Der Schweizer Jazzmusiker Pepe Lienhard leitete fast 40 Jahre lang die Bigband, die Udo Jürgens bis zu dessen Tod begleitete. Doch nun gehen sie wieder gemeinsam auf Tournee. Ein Gespräch über tiefe Freundschaft, Pop von Taylor Swift und die wilden Zeiten des Jazz.
Fast 40 Jahre lang leitet der Schweizer Jazzmusiker Pepe Lienhard die Big Band, die Udo Jürgens auf seinen Konzerten begleitet. Im Herbst, fast zehn Jahre nach Jürgens Tod, gehen sie wieder gemeinsam auf Gastspielreise. Bei der „Da Capo“-Tournee spielen Lienhard und sein Orchester gemeinsam live zu Ton- und Videospuren, die von Udo Jürgens während dessen letzter Tournee angefertigt wurden. Beim Interview erzählt er von seinem Freund Udo und seinem bewegten Leben als Musiker.
Hallo, Herr Lienhard. Fühlt es sich seltsam an, nicht mit dem „echten“ Udo Jürgens auf der Bühne zu stehen?
Ich mache mir schon Gedanken, wie das wird, doch was da emotional passiert, wenn wir in einem großen Saal spielen, das kann ich noch nicht einschätzen. Aber ich glaube, das wird schon heftig. Es ist ja nicht künstlich, es ist Udo. Das sind ja alles Musiker, die oft und gerne mit Udo gespielt haben, die ihn auch alle sehr vermissen. Einen kleinen Vorgeschmack hatten wir schon mal bei Giovanni Zarrella in der Show, aber da haben wir ja nur ein kleines Medley gespielt.
Wie sehr vermissen Sie Udo Jürgens?
Sehr, natürlich. Ich glaube, wir haben weit über 1000 Konzerte zusammen gespielt in 37 Jahren. Viel mehr vermisse ich ihn allerdings als Freund. In den letzten Jahren vor seinem Tod sind wir uns viel nähergekommen. Er hat die letzten zwei Jahre ungefähr 15 Autominuten von mir entfernt gewohnt. Die unmittelbare Nähe hat uns einander viel nähergebracht. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht, uns aber nicht wie früher hauptsächlich über die Vorbereitungen der nächsten Konzerte oder Platten unterhalten. Es ist eine tiefe Freundschaft entstanden.
Haben Sie sich auch gestritten, beim kreativen Prozess zum Beispiel?
Nein, beim kreativen Prozess war ich meist ja nicht dabei. Die Stücke hat er selbst komponiert und die Texte gemeinsam mit den Textern erarbeitet. Ich kam künstlerisch immer erst ins Spiel, wenn’s um die Tourneen ging. Ich habe dann mit ihm die Arrangements der Studiostücke für die Bühne besprochen und das dann mit den entsprechenden Musikern einstudiert, um das live zu performen. Udo hatte in der Hinsicht natürlich immer genaue Vorstellungen gehabt.
Sind Sie ein guter Chef als Bandleader?
Da fragen Sie bitte meine Musiker. Aber zumindest: Ich bin ein langjähriger Chef. Eigentlich seit ich zwölf Jahre alt bin und richtig hinterfragt habe ich das nie. Aber es hat immer funktioniert. Management oder Führungskurse habe ich nie belegt. Ein Musiker ist schon seit 50 Jahren bei mir, vier Musiker seit 40 Jahren – wenn ich das nicht korrekt machen würde, wären die schon längst weg, oder? Ich habe schon einen bestimmten Führungsstil. Ordnung muss sein, da kann nicht jeder machen, was er will. Aber ich bin ja auch nicht so ein Karajan, der vor der Band steht und dirigiert.
Haben Sie jemals das Gefühl gehabt, einer Sache künstlerisch oder musikalisch nicht gewachsen zu sein?
Nein, ich mache nur, was ich kann. Ich gehe auch gerne an meine Grenzen, aber nicht mit der Band. Ich mache ja auch viele Sachen alleine. Gestern habe ich eine Probe mit einem Jazzquartett gehabt. Da waren heftige Sachen dabei und ich weiß, dass ich mich heute noch mal hinsetzen und proben muss. In meinem Alter muss man ja auch seinen Geist regelmäßig aktivieren. Ich mache auch mit bei einem Projekt mit der Musik von Ennio Morricone mit einem symphonischen Orchester und am Anfang hieß es, „du dirigierst“. Das wollte ich aber nicht. Ich habe damals gesagt, dass ich gerne all die Flöten, die Mundharmonika und die anderen Instrumente spiele, wir aber lieber einen richtigen Dirigenten engagieren. Ich könnte schon irgendwie ein klassisches Orchester dirigieren, aber für „irgendwie“ bin ich zu alt.
Wie läuft das ab, wenn man mit Frank Sinatra oder Sammy Davis Jr. auftritt? Sie haben mit beiden gespielt.
Völlig unspektakulär. Man bekommt Noten und dann wird gespielt. Bei Sinatra hatten wir damals Probe am Donnerstag und den Auftritt am Samstag. Ich habe damals Saxofon gespielt und bin etwas früher zur Probe gekommen, um mich warm zu spielen. Da war Sinatra längst da. Vor allen anderen. Das hat mich beeindruckt. Ich dachte damals, der würde erst zum Auftritt persönlich auftauchen. Ich habe mit vielen großen Namen gearbeitet und wenn sie eines gemeinsam haben, dann dass sie die Musik sehr ernst nehmen.
Können Sie Musik hören, ohne dabei professionell zu analysieren?
Ja, aber ich höre zum Beispiel völlig anders Musik als meine Frau. Sie hört auf Texte und weiß immer, was gesungen wird. Mir fällt das oft gar nicht auf, weil ich eher darauf achte, was der Schlagzeuger oder der Pianist machen. Ich höre die Band. Aber, ja, ich höre gerne Musik. Am liebsten auf Schallplatte. Ich mag das Prozedere, sich Zeit nehmen. Ich brauche oft Spotify, wenn ich kurz etwas suche. Aber wenn ich hören und genießen will, hole ich eine Platte aus dem Schrank und setze mich hin. Da muss ich dann auch nicht essen, nicht nebenher lesen und ich brauche da auch kein Handy.
Wie viele Platten besitzen Sie?
Das ist überschaubar, wahrscheinlich so 5000 Stück. Da gibt’s Leute, die wesentlich mehr haben. Aber ich komme ja nicht mal dazu, meine Platten alle anzuhören.
Wie haben Sie Ihre Platten sortiert?
Verschiedene Gesichtspunkte, zum Beispiel nach Instrumenten. Ich habe ein Gestell, da sind nur Saxofonisten drin, unterteilt nach Tenorsax oder Altsax. Die Großen wie Charlie Parker oder John Coltrane habe ich aber separat sortiert. Sobald ich mehr als drei Platten von jemandem besitze, bekommt er ein eigenes Fach.
Trifft man Sie im örtlichen Plattenladen auf Tournee?
Früher ja, am liebsten in Secondhand-Geschäften. Aber mittlerweile kaufe ich kaum noch Platten, ich besitze so viele, die ich mir noch nie angehört habe. Außerdem habe ich das Gefühl, dass ich alle wichtigen Platten schon habe. Und auch wenn ich vorhabe, noch sehr viel älter zu werden, aber manchmal muss man auch an die armen Leute denken, die das alles erben werden. Was sollen die mit den ganzen Platten?
Können Sie mit zeitgenössischer Popmusik etwas anfangen?
Nicht so sehr. Ich höre auch gerne Popmusik, aber eher nicht die neuen Gruppen. Ich werde mir aber in Zürich Taylor Swift anschauen. Das ist so ein Boom und so weit weg von allem anderen. Ich habe ein paar Interviews mit ihr gesehen und kenne ein paar Lieder – das ist nicht mein Sound, aber das ist auch nicht das Kriterium. Ich wundere mich einfach, wie das so groß sein kann. Oder Ed Sheeran. Der ist super. Aber ist das wirklich hundertmal besser als alle anderen? Ich weiß es nicht, Neid liegt mir fern. Aber offensichtlich sprechen Taylor Swift oder Ed Sheeran etwas in Menschen an. So was finde ich spannend. Aber das Zeitlose von Queen und Freddie Mercury kann ich eher nachvollziehen.
Was vermissen Sie am meisten an Udo?
Den Freund. Ich war am Abend vor seinem Tod mit ihm essen. Wir haben uns gut unterhalten und viele tolle Pläne geschmiedet – und dann fällt er am nächsten Tag einfach um. Das war krass und unerwartet. Aber für ihn war es ein guter Abgang. Auf dem Höhepunkt. Wer ist denn mit 80 Jahren am Höhepunkt seiner Karriere? Normalerweise geht’s da doch bergab. Bei ihm kamen mehr Leute zu den Konzerten als früher. Und: Udo hat super gespielt. Auf der letzten Tournee hat der sich nicht einmal verspielt, keine Textfehler, nichts. Und dann dieser große, fast perfekte Abgang. Wahrscheinlich ist ihm auch einiges erspart geblieben. Udo an einem Rollator, das kann und möchte ich mir nicht vorstellen. Er sicher auch nicht. Als Freund muss ich das positiv sehen und auch respektieren. Er sagte immer, Unterhaltung habe auch mit Haltung zu tun. Aber wir hätten ihn gerne noch ein bisschen länger bei uns gehabt.
Wie schafft man es eigentlich, in diesem Geschäft alt zu werden? Gerade in der Jazzszene waren früher sehr viele Drogen im Umlauf.
Wenn ich in den 80er-Jahren gesagt hätte, dass bei uns Drogen verboten wären, dann hätte ich keine Band gehabt, zumindest nicht mit guten Musikern. Die rote Linie war bei mir aber immer Heroin, das habe ich nicht akzeptiert bei meinen Musikern. Viele große Musiker sind viel zu früh gestorben, gerade in den USA. Und viele erfolgreiche Musiker sind ja nicht aus Verzweiflung zum Heroin gekommen, im Gegenteil. Wenn’s super lief, wurdest du damit konfrontiert. Das wollte ich nicht. Deswegen waren wir auch nie ein Drogenhaufen. Die seriösen Musiker von damals erkennt man daran, dass sie heute noch leben. Quincy Jones ist 91 Jahre alt, der trinkt mittlerweile keinen Tropfen Alkohol mehr.
Zur Person
Pepe Lienhard
Er wird im März 1946 in Lenzburg im Schweizer Kanton Aargau geboren. Schon in seiner frühen Jugend spielt er mit seiner Blockflöte zu Schlagermusik aus dem Radio. Mit zwölf Jahren gründet Pepe Lienhard seine erste Band. Später bricht er sein Jurastudium ab, wird Profimusiker.