Die Gruppe "Ukrainer im Schwarzwald" (von links), hier Irina Solowiejko, Oleh Hayvan, Natalia Bublikova, Viktor Malafy, Liliya Smirnova und ihr Mann Robert Kuhar, kümmern sich um ihre Landsleute. Foto: Heinig

Sie nennen sich "Ukrainer im Schwarzwald", haben vor vier Jahren zu einer losen Gruppe zusammengefunden und stecken gerade jede freie Minute in die Unterstützung ihrer Landsleute in und aus der geschundenen Heimat.

Villingen-Schwenningen - Von Montag bis Freitag betreibt der harte Kern der Gruppe ein Spendenlager im ehemaligen Sozialkaufhaus "Jumbo" in der Bahnhofstraße in Villingen, wo Spenden für die Menschen in der Ukraine und für die Flüchtlinge hier gesammelt und ausgegeben werden. Täglich kommen mehr Familien, die ihr Hab und Gut zurücklassen mussten. Den Spendern sei man unendlich dankbar, sagt Liliya Smirnova und hofft, dass Bereitschaft, etwas abzugeben, nicht nachlässt.

Pandemie unterbricht Kontakte

Eine für den "Tag der Nationen" von der Volkshochschule geplante Ausstellung nahm die Lehrerin und Erzieherin 2018 zum Anlass, einen Aufruf über die sozialen Netzwerke abzusetzen, mit dem sie Ukrainer und Ukrainerinnen im Schwarzwald-Baar-Kreis finden wollte. Überraschend viele meldeten sich bei ihr. Seither blieb man online in Kontakt, feierte unter anderem gemeinsam "Vyschywanka", den ukrainischen Feiertag der Nationaltracht. Dann unterbrach die Coronapandemie die Gemeinsamkeiten in Präsenz.

Dass die Beziehungen durch einen Kriegsausbruch wiederbelebt würden, dass ahnte freilich niemand. Schon zwei Tage nach dem Einmarsch Putins am 24. Februar, kamen die "Ukrainer im Schwarzwald" zur ersten Kundgebung zusammen und wiederholten ihre Mahnwachen fortan an jedem Samstag. "Wir müssen etwas tun", sei der gemeinsame Gedanke der Gruppe gewesen, erinnert sich Irina Solowiejko. Die Rechtsfachwirtin lebt seit 2002 in Villingen-Schwenningen und holte inzwischen ihre Mutter aus dem Kriegsgebiet zu sich. "Davor habe ich keine Nacht ein Auge zugetan", erzählt sie.

Organisation von Spenden

Den Zusammenkünften auf der Straße folgte bald die Organisation von Spenden für die in der Ukraine Zurückgebliebenen. Was sich zunächst in den Wohnungen und Kellern von Natalia Bublikova in Schwenningen und Oleh Hayvan in Villingen stapelte, konnte bald in einer Halle in der Alleenstraße für den Transport in die Ukraine gelagert werden. Beim Ehepaar Marina und Andreas Ederle in Rietheim-Weilheim im Kreis Tuttlingen fand man noch mehr Platz vor und organisiert seither von dort Lastwagenfahrten direkt ins Kriegsgebiet. Fünf Transporter fuhren schon. Spenden, hauptsächlich nach wie vor dringend benötigte Medikamente, haltbare Lebensmittel, Hygieneartikel und Verbandsmaterial werden für den sechsten gerade zusammengepackt.

"Sie kamen mit nichts"

Je mehr Flüchtlinge nach VS kamen, desto schneller war klar: auch die Geflüchteten benötigen Spenden. "Sie kamen mit nichts", sagt Irina Solowiejko, "und uns war klar, dass auch sie Hilfe brauchen". Über die Stadtverwaltung und die Diakonie erhielt die Gruppe Kontakt zum Verein zur Förderung der Jugend und sozialen Arbeit im evangelischen Kirchenbezirk Villingen, der einst das "Jumbo" betrieb und vorübergehend Räume für einen Spenden-Umschlagplatz zur Verfügung stellt. Hier können von Montag bis Freitag, von 17 bis 20 Uhr, Spenden aller Art abgegeben und jeweils vormittags mitgenommen werden.

Haushaltsartikel werden gebraucht

Momentan, so Liliya Smirnova, werden vor allem Haushaltsartikel gebraucht, Töpfe, Pfannen und Geschirr, da die Flüchtlingsfamilien nach und nach Wohnungen beziehen. Besonders nachgefragt seien Fahrräder, Tretroller und Musikinstrumente. Gesucht werden auch Menschen, die Deutschunterricht geben wollen. Am liebsten zwei Mal pro Woche und mit paralleler Kinderbetreuung. Das Engagement der Ukrainer, sich in der Fremde selbst zu helfen, sei groß, sagt Irina Solowiejko "und dazu gehört einfach die Sprache".

Aktion mit Daniel Wenzler

Dankbar ist sie für Aktionen, die sie gemeinsam mit dem Villinger Daniel Wenzler vom Judoclub Villingen begonnen hat. Immer donnerstags kommt eine Mutter-Kind-Gruppe in der Sporthalle der Kaufmännischen Schulen zusammen, um sich zu bewegen und spielerisch deutsch zu lernen. Liliya Smirnova hat in der Ukraine das Lehramt studiert, zog vor zehn Jahren zu ihrem Mann Robert Kuhar nach Deutschland und ließ sich hier noch zur Erzieherin ausbilden. Jetzt unterrichtet sie vormittags Schüler in Vorbereitungsklassen und betreut nachmittags Gantagskinder. Nach Feierabend geht es ins "Jumbo". Die 37-Jährige ist stolz auf das Engagement der von ihr gegründeten Gruppe und macht auch auf die Arbeit von Inga Potsko und Viktor Malafy aufmerksam, die sich neben den bereits Genannten aufopferungsvoll und nach Kräften um ihre Landsleute kümmern. "Jeder von uns hat seine Stärken", sagt sie.

"Jumbo" wird zur zweiten Heimat

Für Oleh Hayvan ist das "Jumbo" zur zweiten Heimat geworden, in der er sich unermüdlich einsetze. Erfreulich sei, dass auch schon Flüchtlinge zum Helferteam dazugestoßen seien, so wie Oksana und Natalia mit ihren Kindern aus den zerstörten Städten Irpin und Kharkiv. Zu tun gibt es jede Menge: eingehende Spenden werden sortiert und entweder ordentlich in die Regale im "Jumbo" eingelagert und kostenlos an die Flüchtlinge abgegeben oder in Kartons verpackt, in denen sie zunächst nach Rietheim-Weilheim und von dort in die Ukraine gelangen. "Ich wünsche mir, dass der Krieg in unserer Heimat nicht aus den Augen verloren wird", sagt Lilya Smirnova.

"Die nicht vergessen, die noch dort sind"

"Und wir dürfen die nicht vergessen, die noch dort sind, in Krankenhäusern liegen oder als Soldaten kämpfen". So wie ihre Cousins, Freunde und Klassenkameraden. Aushalten könne man die Sorgen um die Menschen daheim fast nicht, sagt die Ukrainerin. "Zu helfen – das ist unsere Überlebenstrategie".