Dianne Reeves, Angelique Kidjo, Lizz Wright (v.li.) Foto: Opus GmbH/Pfisterer

Drei Sängerinnen und der Kontrabassist Dave Holland sorgen für einen glanzvollen Abschluss.

Stuttgart - Rund 20.000 Besucher hat das Festivals Jazz Open gezählt, das zum Abschluss starke Konzerte bot: Dianne Reeves, Angélique Kidjo und Lizz Wright sangen am Mercedes-Musem, Bass-Legende Dave Holland spielte an der Musikhochschule auf und das französische Ensemble Le Sacre du Tympan im Jazzclub Bix.

Musik berührt uns alle

Die Band inszeniert lässig einen vorwärtstreibenden Rhythmus. Am Schlagzeug zeigt Terry Lyne Carrington, die musikalische Leiterin des Konzerts am Freitagabend, wie hart und empfindsam zugleich Frauen zu Werke gehen können. Kollegin Geri Allen greift beherzt in die Tasten, um die Harmonien schmelzen zu lassen. Ein brasilianischer Gitarrist, ein Perkussionist und James Genus am Bass bringen männliche Noten ins Spiel. Alles ist bereit für einen kleinen, aber sehr exklusiven Damenchor: Dianne Reeves, Angélique Kidjo und Lizz Wright.

Jede der drei befreundeten Sängerinnen könnte das Amphitheater am MercedesMuseum alleine füllen, nun singen sie unter dem Jubel der Besucher gemeinsam eine sexy Soul-Nummer: "Bold Soul Sister". Zwei der Schwestern im Geist setzen sich auf Barhocker, um die Jüngste solo singen lassen: die anmutige Lizz Wright, Predigertochter aus Georgia. Mit ihrer dunklen, samtweichen und kraftvoll tragenden Gospelstimme füllt sie zur Freude des Publikums die Arena. "Imagination" heißt der Song, und der musikalische Staffellauf geht weiter. Nun hält die wunderbare Jazzsängerin Dianne Reeves das Mikrofon in der Hand und lässt bei "All That You Have Is Your Soul" ihre voluminöse Stimme erstrahlen.

Die Dritte im Bunde der drei dunkelhäutigen Grazien ist die kleinste, aber kämpferischste. Angélique Kidjo bringt die Musik ihrer afrikanischen Heimat nach Stuttgart "zu den Schwaben mit ihren teuren Autos". Mit eindringlicher Stimme singt sie "Sa- duva". Während Geri Allen am Flügel soliert, zeigt Kidjo unter begeistertem Beifall, wie temperamentvoll man auf dem Schwarzen Kontinent dazu tanzen kann. Sie singt von verschiedenen Nationen und Sprachen und davon, wie Musik uns alle gleichermaßen berührt und die Liebe uns alle verbindet. Das ist die frohe Botschaft des Abends und der Titel dieses fulminanten Konzerts: "Sing The Truth - Sing die Wahrheit!"

Die Band spielt nun ganz langsam und lässt den Rhythmus kraftvoll träge fließen. Darüber gleitet wie ein großer Vogel im Wind die glutvolle Stimme von Lizz Wright. Sie singt "How I Got Over", eine tief empfundene Lobpreisung Gottes. Da stehen die Menschen auf und applaudieren. Dann wird das Tempo angezogen. Reeves und Kidjo singen die ziemlich weltliche Soul-Nummer "Baby, I Love You", unterstützt vom 1000-köpfigen Chor im weiten Rund. Im Abendlicht glänzt nun metallisch die Doppelhelix des Mercedes-Museums, die 50 Meter in den Himmel ragt. Doch alle Augen richten sich nach unten auf die in Purpurlicht getauchten Frauen und die Band, die am Ende dieses schönen Konzerts Miriam Makebas beliebtes Tanzlied "Pata Pata" intonieren. (stai)

Empfänglich für Impulse

Der britische Kontrabassist Dave Holland, einer der Großen des modernen Jazz, ist um eine verdiente Trophäe reicher: Am Samstag bekam er in der Stuttgarter Musikhochschule "in Würdigung seines Lebenswerks" die German Jazz Trophy 2011 überreicht. Ausgelobt vom Jazz-Open-Sponsor Sparda, der "Jazzzeitung" und der Kulturgesellschaft Musik und Wort, nahm er im Blitzlichtgewitter der Fotografen den Preis in Empfang, eine farbenfrohe, von Otto Herbert Hajek entworfene Kleinplastik. Banker und Musikfreund Thomas Renner unterstrich in seiner kurzweiligen Rede die Bedeutung der Kultur im Allgemeinen und des Jazz im Besonderen - in guten wie in schlechten Zeiten. Hochschullehrer Mini Schulz lobte den Preisträger als herausragenden Musiker mit großer stilistischer Bandbreite.

Ein Blick auf dessen Vita lässt daran keinen Zweifel. Miles Davis wurde 1968 auf den jungen britischen Bassisten aufmerksam und engagierte ihn vom Fleck weg. An zwei legendären Projekten hat er, der in der Combo des weltberühmten Trompeters immerhin Ron Carter ersetzte, dann mitgewirkt: "In A Silent Way" und "Bitches Brew". Nach "den drei intensivsten Jahren meines Lebens" (Holland) machte er sich selbstständig, gründete ein Quartett mit Chick Corea, nahm "Conference Of The Birds" auf und begleitete in den Folgejahren Musiker wie Stan Getz, Betty Carter, Bonnie Raitt, John McLaughlin, Pat Metheny und viele andere.

Die Namen seines aktuellen Quintetts sind Honig für die Ohren von Jazzfreunden. Posaunist Robin Eubanks, Vibrafonist Steve Nelson, Drummer Nate Smith, der bemerkenswerte Chris Potter am Saxofon und Band-Leader Dave Holland selbst bilden eine der brillantesten Akustik-Jazz-Formationen überhaupt, eine Einheit wie die fünf Finger einer Hand. Bei Hollands Eröffnungstitel "Claressence" mit seinen schillernden Klangfarben, der kompositorischen Komplexität und der unbändigen Wildheit der Improvisationen zeigte sich, wie der Bassist als Kraftzentrum und Time-Keeper die Band lächelnd steuert: mit viel Gefühl für asymmetrische Rhythmen, mit hoher Ideendichte, stets empfänglich für überraschende Impulse seiner Musiker - lauter Spitzenkönner ihres Fachs - und einem wunderbar satten und warmen Kontrabass-Sound. Für Leute, die Jazz bloß mit Dixieland verbinden, war das Konzert herbe Kost, für Fans dagegen ein Hochgenuss. "The Sum Of All Parts", eine Nummer des entschieden spielenden Posaunisten, kann als programmatisch gelten für dieses überragende Quintett des modernen Jazz. Dave Holland - mit 64 Jahren der jüngste der bisherigen elf German-Jazz-Trophy-Gewinner und der erste Kontrabassist überhaupt - hat den Preis verdient. Und das Beste: Sein Lebenswerk geht weiter - mit voller Kraft voraus! (stai)

Die Trommelfelle sind geweiht

Wo bei Strawinsky der Frühling geweiht wird ("Le sacre du printemps"), zielt die franzöische Band Le Sacre du Tympan auf aufs Trommelfell ("tympan"). Diese Art Humor prägt den Auftritt des neunköpfigen Ensembles, das am Donnerstag zum zweiten Mal nach 2008 den Jazzclub Bix zum Beben bringt. Die Stücke von Bassist und Bandleader Fred Pallem, eine Melange aus Big-Band-Jazz, Rock und Easy Listening der 1960er und 1970er Jahre, sind respektvolle, extrem coole Verbeugungen vor Henri Mancini, Lalo Schifrin und Ennio Morricone, allerdings geht es ihm um fiktive Filme, die in den Köpfen der Zuhörer entstehen und nur dort existieren.

Gestützt von treibenden Drums und funky Gitarre gibt Pallem Themen vor, der stattliche Bläsersatz, eng geschichtet auf der Bix-Bühne, gebärdet sich wie ein zu bändigendes Wildtier und setzt scharfe Akzente. Sehnsuchtsvoll lodert die Chet-Baker-Trompete, dunkel tönt die Posaune, lieblich schwelgt die Flöte, mächtig dröhnend setzt die Tuba alles unter Bass. Pallem ist ein Meister rasanter Wechsel, drastischer Dynamik, vielschichtiger Orchestrierung, seine Arrangements bringen die bravourös agierenden Musiker ins Schwitzen. "Sleep With Beautiful Stars" ist ein in Musik gegossener Jungmännertraum, "Attack Of The Mad Sex Hippo" ein Bläserinferno, "Le bal des soubrettes" ("Der Ball der Kammerzofen") ein Lustspiel der Sorglosigkeit, "Train fantîme" ("Geisterbahn") eine hochdramtische Rockoper.

Dem ist, zumal als Zugabe zum magischen Dave Holland, nichts hinzuzufügen. Ein versöhnlicher Abschluss der Jazz Open 2011 - die Trommelfelle sind geweiht. (ha)