Das neue Zentrum für Islamische Theologie an der Universität Tübingen. Foto: Horst Haas

Am Islamzentrum der Universität Tübingen wächst der Einfluss des Moscheeverbands Ditib. Die Landesregierung sieht dennoch keinen Grund zur Sorge.

Danksagungen in Büchern geben Hinweise auf Mentoren, geistige Wegbereiter oder Denkschulen, denen sich ein Autor oder eine Autorin verpflichtet fühlt. Genauso verhält es sich auch beim Buch des Ditib-Chefs Muharrem Kuzey über den Gelehrten Sayh al-islam Ibn Kemal aus osmanischer Zeit, der sich mit Ketzerei auseinandergesetzt hat. Und es ist bemerkenswert, wen der Ditib-Mann da im Vorwort hervorhebt: „Mein erster Dank gebührt Herrn Prof. Dr. Ali Dere, der meinen akademischen Werdegang stets unterstützt hat“, und weiter betont er, „dessen Vertrauen ich von Anfang an genoss“. Kuzey dankt auch „Herrn Prof. Dr. Erdal Toprakyaran für sein mir entgegengebrachtes Vertrauen recht herzlich“.

 

Ditib-Chef Kuzey studiert in Tübingen

Kuzey ist der Bundesvorsitzende des umstrittenen Moscheeverbands Ditib. Das Buch ist Kuzeys Doktorarbeit, die er an der Universität Tübingen verfasst hat. Ali Dere ist von 2011 bis 2012 ebenfalls Ditib-Chef gewesen. Er gilt als Initiator des internationalen Theologieprogramms UIP für Abiturienten aus Deutschland in der Türkei. Er war im Wintersemester 2012/13 am an der Uni Tübingen neugegründeten Zentrum für islamische Theologie (Zith) Gastprofessor für Hadith-Wissenschaft, für die Überlieferung des Propheten. Erdal Toprakyaran ist dort Professor für islamische Geschichte und Gegenwartskultur und bis vor kurzen Zith-Direktor. Er zeigt seit Jahren eine große Nähe zu Ditib.

Eine enge Verflechtung zwischen dem Moscheeverband und dem Zith und deren negative Folgen nähren neue Zweifel an der Etablierung der islamischen Theologie als unabhängige Wissenschaftsdisziplin in Tübingen. Ditib ist der größte Islamverband. Rund 1000 aus der Türkei entsandte Imame betreuen rund 900 Moscheen. Der Verband untersteht der türkischen Religionsbehörde Diyanet. Die Diyanet untersteht dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan und bestimmt auch den Ditib-Bundesvorstand.

Diyanet-Chef Ali Erbas, der auch schon mit dem Schwert in der Hand in der zur Moschee umgewandelten Hagia Sophia in Istanbul gepredigt hat, lobte die radikalislamische Hamas nach ihrem Massaker in Israel im vergangenen Herbst und hetzte gegen Israel als „rostigem Dolch im Herzen der islamischen Geografie“. Auch Ditib gerät immer wieder in die Schlagzeilen: mit einer Konferenz mit führenden Köpfen der Muslimbrüder, Kindern, die als Soldaten verkleidet Krieg spielen, mit Gebeten für den Sieg über die Kurden. Im vergangenen Herbst trat ein Taliban-Funktionär in der Ditib-Moschee in Köln auf. Über derlei Umtriebe regt sich die deutsche Politik regelmäßig auf, um dann aber nicht viel dagegen zu tun.

Pflege der politreligiösen Landschaften

In Tübingen pflegt Professor Toprakyaran die politreligiösen Landschaften intensiv: Da begrüßt ihn Mentor Ali Dere als Gastredner auf einem Ditib-Seminar schon 2012. Toprakyaran war da noch an der Uni Frankfurt. Es folgen etliche Besuche bei der Ditib in Köln. Oder im März 2017, gemeinsam mit den Vertrauten Ali Dere und Muharrem Kuzey in der Diyanet-Zentrale in Ankara, was Letzterer auf seinem Facebookprofil postet.

Der Tübinger Erdal Toprakyaran (3.v.l.) im März 2017 in der Diyanet-Zentrale in Ankara, neben Muharrem Kuzey, heutiger Ditib-Chef (1.v.l.), Mehmet Görmez, damaliger Diyanet-Präsident (3.v.r.) und dem Vertrauten Ali Dere (2.v.l.) Foto: Screenshot StZN/Facebook Kuzey

Bemerkenswert auch die regelmäßigen Gegenbesuche der Ditib-Spitzen in Tübingen. Bei der neuen Uni-Rektorin, Prof. Karla Pollmann etwa. „Ich bin dieser Uni und dieser Stadt sehr verbunden“, kommentiert Kuzey auf Facebook seinen Antrittsbesuch bei Pollmann im Mai 2023. Im Mai 2024 geht es im Gespräch mit der neuen Zith-Direktorin, Professorin Lejla Demiri, die in der Türkei islamische Theologie studiert hat, um die neue Imamausbildung von Ditib. Kuzey betont „den Bedarf einer engeren Zusammenarbeit“. Wie viel enger kann diese Zusammenarbeit noch werden mit einem Verband, der laut wissenschaftlichem Dienst des Bundestages „unter dem Einfluss des türkischen Staats“ steht? Und trotzdem die Anerkennung als Religionsgemeinschaft anstrebt.

Erdal Toprakyaran (Mitte) neben dem heutigen Ditib-Chef Muharrem Kuzey (r.) und Ali Dere (l.) vor einer Moschee in Ankara im März 2017. Foto: Screenshot StZN/Facebook/Kuzey

Am Tübinger Zith hat von Anfang an ein von Ditib dominierter Beirat in theologisch-inhaltlichen Fragen bei der Ausgestaltung der Lehre oder bei der Einstellung von Lehrpersonal – vergleichbar mit den christlichen Fakultäten – Mitsprache. An der Spitze des Gremiums steht seit 2012 der Ditib-Funktionär Gürcan Mert, ein Bau-Manager, der zunächst Betriebswirtschaft in Paderborn und dann in Theologie in Ankara studiert hat. Ein Zith-Absolvent, der Tübingen kürzlich enttäuscht den Rücken gekehrt hat, klagt über die gravierenden Folgen des wachsenden Ditib-Einflusses am Zith für die Lehre: „Toprakyaran besetzt wissenschaftliche Mitarbeiterstellen nur mit Türken, die von Ditib oder Milli Görüs geprägt sind“, sagt der Ex-Student mit Blick auch auf die islamistische Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Toprakyarans Doktoranden haben fast alle Ditib-Bezüge. Resigniert meint der Mann: „Die Verbindungen zwischen Zith und Ditib sind von Uni-Leitung und Politik gewollt.“

Ehemaliger Student: Verbindungen zu Ditib sind gewollt

Enttäuscht zeigt sich der Ex-Student auch von Mitstudenten. Viele seien kaum studierfähig und wünschten sich eher fromme Predigten statt Wissenschaft. Dazu passen die Erkenntnisse einer Studie über die Wertvorstellungen angehender islamischer Religionslehrer und Theologen, an der auch Zith-Studenten teilnahmen. Demnach vertreten viele Studenten islamistische, antiwestliche und antisemitische Positionen – so befürworten 25 Prozent eine Islamisierung des Rechtssystems und 47 Prozent sprechen Israel eher oder vollends „die Existenzberechtigung“ ab. Die Studienautoren von der Uni Münster: Die Islamverbände mit religiös-orthodoxen Vorstellungen übten „erheblichen Einfluss“ auf Studium und Karriere der Studenten aus.

Hat Ditib versucht, Stellenbesetzungen zu beeinflussen?

Macht der Ditib-Einfluss offenbar nicht einmal vor der Neubesetzung einer Professur halt? Das Rektorat bricht jedenfalls auf Zith-Beschluss laut Unterlagen, die unserer Zeitung vorliegen, im Winter 2022 ein Berufungsverfahren für die verwaiste Professur in Praktischer Theologie ab, obwohl eine Kommission eine Kandidatin kürte. Wollten Toprakyaran und Demiri einen Ditib-nahen hausinternen Mitbewerber durchsetzen?

Die Uni weist alle Vorwürfe zurück: Ditib sei im Zith-Beirat vertreten, „mit dem „sein Direktor bzw. seine Direktorin vertrauensvoll zusammenarbeiten“, so ein Sprecher. Rektorin Pollmann wollte sich nicht äußern. Toprakyaran stelle Mitarbeiter „alleine nach Kriterien der Qualität und der fachlichen Eignung ein“. Der Sprecher weiter: Das Zith arbeite „wissenschaftlich unabhängig ohne Einfluss von außen.“ Toprakyaran, der bei der Gemeinderatswahl 2024 als CDU-Kandidat ins Rennen ging, sagt nichts. Auch die neue Zith-Direktorin Demiri schweigt. Beide verweisen auf die Uni-Pressestelle.

Heikel für die Landespolitik

Auch die Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne) zeigt sich von den Vorgängen am Zith unbeeindruckt. Dabei gab sie sich zum Umgang mit muslimischem Antisemitismus nach dem Hamas-Terror auf Israel selbstkritisch. „Wir haben die Dinge kleingehalten, damit wir so weiter leben konnten, wie bisher“, sagte sie bei einer Diskussion mit Michel Friedmann im Frühjahr.

Nun aber meint sie: „Das Zentrum für Islamische Theologie hat Pionierarbeit für die Etablierung einer islamischen Theologie im deutschen Wissenschaftssystem geleistet“, so Olschowski. „Es trägt den interreligiösen Dialog, den wir in unserer Gesellschaft dringend brauchen, in die Schulen und in die Gesellschaft.“ Und ihr Ministerium schiebt nach: Es lägen keine Informationen über einen zunehmenden Einfluss von Ditib vor. Will die Ministerin also doch weiter „die Dinge kleinhalten“?

Kretschmann will in Kürze Neubau am Theologie-Campus einweihen

Kritiker treiben Zweifel um: Ein Dialog mit derlei Akteuren? Und: Wie soll unter Bedingungen wie am Zith die Ausbildung moderner islamischer Religionspädagogen gelingen, die helfen sollen, einen mit der freiheitlichen Gesellschaft verträglichen Islam in Deutschland heimisch zu machen?

Für die Landespolitik ist die Entwicklung am Zith, das schon wegen Animositäten unter den Professoren, Organisationschaos („Intrigantenstadl“) und Bezügen zu den radikalen Muslimbrüdern im Gerede war, heikel. Der aufgedeckte Ditib-Filz kommt zur Unzeit: Ministerpräsident Winfried Kretschmann will in Kürze den Zith-Neubau am Tübinger Theologie-Campus einweihen.

Das Tübinger Islamzentrum

Gründung
 2011 wurde das Zentrum für Islamische Theologie (Zith) an der Uni Tübingen als erstes in Deutschland gegründet. Weitere Einrichtungen gibt es in Erlangen, Frankfurt, Münster und Osnabrück sowie in Berlin, Paderborn und Hamburg. Die Wissenschaftsrat empfahl, den islamischen Glauben und die Glaubenspraxis in Deutschland adäquat zu berücksichtigen.

Kosten
 Der Bund fördert den Aufbau des Instituts bisher mit rund 7,5 Millionen Euro. Das Land hat bisher rund 14,4 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, unter anderem für einen Neubau in Tübingen und sechs Professuren. Derzeit studieren laut Uni 113 Studierende, die große Mehrheit als Lehramtsstudenten. Laut Gremienwahlen vom Sommer sind es nur 89. Hinzu kommen etwa 40 Doktoranden.

Kontroversen
  2019 berichtete unsere Zeitung über Dozenten, die Verbindungen zur islamistischen Muslimbruderschaft unterhielten. Ein Professor für Praktische Theologie, Abdelmalek Hibaoui, nahm an einer Konferenz in Ankara teil, auf der zur Vernichtung Israels aufgerufen wurde. Die Uni-Leitung wies die Vorwürfe zurück, versprach Leitlinien zum Umgang mit Personen und Einrichtungen aus dem radikalen Spektrum. Hibaoui wurde 2021 entlassen. Die Leitlinien wurden laut Uni „angestoßen“, aber nie ratifiziert und veröffentlicht.