannes, der 1973 während des Rückfluges von einer USA-Tournee tragisch gestorben ist. Sorgsam wacht Reid Anderson, Intendant des Stuttgarter Balletts, über den Schatz des Cranko-Erbes, und gerade in der Auseinandersetzung mit Crankos Stücken gelingt es dem Stuttgarter Ballett immer wieder, junge Tänzerinnen und Tänzer, aber auch junge Choreografinnen und Choreografen in die Weltspitze zu führen. Mythos Cranko? Davon ist man in Stuttgart im besten Sinn weit entfernt. Nein, Cranko, das ist eine Herausforderung – in der tänzerischen Qualität ebenso wie in der Bereitschaft, Grenzen zu überschreiten. Immer wieder neue Schritte in die Zukunft – das ist Crankos Vermächtnis.

Der Schöpfer und die Muse

„Er war der Schöpfer, ich seine Muse“, skizziert Marcia Haydée das Verhältnis zwischen ihr und Cranko. „Schon bei meiner ersten Premiere in Stuttgart“, sagt die ehemalige Primaballerina und spätere Ballettdirektorin, „hat er mir zwei Stücke anvertraut. Diese Bewunderung habe ich immer gespürt und gleichfalls empfunden. Ich habe sie schon gespürt, als John ,Cat’s Cradle‘ für die Kompanie des Marquis de Cuevas in Paris machte: Obwohl ich nicht besetzt war, ließ ich keine Probe aus. Schon damals hat mich die Art, wie er im Ballettsaal arbeitete, fasziniert. Er hatte eine ganz besondere Art, Bewegungen zusammenzustellen, obwohl er selbst kein großer Tänzer war; seine eigene Handschrift war unverkennbar.“ Und schließlich: „Die Verbindung zwischen ihm und mir war wie eine Autobahn. Als ich zur ersten Probe von ,Romeo und Julia‘ kam, da hat er mich schon als Julia gesehen und so behandelt.“

Der Grenzgänger

Auch außerhalb des Ballettsaals schien es für John Cranko keine Grenzen zu geben. Selbstverständlich zählten er und sein Ensemble um Marcia Haydée, Richard Cragun, Birgit Keil und Egon Madsen zur Kunst- und Literaturszene. Doch nicht nur in diesen Kreisen prägte Cranko mit seinem Auftritt das Selbstverständnis als Weltbürger. „Er hat diese verrückten 1950er Jahre in London erlebt“, erinnerte sich der jüngst verstorbene Richard Cragun 2007 an die Zeit mit Cranko in Stuttgart. Die Folge? „Schickimicki war Cranko nie“, so Cragun weiter, „er bürstete viel mehr die Mode gegen den Strich. Zum Empfang für Prinzessin Margret in Stuttgart ging er in Tennisschuhen und einem pinkfarbenen Anzug. Natürlich ließ man ihn nicht rein, so bat er die Herren am Empfang, der Prinzessin doch bitte schöne Grüße von ihm zu bestellen – und plötzlich wurde er doch vorgelassen.“

Der Kunstsinnige

Von Beginn an erkennt Cranko, 1961 von Walter Erich Schäfer nach Stuttgart geholt, die Chance, einen eigenen Weg zu prägen. Nicht nur mit herausragenden Stücken, sondern auch mit einer eigenen Bildsprache. Wie aber entstand diese? Gundel Kilian, lange Ballettfotografin unserer Zeitung, erinnert sich an die Zusammenarbeit Crankos mit dem Fotografen Hannes Kilian: „Cranko hatte kein Büro, Besprechungen fanden in der Kantine statt. Weil 1973 vor der USA-Tournee Bilder zu mehreren Stücken und Besetzungen ausgesucht werden mussten, sollten wir zu ihm auf die Solitude kommen. Das Kavaliershäuschen, in dem er wohnte, war klein, aber fein. Er liebte Kunst. Über dem Sofa hing ein Gemälde von Mirò, auch einen Picasso hatte er.“

Die Herausforderung

„Cranko moves Stuttgart“ – das war 2007 von Reid Anderson nicht nur euphorisch gemeint. Eine Ballett-Kompanie, die immer neue Schritte in die Zukunft gehen will, immer wieder neue Tänzerpersönlichkeiten an die Spitze führt, braucht auch Rückendeckung. Seit 15 Jahren kämpft Anderson für den Neubau der Schule, die John Crankos Namen trägt. Land und Stadt bewegen sich im Sinne Crankos – nach vorne; das wäre wohl ein wahres Geschenk.