Perspektiven des Lebens: Container-Knast auf dem Wasen Foto: Piechowski

Joe Bauer schreibt über Fledermäuse, Herrn Innenminister Reinhold Gall und renitente Omas.

Nicht jeder Tag ist ein Tag zum Herumgehen in der Stadt. Für eine Runde auf dem Wilhelmsplatz aber reicht es allemal.

An diesem Tag war kein Markt auf dem Wilhelmsplatz und sonst auch nichts. In der Straßenbahn hatte ich gelesen, die Bahn könne im Schlossgarten nicht wie geplant auf die Schnelle 176 Bäume fällen. Wegen des Artenschutzes für Fledermäuse habe sie keine Genehmigung erhalten. Was für ein diabolisches Zeichen aus der Unterwelt: Ausgerechnet die Fledermaus verzögert den Kahlschlag im Park. Dem Blutsauger schlägt das Gewissen.

Im SPD-Hauptquartier am Wilhelmsplatz konnte ich Deckenlampen durchs Fenster sehen. Gedämmtes Licht. Die Hellsten der Partei scheinen zurzeit nicht da zu sein, auch nicht in der roten Filiale Wilhelmstraße 3, nur einen Steinwurf entfernt. Die elektrische Post an den amtierenden Herrn Innenminister beantwortet zurzeit der Computer persönlich: "Sehr geehrte Damen und Herren, das Abgeordnetenbüro von Reinhold Gall . . . ist wieder ab Dienstag, 10. Janaur besetzt . . ."

Tipp- und Kommafehler passieren nicht nur dem SPD-Minister Gall. Die unterlaufen auch Zeitungsfritzen und gebildeten Leuten. Bemerkenswert allerdings, für Sozen-Verhältnisse geradezu lustig, klingt die Betreffzeile einer aktuellen E-Mail-Antwort aus dem Hause Gall an Frau U. aus Stuttgart: "Wir machen Urlaub - Von renitenten Omas für renitente Omas . . ."

"Von renitenten Omas für renitente Omas"

Diese Nachricht bekam Frau U., nachdem sie dem Minister die "Stuttgarter Erklärung" der S-21-Gegner für ihr Recht auf weiteren Protest nach der Volksabstimmung geschickt hatte. In ihrem Anschreiben zitierte Frau U. Worte des Ministers zum Container-Knast auf dem Wasen. Gall hatte auf die Frage nach einer Alternative zu den Mobil-Zellen auf dem Cannstatter Kirmesplatz gesagt: Stammheim sei "zwar ein normales Gefängnis, aber angesichts der Historie gäbe es einen öffentlichen Aufschrei, wenn die Polizei renitente Omas nach Stammheim verfrachten würde".

Folgerichtig verwendete Frau U. in ihrer Mail an den Innenminister die Betreffzeile "Von renitenten Omas für renitente Omas" - und fügte hinzu, bei den Damen handle es sich womöglich um "erwachsene Menschen", die etwas anderes im Sinn hätten, als von Politikern und ihren Floskeldichtern "mitgenommen" und "abgeholt" zu werden. Ob Frau U. die Gesamtsituation in ihrem Alter schon beurteilen kann, ist schwer zu sagen. Im Moment ist sie etwas jünger als der Minister Gall, 55.

Für Herrn Galls Überlegenheit auf dem Feld der Lebenserfahrung spricht, dass er bis heute seine Rüstigkeit im besten Opa-Alter bei der Freiwilligen Feuerwehr Obersulm beweist. Als aktives Mitglied nimmt er im Notfall die Spritze selbst in die Hand.

Bereits als langjähriger Kreisausbilder der Feuerwehren im Landkreis Heilbronn erwarb sich der SPD-Mann im Kampf wider den Roten Hahn die Fähigkeiten für den Job als Dienstherr der Landespolizei. Seine Kenntnis von sozialen Brandherden bewies er vollends, als er kundtat, die Unterbringung festgenommener Demonstranten sei nicht nur in Stammheim, sondern auch "in Luftschutzbunkern" ungeeignet. Bunker entsprächen "nicht der EU-Menschenrechtskonvention".

Warum der Menschenrechtler, Rauchmelder-Experte und ehemalige Ortsvorsteher von Obersulm-Sülzbach nach allen Debatten um die Rechte des mündigen Bürgers demonstrierende Frauen als "renitente Omas" würdigt, weiß man nicht genau. Mein Hauspsychologe sagt, es passiere gelegentlich, dass ein Mann etwas greisenhaft zur Welt komme, seine pubertäre Renitenzphase verschlafe und deshalb erst im Ahnen-Alter seine Lust an der Despektierlichkeit gegenüber Erwachsenen auslebe.

"die neue politische Kultur"

Womöglich handelt es sich bei dieser Art Stil um "die neue politische Kultur", die Galls Regierungskollege Kretschmann, 63, in seiner Neujahrsrede angekündigt hat. Wichtig sei, sagte der Ministerpräsident, dass Streit "zivilisiert" ablaufe.

Erste Erfolge sind sichtbar: Nachdem man lange Zeit S-21-Demonstranten je nach Bedarf als Arbeitslose, Methusalems, Halbhöhen-Rentner, Anarchisten, Tagediebe, Krawallbrüder, Fortschrittsverweigerer, Esoteriker, Penner, Wutbürger etc. tituliert hat, kommt jetzt endlich die widerborstige Großmutter zu ihrem Recht.

Falls Oma aus Containamo ausbüxen sollte, habe ich einen todsicheren Tipp für die Sozen: Vor ihrer Zentrale gibt es prima Bunker unter dem Wilhelmsplatz, früher als Henkersplatz bekannt. Ein geübter roter Feuerlöscher wäre auch nicht weit.