Vor 80 Jahren erreichen französische Truppen Villingen und Schwenningen. Diesen Tag erleben viele Bürger versteckt und verängstigt.
Zum 80. Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht wird der 8. Mai 2025 in Berlin als „Tag der Befreiung“ einmalig zum gesetzlichen Feiertag.
Während Hitler im Führerbunker mit Gästen seinen Geburtstag feiert, kommt dieser Tag am 20. April 1945 in Villingen und Schwenningen frühzeitig. Die französischen Truppen marschieren in beiden Städten ein. Das Archivale des Monats April des Stadtarchivs VS gibt zum Jahrestag einen Einblick in diesen historischen Tag und seine direkten Folgen.
Versteckt und verängstigt erleben viele Bürgerinnen und Bürger diesen Tag in ihren Kellern. Die Lage gestaltete sich unübersichtlich und unvorhersehbar. Horrormeldungen über plündernde französische Kolonialsoldaten machten die Runde.
In Schwenningen rückten die Soldaten aus Richtung Dauchingen und Weilersbach kommend vor. Einem Hitlerjungen gelang es, einen französischen Panzer mit einer Panzerfaust abzuschießen.
Die Nerven lagen blank
Die Nerven liegen daher auch bei den Franzosen blank, und sie schießen auf alles, was ihnen verdächtig erscheint. Schließlich rollen die Panzer auf den Marktplatz und die Armee besetzt das Feuerwehrhaus, das Rathaus und das Burenhaus. Der damals elfjährige Kurt Ziegler hat seine Erinnerungen an diese Tage im vergangenen Jahr im „Heimatblättle“ veröffentlicht.
Dort heißt es: „Am Freitag 20. April 1945 sollte der Volkssturm vom Bahnhof Schwenningen aus mit dem Zug auf den Heuberg fahren. Dann kamen aber zwei Jagdbomber. Als diese den Zug entdeckten, drehten sie ab, um Verstärkung zu holen. Der Zug wurde dann sofort aus dem Bahnhof geschickt. Bei der Gunnentalbrücke wurde die Lokomotive zusammengeschossen. Abends marschierten die Franzosen von Dauchingen kommend ein. Um 19.30 Uhr war Panzeralarm (drei Sirenenstöße hintereinander). So haben wir vom Einmarsch erfahren. Es wurde später erzählt, dass zu diesem Zeitpunkt die Franzosen schon auf dem Marktplatz standen...Nachdem die Franzosen im Ort waren, musste ich über die Gärten zum Bäcker, um Brot zu holen, um möglichst wenig auf der Straße gesehen zu werden.
Zigaretten geklaut
Der Bereich zwischen Wasenstraße und Mühlweg sowie Randenstraße (heute Adolph-Kolping-Straße) und Beethovenstraße war damals nicht bebaut. Dort wurden deutsche Kriegsgefangene gehalten. Das weiß ich aus Erzählungen des Wirts des Beethovenhauses. Er musste für die Gefangenen kochen. Im Bahnhof stand ein Eisenbahnwagen, in dem Zigaretten für die Soldaten im Lazarett bevorratet waren. Dieser Wagen wurde auch geplündert. Einige von meinen Kameraden hatten auch Zigaretten ergattert. Wir Halbwüchsige rauchten die Beute dann dort, wo heute der Spielplatz auf der Möglingshöhe ist.“
Sohn Helwin Ziegler berichtet aus Gesprächen mit seinem Vater über diese Zeit: „Mein Vater erzählte, dass welche von den Nazi-Oberen an diesem Tag im Kurhaus Bad Dürrheim Führers Geburtstag gefeiert haben. Das Kurhaus solle deshalb als Feierlokalität ausgewählt worden sein, weil es am Ortsrand so gut getarnt war, dass man bei Luftalarm sich nicht hätte in den Keller begeben müssen, sondern hätte weiterfeiern können. Zu dieser Erkenntnis kann er als Elfjähriger nicht aus eigener Wahrnehmung gekommen sein, das muss damals wahrscheinlich die Meinung in der Bevölkerung gewesen sein“.
Gönnenwein übergibt Stadt
Das Hotel Löwen wird zum provisorischen französischen Hauptquartier. Hierher wird auch Oberbürgermeister Dr. Gönnenwein im offenen Jeep gebracht, wo er die Stadt um Mitternacht an den französischen Oberbefehlshaber übergibt und versichert, dass die Zivilbevölkerung keinen Widerstand leisten werde. Direkt am nächsten Tag fordert der im Amt belassene Oberbürgermeister die Bürger per Plakat zur Besonnenheit auf.
Jeder Versuch des Widerstandes sei zu unterlassen und man solle sich den Anordnungen der Besatzungsarmee fügen.
Weiße Fahnen in Villingen
In Villingen war noch am Morgen des 20. Aprils der Befehl eingetroffen, die Stadt unter allen Umständen zu halten und alle Brücken zu zerstören. Doch dazu kam es nie. Die stationierten Wehrmachtstruppen waren im Laufe des Tages abmarschiert, und Nazi-Funktionäre und Parteispitzen hatten gegen 16 Uhr die Stadt verlassen.
Die Abwesenheit der Wehrmacht wurde von den Bürgerinnen und Bürgern genutzt, um sich plündernd, im nun verlassenen Lager der Villinger Garnison, mit Lebensmitteln einzudecken. Bürgermeisterstellvertreter Hermann Riedel hingegen befahl, alle nationalsozialistischen Bilder und Symbole aus dem Rathaus zu entfernen und zu vernichten. Gegen den Geheimerlass des Reichsführers SS Himmler, laut dem aus einem Hause, aus dem eine weiße Fahne erscheint, alle männlichen Personen zu erschießen sind, bereitete er weiße Fahnen vor.
Abends rückten die Franzosen nach und nach in die Stadt ein und trafen auf menschenleere Straßen und nur sehr vereinzelten Widerstand. Am Münsterturm wehten bei ihrem Eintreffen die weißen Flaggen. Im Stammlager für Kriegsgefangene (Stalag) übergab Bürgermeisterstellvertreter Riedel schließlich die Stadt an das französische Militär.
„Besonnen bleiben“
Capitaine Besnier ernannte daraufhin Walter Bräunlich, der seit dem Jahr 1944 Kontakt zum Widerstand pflegte, zum neuen Bürgermeister. Auch er rief per Plakatanschlag die Bevölkerung am 22. April zu Ruhe, Besonnenheit und friedlicher Kooperation mit der französischen Besatzungsmacht auf, um „[…] Eure Stadt und Eure Familien vor weiteren Schäden an Gut und Blut zu bewahren […]“.