Mehr Drama geht kaum als bei der aktuellen Ausdgabe des Ironman auf Hawaii: Patrick Lange steht vor der Aufgabe, aber sein Wille siegt. Titelverteidiger Jan Frodeno plagen Rückenschmerzen, doch er schleppt er sich bis ins Ziel.
Kailua-Kona - Es gehört vielleicht zur allerletzten Tücke des härtesten Triathlon-Rennens der Welt, dass der Weg durchs Zieltor beim Ironman Hawaii noch einen minimalen Anstieg bereithält. Patrick Lange hatte alles gerichtet: den Reißverschluss seines blauen Anzugs hochgezogen, eine schwarz-rot-goldene Flagge in Hand genommen, als der Triumphator beinahe noch stolperte. Es ist dann doch noch alles gut gegangen, und bald kniete der neue König von Kona freiwillig nieder.
„Es ist völlig unglaublich. Ich träume davon, seit ich ein kleiner Junge bin“, sagte der 31-Jährige, der sich nicht nur als sechster deutscher Hawaii-Sieger, sondern auch als neuer Streckenrekordhalter mit fast surreal anmutenden 8:01:40 Stunden in den Annalen verewigt hat. Der Triathlet des DSW Darmstadt war auf dem letzten Teilstück der Laufstrecke wie ein Expresszug zuerst am späteren Vierten Sebastian Kienle (8:09:59) und am lange führenden Kanadier und Zweitplatzierten Lionel Sanders (8:04:07) vorbei gezogen. Dritter wurde der Brite David McNamee (8:07:11).
Die Tränen des Siegers
Den strahlenden Sieger wollten Lebensgefährtin Laura-Sophie Usinger und Vater Wolfgang zunächst im Zielbereich gar nicht mehr loslassen. Als Lange sich die stachelige Krone aufs Haupt stülpte, befiel ihn nach der brutalen Tortur die totale Leere. Ein nicht endender Weinkrampf überlagerte das erste Siegerinterview. Und wo er sich im Vorjahr nach seinem dritten Platz bei Mark Allen entschuldigte, den Marathon-Rekord (2:39:45 Stunden) der Ironman-Legende entrissen zu haben, bat er nun Craig Alexander um Verzeihung, die aus 2011 stammende Bestmarke von 8:03:56 Stunden so krass unterboten zu haben.
Der in Bad Wildungen aufgewachsene, aber längst in Darmstadt beheimatete Triathlet fand erst wieder zu sich, als er auf dem Ali’i Drive einen Fan im Trikot des SV Darmstadt 98 erspähte. Dann dankte er seinen „Hometown Football Club“ und erwähnte den Namen „Johnny“. Sollte heißen: Die Inspiration, die sich die Lilien einst bei ihrem Durchmarsch bis in die Bundesliga beim krebskranken Jonathan Heimes holten, der sich lange so tapfer durch sein zu kurzes Leben kämpfte, hat auch der Eisenmann Lange für sich entdeckt – nur bisher selten öffentlich thematisiert. Das dürfte nun anders werden.
Die letzten deutschen Hawaii-Sieger – Sebastian Kienle (2014) und Jan Frodeno (2015 und 2016) – können berichten, welche mediale Vereinnahmung auch dem gelernten Physiotherapeuten in der boomenden Sportart bevorsteht. Am besten gibt er sich einfach so authentisch wie am ZDF-Mikrofon, als der von Adrenalinschüben übermannte Triumphator tiefe Einblicke in seine aufgewühlte Seele gewährte. „Ich wollte aussteigen, weil ich richtige Scheiß-Beine hatte. Ich weiß aber, dass solche Tiefpunkte kommen.“ Den einen Moment habe er Gänsehaut am ganzen Körper genossen, den anderen Kilometer seien Gedanken aufgekommen wie: „Ich springe gleich ins Meer.“ Schlussendlich erging es ihm wie vielen der 2400 Teilnehmer, die sich über 3,86 Kilometer Schwimmen im tückischen Pazifik, 180 Kilometer Radfahren in der flirrenden Lavawüste und 42,195 Kilometer Laufen auf glühendem Asphalt in mentale Grenzbereiche begeben: „Das ist eine Gefühlsachterbahn hoch tausend.“
Kaum einer traute Lange den Sieg zu
Letztlich gelang dem 63-Kilo-Leichtgewicht eine Ausnahmeleistung, die ihm nach einer monatelangen Zwangspause im Frühjahr durch ein Knochenmarködem im Fuß kaum einer zugetraut hatte. Als er sich vor drei Monaten bei der Ironman-Europameisterschaft in Frankfurt mit heftigen Beeinträchtigungen als Sechster an den Römer rettete, galt er nicht mehr als podiumsverdächtig für die Weltmeisterschaft auf Hawaii. Ein Trugschluss.
Vor allem Trainer Faris al-Sultan und Manager Jan Sibbersen – der eine selbst Hawaii-Sieger 2005, der andere früherer Profi-Triathlet – war es nur Recht, dass sich die öffentliche Wahrnehmung vorher zuvorderst auf Frodeno und Kienle richtete. So konnte sich ihr Zögling entspannt unter dem Radar bewegen. Ähnlich gestaltete der frühere Mountainbiker auch den Rennverlauf. „Ich dachte nur, jetzt musst du Sanders schocken“, beschrieb er seinen letzten Überholvorgang bei Kilometer 37 auf dem Queen K Highway, wo er den einst von Drogenproblemen und Selbstmordgedanken gepeinigten Konkurrenten abschüttelte wie eine lästige Fliege.
Dass auf Big Island nichts wirklich planbar ist, demonstrierte unfreiwillig Topfavorit Frodeno. Ausgerechnet an dem Tag, auf den fast ein Jahr Vorbereitung ausgerichtet war, streikte der Rücken. Der Doppel-Weltmeister fand keine richtige Erklärung: „Ich weiß auch nicht, was da los war.“ Vielleicht mündete der selbst erzeugte Druck in dieser körperlichen Blockade. Unter immensen Schmerzen krümmte sich Frodeno wiederholt am Straßenrand, suchte verzweifelt Rücksprache mit Ehefrau Emma Snowsill. Dass sich der 36-Jährige nicht zur Aufgabe entschloss, sondern bei 9:15:44 Stunden finishte, dürfte ihm vielleicht auf Sicht mehr Achtung einbringen, als wenn ihm wie selbstverständlich der Titel-Hattrick gelungen wäre. Weil Frodeno damit genau jenem Spirit folgte, auf den sich der mythenbehafteten Ruf des Ironman Hawaii begründet.