Klare Ansagen: Bundestrainer Joachim Löw (2. v. re.) im Trainingslager der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Foto: AFP

Im Trainingslager in Seefeld ist nicht nur der Bundestrainer konsequent – die Zaungäste sind es auch. Und so ergeben sich ganz neue Perspektiven, auch für unseren EM-Reporter Marco Seliger.

Seefeld - Die Österreicher und der Fußball, das ist eine lange Geschichte voller Leiden – elegant zusammengefasst von der resoluten Vermieterin der Ferienwohnungsanlage hoch droben über Seefeld, die sich mit Blick auf die EM erst überrascht gibt („Was, mir san do au dabei?“) – und die Dinge dann so einschätzt: „Mir können Skifoan und dumm außi redn: aber kicken, des kömma ned.“ Die Deitschn aber, so sagt es die Expertin, die könnten des, des Kicken.

 

Und die Deitschn, das wissen’s alle im Alpenort in Tirol, die sind gerade da. „Aber die Deitschn“, sagt die Vermieterin, „die hom uns ja bold jeden Wanderweg abgsperrt.“ Keine Fans, keine Blicke, dafür viele weiße Planen und Absperrungen, das war ja der Plan des DFB in seinem EM-Trainingslager unter den beiden Skisprungschanzen Seefelds – aber wer die Szenerie unten im Tal des Orts in den ersten Tagen beobachtet hat, dem kamen die Worte von oben, von der Ferienwohnung, in den Sinn: „Eine Lückn gibt’s immer.“ Und: „Die Planen kann i au abreißn.“

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Ob die geschätzte Vermieterin dann wirklich dabei war bei der konzertierten Abrissaktion vom späten Samstagmittag, das haben wir übers Wochenende noch nicht final klären können – was wir aber wissen: Eine Plane war wirklich abgrissn. Die Lückn war da.

Zweikampftraining für Mats Hummels

Und so standen beim Training von Jogi Löw auf einer kleinen Anhöhe hinter der Straße, dort, wo der Wald anfängt, rund 80 Zuschauer und sahen kein weißes Ding mehr vor sich. Sondern von oben: den Trainingsplatz. Und damit alles, was darauf so passierte.

Wie Jogi Löw also seine Worte von der Pressekonferenz am früheren Nachmittag auf fast rührende Weise in die Tat umsetzte. Wie er auf dem Platz wirklich an den defensiven Grundlagen arbeitete – und Weltmeistern wie Mats Hummels bei Eins-gegen-eins-Übungen eintrichterte, dass sie beim defensiven Zweikampf bitte dringend versetzt zu stehen haben und beweglich sein sollen, wenn da einer mit Tempo und der Kugel am Fuß auf sie zukommt. Löw stand dann mehrfach auch selbst versetzt und tänzelte hin und her. Der RTL-Reporter auf der Stehtribüne machte große Augen. Kauft er Jogi bald für die nächste „Let’s Dance“-Staffel ein? Was für Bilder, auch im Kopf!

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Einmal in Schwung gekommen, tänzelte Jogi später wieder, denn auch an der „offensiven Konsequenz im Sechzehner“, das hatte er vorher ebenfalls betont, wollte er arbeiten. Und so tänzelte Löw auch, als Serge Gnabry von links außen auf ihn zukam, nach innen zog und den Ball ins untere rechte Eck schoss. Geschätzte 20-mal war das so. So sieht das also aus, wenn Löw, wie vorher angekündigt, „Stringenz in den Offensivaktionen“ einfordert. Und wenn man Gnabrys tolle Schüsse so sah, dann dachte man irgendwann wieder an die Worte von oben im Ort: „Die Deitschn, die können des, des Kickn!“

Ungewohnte Einblicke

Und die Deitschn, die können überraschenderweise auch spontan sein und von Plänen abweichen. Denn nicht nur die Kiebitze im Wald durften zuschauen beim Training – auch die Medienvertreter hatten eine 100-Prozent-Quote an den ersten beiden Tagen: Denn aus den 15 Minuten des erlaubten Zuschauens von der kleinen Stehtribüne direkt neben dem Platz aus wurden mehr. Und am Ende war es jedes Mal offiziell: Bleibt da, geht nicht weg, schaut komplett zu!

Negatives Testergebnis, Maske raus – und Türen auf, das war das Motto. Jogi Löw jedenfalls hob den Daumen nach kurzem Dialog mit seinem Pressesprecher, und offen war die Bühne. Kick it like Jogi, Let’s dance mit Löw! Diese Show hatte es so vor drei Jahren im WM-Trainingslager von Südtirol in Eppan noch kein einziges Mal gegeben.

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Wohin der neue Geist von Tirol nun noch führt und ob es ihn weiter so gibt, man weiß es nicht. Was man aber weiß, ist dies: Der ewige Löw erscheint in den ersten Tagen von Seefeld so fordernd (gegenüber seinen Spielern), fokussiert (auf dem Platz) und klar (bei seinen Ansagen) wie schon lange nicht mehr. Da hat sich offensichtlich noch mal jemand gestrafft. Genau beobachtet von den Kiebitzen am Waldhang übrigens – denen sich also nicht nur durch die weggerissenen Planen neue Horizonte öffneten, von den prominenten Deitschn und ihrem Vortänzer im Ort.