„Bild“-Chef Julian Reichelt wurde neuer schwerer Vorwürfe wegen freigestellt. Foto: imago/

Dirk Ippen, Mehrheitsaktionär der Ippen-Mediengruppe, hat eine Enthüllungsgeschichte über „Bild“-Chef Julian Reichelt verhindert. Seine Journalisten sind empört.

Stuttgart - Wenn Journalisten monatelang recherchieren, dann hoffen sie, ihre Geschichte möge als Paukenschlag viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dem Investigativteam des Ippen-Verlags, zu dem unter anderem die Tageszeitung „Frankfurter Rundschau“ und das Netzmagazin „Buzzfeed Deutschland“ gehören, ist so ein Paukenschlag geglückt – aber anders als gedacht. Rund ein halbes Jahr lang hat das Team zu Gebaren und Führungsstil des „Bild“-Chefredakteurs Julian Reichelt ermittelt. Am Sonntag hätten die Erkenntnisse veröffentlicht werden sollen. Das allerdings ist am Einspruch von Altverleger und Mehrheitsaktionär Dirk Ippen gescheitert.

An die Öffentlichkeit kam der ganze Vorgang dennoch – und am Montagabend hat der Axel-Springer-Verlag Reichelt mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben entbunden. Man habe „neue Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten von Julian Reichelt gewonnen“, gab der Verlag auf seiner Website bekannt. Reichelt habe „auch nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt“.

Im Frühjahr waren Vorwürfe einer toxischen Männerkultur und eines miesen Führungsstils bei „Bild“ nach außen gedrungen – und die Andeutung, Reichelt habe sexuelle Grenzen überschritten. Diese Metoo-Komponente zwang den Springer-Verlag, externe Prüfer der Wirtschaftskanzlei Freshfields ins Haus zu holen. Ja, befanden die sehr zügig, der Führungsstil bei „Bild“ sei fehlerbehaftet gewesen. Vom Vorwurf sexueller Vorteilsnahme oder gar Erpressung aber wurde Reichelt freigesprochen. Der entschuldigte sich für gemachte Fehler und bekam für Personalführungsfragen Alexandra Würzbach als zweite Chefredakteurin an die Seite gestellt.

Beförderung gegen Sex

Was bei Ippen nicht zu lesen war, fand unter anderem via „New York Times“ den Weg in die Öffentlichkeit. Die US-Zeitung hat eine kritische Begutachtung von Springers Verlagskultur veröffentlicht, die sich auf dasselbe Material wie das Ippen-Team stützt. Zitiert wird aus den Protokollen der Untersuchung bei „Bild“, die klare Aussagen weiblicher Redaktionsmitglieder über Affären mit Reichelt, über Druck, Lügen und Vorteilsgewährung enthalten. Es sei üblich bei „Bild“, heißt es da etwa, dass man einen besseren Job bekomme, wenn man mit dem Chef schlafe. Hintergrund der Berichterstattung sind die wachsenden Aktivitäten von Springer auf dem US-Medienmarkt. Der Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner präsentiert sich dort gern als weißer Ritter der Zunft: durchdrungen von Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, eingeschworen auf die journalistische Ethik, willens und fähig, die Herausforderungen der digitalen Epoche zu meistern.

Springer und der US-Markt

Dirk Ippen begründete seine Blockade der Enthüllungsgeschichte des eigenen Investigativ-Teams nicht mit handwerklichen oder juristischen Bedenken, sondern mit einer sehr konservativen Auslegung journalistischer Unabhängigkeitsregeln. Das konzerneigene Münchner Boulevardblatt „TZ“, ließ er via Branchendienst „Meedia“ wissen, stehe in München in direkter Konkurrenz zur „Bild“-Zeitung. Für ihn gehöre es aber zu den ältesten Grundsätzen des Journalismus, dass „der Anschein vermieden werden muss, es könnten neben publizistischen auch wirtschaftliche Motive hinter einer Kritik am Wettbewerber stehen.“

Seltsame Grundsätze

Das mag beim ersten Hören ältlich ehrbar wirken, dem Nachdenken hält es nicht stand. Durch das Internet steht längst jedes Medium mit jedem in Konkurrenz. Kritische Medienberichterstattung würde damit nach Ippens Grundsätzen ein Ding der Unmöglichkeit. Entsprechend empört fallen die Reaktionen in der Zunft aus. Die Journalistenverbände protestieren und sehen das Ganze als schwerwiegenden Eingriff in die Pressefreiheit. Ippens Investigativteam nennt den Vorgang in einem Protestschreiben, das vom Internetmagazin „Übermedien“ veröffentlicht wurde, einen „Vertrauensbruch“.

Den besten Beweis für die Relevanz der Recherchen liefert die Reaktion von Springer. „Wir hätten den mit der Redaktion und dem Verlag eingeschlagenen Weg der kulturellen Erneuerung bei ,Bild’ gemeinsam mit Julian Reichelt gerne fortgesetzt. Dies ist nun nicht mehr möglich“, teilt der Verlag im Tonfall der Endgültigkeit mit. Nachfolger von Reichelt wird Johannes Boie, derzeit Chefredakteur von „Welt am Sonntag“.

Die Ippen-Verlagsgruppe

Print
 Ausgehend vom „Westfälischen Anzeiger“, den er von seinen Eltern übernahm, hat der Verleger Dirk Ippen eine Verlagsgruppe aufgebaut, zu der unter anderem die „Frankfurter Rundschau“, der „Münchner Merkur“ und die „Hesssische/Niedersächsische Allgemeine“ gehören.

Online
 2020 übernahm Ippen „Buzzfeed Deutschland“, einen Ableger des US-Online-Magazins. Aus dem Investigativteam von Buzzfeed wurde das der Ippen-Gruppe.