Blick auf den Topkapi-Palast in Istanbul Foto: Getty

Die Bauarbeiten an zwei Tunneln bringen den 600 Jahre alten Prachtbau in Istanbul ins Wanken.

Istanbul - Es ist vielleicht eine der schönsten Aussichten der Welt, die die Gäste im Teegarten neben dem Topkapi-Palast in Istanbul genießen konnten: auf Bosporus, Marmarameer und das asiatische Ufer. Im vergangenen Frühjahr brach hier ohne Vorwarnung die Erde unter den Besuchern weg und riss sie in den Abgrund. Zwei Menschen starben unter den Trümmern der Stützmauer, die den alten Palastgarten über dem Bosporus 150 Jahre lang getragen hatte. Im Palast selbst entdeckten Experten wenig später Risse in den Kuppeln eines Pavillons; kurz darauf brach über Nacht ein zwei Meter tiefer Graben im Innenhof auf.

Mit einer Bodenuntersuchung, wie sie Experten schon seit dem Erdbeben von 1999 fordern, gehen die Behörden nun den Ursachen nach. Der Bericht soll im Februar vorgelegt werden. Details sickerten aber bereits an die Presse in der Türkei durch: Zumindest teilweise ist der osmanische Sultanspalast offenbar durch den Bau von zwei Tunneln unter dem Bosporus ins Wanken gebracht worden.

Der Topkapi-Palast ist ein Wahrzeichen von Istanbul. Mit Kuppeln und Türmchen, verschachtelten Innenhöfen und Pavillons und vor allem mit seinen Haremsgemächern beflügelt er die Fantasie der Besucher. Mehr als drei Millionen Touristen aus aller Welt besichtigen alljährlich den 600 Jahre alten Sultanspalast; nach der Hagia Sophia ist er die beliebteste Touristenattraktion in der Türkei. Kostbare Schätze und heilige Reliquien werden hinter seinen Mauern aufbewahrt und ausgestellt, darunter sollen ein Haar aus dem Bart des Propheten Mohammed sowie sein Schwert sein, aber auch der Wanderstab von Moses.

Diese ganze Pracht rutscht langsam ins Marmarameer hinein, warnen Forscher laut einem Bericht der Zeitung „Hürriyet“. Deren Reporter Ömer Erbil hat schon lange dazu recherchiert. So stellte sich nach dem Absturz des Teegartens im Gülhane-Park heraus, dass schon im Jahr zuvor eine  Mauer des Restaurants eingestürzt war, das sich auf dem Museumsgelände befindet. Und schon vor einigen Jahren war ein Wächter beim nächtlichen Rundgang in einen Graben gefallen, der sich im zweiten Innenhof plötzlich unter ihm aufgetan hatte. Tiefe Risse entdeckten Arbeiter im Herbst in den Kuppeln und Wänden des Fatih-Pavillons, der daraufhin für Besucher gesperrt wurde.

Die Bewegungen im Untergrund haben mehrere Ursachen

Verursacht werden die Schäden nach Ansicht der Experten durch Bewegungen im Untergrund der historischen Halbinsel, die wiederum mehrere Ursachen haben. So ist der Boden unter dem Palast weich wie ein Pudding, weil das Entwässerungssystem veraltet ist. Die 25 Meter hohen Stützmauern, die Topkapi in luftiger Höhe über dem Ufer halten, sind nur aus Schutt aufgeschichtet und werden stetig von Pinienwurzeln auseinandergetrieben. Obendrein belastet wird das Gelände durch das Gewicht des Betons, mit dem Kuppeln und Mauern in den 40er bis 60er Jahren verstärkt wurden. Dazu kommt die Gefahr von Erdbeben. Die nordanatolische Verwerfungslinie verläuft nahe am Palast im Marmarameer vorbei.

Um die Bodenbewegungen zu messen, trieben Geologen im vergangenen Jahr 26 seismische Sonden in den Palasthügel hinein. Dabei stellte sich nach Angaben von „Hürriyet“ heraus, dass auch die beim Bau der beiden Tunnel unter dem Bosporus verursachten Erschütterungen den Palast destabilisiert haben dürften. Der „Marmaray“-Tunnel für den Schienenverkehr war nach mehrjähriger Bauzeit 2013 eröffnet worden, der „Eurasien“-Tunnel für den Autoverkehr im vergangenen Dezember. Beide Tunnel zählen zu den großen Prestigeprojekten der türkischen Regierung, die Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan noch als Ministerpräsident eingeleitet hatte und persönlich eröffnete.

Dass ausgerechnet sie das osmanische Erbe der Türkei zum Einsturz bringen könnten, ist eine Ironie, die in Ankara nicht gut ankommt. Kulturminister Nabi Avci dementierte die These gleich. Dafür gebe es keinerlei wissenschaftliche Belege, sagte er und verwies den „Hürriyet“-Bericht ins Reich der urbanen Legenden. Der Untersuchungsbericht werde erst Ende Februar fertig, betonte Avci; entsprechend werde erst dann gehandelt.

Die Tunnel sind Prestigeprojekte Erdogans

Daran glaubt zumindest der führende Experte nicht, der emeritierte Professor Ilber Ortayli, der als langjähriger Direktor des Topkapi-Museums als Koryphäe anerkannt ist. Im Grunde müsste der ganze Palasthügel grundsaniert werden, sagte Ortayli in einem Zeitungsinterview schon im vergangenen Jahr. Doch dazu fehle einfach das Geld. Die Eisenbahnlinie und die Uferstraße, die unterhalb des Palastes an der Küste entlang verlaufen, müssten weg, forderte Ortayli. Doch stattdessen wird mit Hochdruck an einem Ausbau der Straße gearbeitet.