Freiwillige Iraker wollen die Armee des Landes gegen die Isis-Rebellen unterstützen. Foto: dpa

Experten warnen vor einem Kollaps des Irak – mit Erschütterungen weit über die Krisenregion Nahost hinaus. Im Kampf gegen die Isis-Rebellen zeigt sich Teheran offen für eine Zusammenarbeit mit seinem Erzfeind.

Experten warnen vor einem Kollaps des Irak – mit Erschütterungen weit über die Krisenregion Nahost hinaus. Im Kampf gegen die Isis-Rebellen zeigt sich Teheran offen für eine Zusammenarbeit mit seinem Erzfeind.

Bagdad - Bis vor etwa einer Woche kannte kaum jemand den Namen Abu Bakr al-Baghdadi. Das änderte sich, als die von ihm geführten Truppen des Isis (Islamischer Staat im Irak und Syrien) die irakischen Städte Mossul und Tikrit gewaltsam einnahmen. Die Situation im Irak ist kritisch. Isis, eine skrupellose und blutrünstige Terrororganisation, destabilisiert den Irak und stellt für dessen Bevölkerung eine ernst zu nehmende Bedrohung dar. Nach dem brutalen Vormarsch von Isis hat die Armee nach eigenen Angaben am Wochenende eine Gegenoffensive gestartet.

Bei heftigen Gefechten kamen mehr als 30 Menschen ums Leben, darunter mindestens zehn Zivilisten. Weitere zwölf Menschen starben bei einem Selbstmordanschlag in Bagdad. Auf Fotos und Videos im Internet zeigten Isis-Extremisten Auspeitschungen, Erschießungen und Massengräber. Experten warnten vor einem Kollaps des multiethnischen Staates Irak – mit Erschütterungen weit über die Krisenregion Nahost hinaus.

Bisher sind schätzungsweise eine Million Menschen auf der Flucht. Die von Ministerpräsident Nuri al-Maliki geführte Regierung in Bagdad scheint mit der Situation überfordert. Als Reaktion auf die Eskalation entsandten die USA am Wochenende Kriegsschiffe an den Persischen Golf. Der Flugzeugträger „USS George H. W. Bush“ wurde von einem mit Raketen bestückten Kreuzer und einem Zerstörer begleitet. Damit solle US-Präsident Barack Obama zusätzliche Flexibilität gegeben werden, sollten militärische Optionen nötig werden, um das Leben von Amerikanern und Interessen im Irak zu schützen, teilte das US-Verteidigungsministerium mit. Nach dem Irak-Krieg (2003 bis 2011) hatte Obama zwar eine Rückkehr von US-Kampftruppen in das Land ausgeschlossen. Andere militärische Optionen hielt er sich aber offen.

Durch die aktuelle Krise im Irak besteht eine ernsthafte Chance auf Annäherung zwischen den USA und dem Iran und die Aussicht auf langfristige Stabilität im Nahen Osten. Der iranische Präsident Hassan Rohani zeigte sich offen für eine Zusammenarbeit mit den USA im Kampf gegen Isis. Allerdings müsse die Initiative von den Amerikanern ausgehen. Teheran und Washington stehen somit auf derselben Seite – eine Situation, die nicht oft vorkommt.

Allerdings haben sich die Beziehungen zwischen dem Iran und den USA seit der Wahl Hassan Rohanis zum Präsidenten im vergangenen Jahr entspannt. Die laufenden Atomverhandlungen zwischen Teheran und der internationalen Gemeinschaft befördern diese Entwicklung. Die Irak-Krise bietet nun eine weitere Möglichkeit zur Zusammenarbeit. Diese bleibt nach drei Jahrzehnten erbitterter Feindschaft zwischen den beiden Staaten allerdings kein leichtes Unterfangen. Vorteile hätten beide Seiten.

Kooperieren die Amerikaner mit den Iranern in dieser Angelegenheit, könnten sie nicht nur den Vormarsch der sunnitischen Extremisten im Irak aufhalten. Dem iranischen Präsidenten fehlt der Handlungsspielraum zur Durchsetzung wichtiger innenpolitischer Reformen. Seine Regierung sieht sich scharfen Angriffen aus dem rechten Lager ausgesetzt. Konservative Klerikale und Revolutionsgarden (eine paramilitärische Organisation des Iran) wollen eine Annäherung an den Westen um jeden Preis verhindern. Die Revolutionsgarden haben weite Teile der Wirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht. Eine Verbesserung der Beziehungen zum Westen würde ihren wirtschaftlichen Einfluss zurückdrängen und Rohani den Spielraum ermöglichen, den er benötigt.

Der sunnitische Isis kämpft im Irak gegen Schiiten, die sie als „Abweichler“ von der wahren Lehre des Islams ansieht. Kritiker werfen dem schiitischen irakischen Regierungschef Nuri al-Maliki vor, über Jahre die sunnitische Minderheit im Land diskriminiert und so zu einer Spaltung des Irak beigetragen zu haben. Die Sunniten waren früher die Machtbasis von Diktator Saddam Hussein, der wiederum Schiiten brutal unterdrückte.

Auch deshalb ist der Iran in höchster Alarmbereitschaft: Die iranische Führung und die Mehrheit der iranischen Bevölkerung sind Schiiten. Die iranische Führung beobachtet die Isis-Offensive und den drohenden Bürgerkrieg im Irak daher mit wachsender Sorge. Fast stündlich berichten die staatlichen Nachrichtenagenturen über die Entwicklungen im Nachbarstaat. Das ist nicht verwunderlich, verbindet den Iran doch eine 1450 Kilometer lange Grenze mit dem Irak. Teheran fürchtet um seine eigene Sicherheit, um die der Schiiten in der Region und der heiligen Stätten im Irak, wie der heiligen Stadt Kerbala. Die radikalislamischen Isis-Extremisten werden als existenzielle Bedrohung wahrgenommen.

Die aktuelle Irak-Krise zieht weite Kreise: Denn es geht auch um den Kampf Irans, Saudi-Arabiens und der Türkei um die Vorherrschaft im Nahen Osten. Der Nahe Osten ist gespalten, nicht nur zwischen Schiiten und Sunniten, sondern auch zwischen der nichtarabischen und der arabischen Welt – mit ihren inoffiziellen Führern König Abdullah von Saudi-Arabien, Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi und Scheich Mohamed bin Zayed Al Nahyan, dem Kronprinzen von Abu Dhabi. Für den saudischen König Abdullah wird mit dem Isis-Vormarsch ein Traum wahr. Waren ihm doch die Regierung in Bagdad und der schiitische Ministerpräsident Nuri al-Maliki ein Dorn im Auge.

Doch auch der Iran beobachtet die Situation im Irak nicht ohne Genugtuung. Immerhin hatte die iranische Führung seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs vor den Dschihadisten gewarnt. Der Iran macht Washington, die Türkei und die arabische Welt für das Erstarken der islamistischen Terrormiliz verantwortlich. Er wirft ihnen vor, die Rebellen in Syrien unterstützt und dadurch die Situation im Irak herbeigeführt zu haben.