Isabell Werth freut sich über ihren Sieg auf Wendy de Fontaine Foto: dpa/Uwe Anspach

Isabell Werth, die erfolgreiche Dressurreiterin und Ikone ihres Sports, startet bei Olympia in Paris mit der zehnjährigen Rappstute Wendy de Fontaine des umstrittenen Dänen Andreas Helgstrand – dessen Stall steht wegen Tierquälerei am Pranger.

Bei der Schlussaufstellung kürzlich in der Aachener Soers, als Pferd und Reiterin stillstehen wie ein Monument, sinkt Isabell Werth zuerst nach vorne in sich zusammen, dann richtet sie ihren Blick gen Himmel – gerade so, als wollte sie sagen: Was für ein Glück, dass mir der Heilige St. Georg, der Schutzpatron der Reiter, diese Stute geschickt hat! Um Haaresbreite hätte die erfolgreichste Dressurreiterin der modernen Turniergeschichte die Olympischen Spiele in Paris verpasst. Doch sie hat die allerletzte Chance genutzt und sich mit drei Siegen bei drei Starts das Ticket gesichert.

 

Man spürt geradezu, wie sich in Isabell Werths Kopf die Gedanken überschlagen, die Emotionen treiben ihr Tränen ins Gesicht. „Es ist unglaublich. Heute war unser Tag“, sagt die 54-Jährige nach dem abschließenden Sieg in der Kür mit 89,095 Prozentpunkten – absolutes Weltklasseniveau – mit der zehnjährigen Stute Wendy de Fontaine, auf die sie zuletzt umgesattelt hat. Das Pferd stammt aus dem Beritt eines Dänen, der seit knapp einem Jahr wegen Tierquälerei am Pranger steht: Andreas Helgstrand.

Helgstrands Mitarbeiter sind überführte Täter

Rückblende: Im Herbst 2023 taucht im Internet ein erschreckendes Video aus der Reitbahn des dänischen Spitzenreiters auf, heimlich gedreht von einem privaten TV-Sender. Die Bereiter des weltweit agierenden Pferdehändlers züchtigen und knebeln ihre Pferde bei der Trainingsarbeit, setzen sie ruppig und rücksichtslos unter Druck. Die Reiterszene ist schockiert. Der dänische Verband reagiert sofort, schließt den 46-Jährigen aus dem Olympiakader aus, sperrt ihn für zwei Jahre. Helgstrands Vater Ulf, der Präsident des Verbandes, tritt zurück.

Andreas Helgstrand räumt die Verfehlungen sofort ein, schiebt die Schuld jedoch seinen Bereitern zu, ist selbst auf dem Video nicht zu sehen: „Es stimmt, dass in meinem Stall nicht sachgerecht gearbeitet worden ist. Das tut mir unendlich leid. Ich habe Maßnahmen ergriffen, damit so etwas nie wieder vorkommt.“ Unter anderem, so kündigt er an, „werden wir Überwachungskameras installieren“. Die nahe liegende Frage aber, weshalb seine Mitarbeitenden von ihm nicht klipp und klar instruiert waren, wie man mit jungen Pferden in der Ausbildung umgeht, was man ihnen abverlangen und zumuten darf und was nicht – diese Antwort bleibt er bis heute schuldig.

„Müssen an Grenzen gehen“

Im Januar 2024 kursiert auf den hippologischen Internetseiten dann eine überraschende Neuigkeit: Andreas Helgstrand, so heißt es da, habe nach dem „Aus“ für seine eigenen Olympiapläne sein bestes Pferd, die zehnjährige dänische Stute Wendy de Fontaine, an Isabell Werth abgegeben. Die sagt dazu: „Im Training und in der Ausbildung unserer Spitzenpferde müssen wir an Grenzen gehen. Dazu stehe ich. Bei Andreas habe ich bei meinen Besuchen in Dänemark noch nie einen Missbrauch gesehen.“

Werth und Helgstrand, diese beiden Weltklassereiter, kennen sich seit Langem, sind geschäftlich eng verbunden. Beispielsweise vermittelte Werth 2021 den Verkauf des damals neunjährigen hannoverschen Sport- und Zuchthengstes D’Avie aus dem Stall Helgstrand an den bayerischen Fußballstar und Pferdezüchter Thomas Müller und seine reitende Frau Lisa. Der Kaufpreis dieses international gefragten Vererbers dürfte bei schätzungsweise drei bis fünf Millionen Euro liegen, womöglich noch darüber.

Wendy statt Quantaz

Isabell Werth, aktuell die Nummer zwei der Weltrangliste, hat es mal wieder geschafft, ein noch junges Pferd binnen weniger Monate um eine oder gar zwei Klassen besser zu machen, als es dem Ausbildungsstand des Pferdes zum Jahresbeginn entsprach. Ein erneuter Beweis für ihre überragende Reitkunst. Die allerdings war auch bitter nötig, denn Isabell Werth hat die alte Garde ihrer Erfolgspferde aufs Altenteil schicken müssen: Bella Rose, Weihegold, Don Johnson und zuletzt Emilio. Übrig geblieben ist nur der 14-jährige Hengst Quantaz, der jedoch nicht gut genug für die obersten Plätze auf dem Treppchen ist. Mit dem Braunen hätte sie die Nominierung für Olympia nicht geschafft. Doch nur als Reservereiterin wollte Werth unter gar keinen Umständen nach Paris reisen. Deshalb drängte sie die Bundestrainerin Monica Theodorescu, auf der sogenannten Longlist für Olympia die talentierte Wendy gegen den braven Quantaz eintauschen zu dürfen.

Die Tatsache also, dass Helgstrands bestes Pferd in Werths Stall nach Rheinberg am Niederrhein kam, hat sich für sie als Glücksfall erwiesen. Ihre Freundin und Mäzenin Madeleine Winter-Schulze hat einmal mehr tief ins Portemonnaie gegriffen, um ihr zu helfen in höchster Not. Helgstrand bleibt ein Mitbesitzer, Werth hat letztlich, so kurios es klingt, von der Rücksichtslosigkeit des Dänen und seiner Leute profitiert. Wie es mit denen juristisch weiter geht, ist unklar.

Der Traum von der nächsten Olympia-Medaille

Die siebenmalige Olympia-Goldgewinnerin Isabell Werth bereitet sich und ihre Wendy auf Paris vor. Am 30. Juli beginnen die Wettkämpfe vor dem Schloss von Versailles. Bundestrainerin Monica Theodorescu sagt: „Isabell hat mit diesem jungen Pferd einmal mehr ihre Erfahrung im Sattel, ihre Empathie und auch ihren Ehrgeiz bewiesen. Das ist einmalig. Ihr Erfolg überrascht mich nicht. Unsere Chancen auf eine Medaille mit dem Team sind damit gestiegen.“

Schon halten es die Fans von Isabell Werth ernsthaft für möglich, ja sogar für wahrscheinlich, dass sie bei der Vergabe der olympischen Einzelmedaillen in Paris ebenfalls ein Wörtchen mitsprechen wird. Aber wie auch immer es ausgeht – ein Geschmäckle bleibt.