Seit dem Unfalltod ihres Mannes verantwortet Renate Pilz den den gleichnamigen Automatisierungsspezialisten. Ohne technische Ausbildung hat sie eininnovatives Unternehmen aufgebaut.
Stuttgart - Frau Pilz, seit einem Jahr produziert Ihr Unternehmen in China. Welche Erfahrungen haben sie dort gemacht?
Unsere Erfahrungen in China sind durchweg positiv. Wir sind zufrieden mit den dortigen Mitarbeitern. Und wir haben einen guten Kundenkreis. Wir haben ja bereits langjährige Erfahrungen in dem Land gesammelt. Seit 2002 sind wir mit einer eigenen Vertriebs- und Servicegesellschaft in China tätig. In der Produktion sind wir 2015 mit zwölf Mitarbeitern gestartet, mittlerweile sind es 20. Wir überstürzen nichts, sondern wollen unsere Gesellschaften langsam und solide aufbauen.
Gibt es technologische Unterschiede zwischen dem chinesischen und dem deutschen Markt?
Nein, wir bieten in China unsere Produkte und Dienstleistungen in derselben Qualität wie hier an und wir produzieren dort mit den gleichen Maschinen, nach denselben Grundsätzen und Standards wie in Deutschland. Auch die Schwellenländer wollen neueste Technik. Für mich hat Globalisierung daher etwas sehr positives, weil unsere guten Standards in die Welt getragen und dort umgesetzt werden.
Hatten Sie in China keine Probleme wegen Joint-Venture-Zwang oder Technologietransfer-Zwang?
Nein, überhaupt nicht. Wir konnten frei agieren. Für mich ist China auch kein Schwellenland mehr. Die chinesische Regierung will einen Wechsel in ihrer Wirtschaft – und wenn sie sich etwas vornimmt, dann setzt sie das auch um. China will weg von seinem Billig-Image – und arbeitet konsequent daran. Das Land hat aber noch einen weiten Weg vor sich. Was bemerkenswert ist, dass sie sich an Deutschland orientieren.
Müssen Sie sich gegen Technologieklau wehren?
In China war dies bis heute kein Thema für uns. In anderen Ländern, darunter auch Deutschland, haben wir dagegen diese Erfahrung schon machen müssen.
Pilz gilt als ausgesprochen innovativ. Wie schaffen Sie das?
Wir investieren mindestens 20 Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Das ist für uns selbstverständlich. Aus meiner Sicht ist das gar nicht anders möglich, wenn ich mir als Mittelständler weltweit einen Namen als innovatives Unternehmen machen möchte. Unsere Innovationen haben für die Branche Automation über all die Jahre immer wieder Standards gesetzt. Die Herausforderung ist, das technologische Niveau auch zu halten.
Wie schaffen Sie das?
Traditionell ist es so, dass wir alles was das Unternehmen erwirtschaftet, reinvestieren. Für uns ist es wichtig, dass wir frei in unserer Entscheidung sind – und nicht von anderen abhängig. Um Innovationen voranzutreiben, braucht man Durchhaltevermögen, man muss den Rücken frei haben.
Geld allein dürfte aber nicht reichen, um langfristig innovativ zu sein.
Entscheidend sind unsere Mitarbeiter. Wir haben einfach Freude an der Arbeit und an Innovationen. Das treibt uns an. Zu unseren langjährigen Kunden haben wir eine vertrauensvolle Beziehung aufgebaut. Über den intensiven Austausch erfahren wir, was der Kunde wirklich braucht – und das kann etwas ganz anderes sein, als man sich als gute Idee ausgedacht hat. Dem Kunden zuzuhören ist wichtig. Und eine Portion Glück gehört natürlich auch dazu.
Glück?
Sie brauchen Kunden, die genauso für innovative Ideen aufgeschlossen sind. Neue Technologien brauchen auch einen innovativen Kunden. Er muss den Vorteil für sein Unternehmen erkennen.
Chinesen haben derzeit großes Interesse an innovativen Unternehmen – wurde auch schon bei Ihnen angeklopft?
Pilz steht nicht zum Verkauf. Das ist in allen Märkten bekannt. Anfragen gab es schon – und nicht nur aus China. Unabhängig davon sehe ich kein Problem darin, dass chinesische Unternehmen deutsche Firmen kaufen. Deutsche Unternehmen tun das ebenfalls. Damit schafft man sich einen Marktzugang – und gewinnt zusätzliches Know-how. Das haben auch die Chinesen erkannt. Das sind die Marktmechanismen, die kann man nicht einem Land verwehren und ein anderes nimmt sie für sich in Anspruch. Es ist gut, wenn sich Märkte wie China entwickeln und vergrößern. Voraussetzung ist jedoch, dass es fair zugeht.
Schlagwörter wie Industrie 4.0 treiben derzeit viele Unternehmen um.
Das ist eine ganz spannende, interessante und schöne Zeit. Die Automatisierung wird einen noch höheren Grad erreichen. Wir werden mehr und andere Informationen zur Verfügung haben. Deshalb müssen wir Mitarbeiter schulen und auf die Veränderungen vorbereiten. Genau vorhersagen kann die Zukunft keiner. Aber auf dem Weg dorthin müssen wir immer wieder prüfen, ob die Entwicklungen auch wirklich von Nutzen sind. Technischer Fortschritt erfordert immer verantwortliches Handeln mit Blick auf das Gemeinwohl.
Pilz ist im vergangenen Jahr um elf Prozent gewachsen. Wie laufen die Geschäfte 2016?
Wir sind sehr zufrieden, auch wenn wir ein zweistelliges Umsatzplus wohl nicht erreichen werden. 2017 erwarten wir auch ein gutes Jahr. Wir spüren, dass aufgrund des Interesses an Industrie 4.0 sowie dem Trend zu Roboter-Applikationen unsere Automatisierungslösungen verstärkt nachgefragt werden. Wir haben in diesem Jahr weltweit bereits 80 Mitarbeiter eingestellt. Insgesamt haben wir jetzt mehr als 2100 Mitarbeiter, 2017 kommen weitere 80 bis 100 hinzu. Insbesondere suchen wir Entwickler und Ingenieure für Ostfildern.
Suchen Sie auch Softwareentwickler?
Ja. Neben Ostfildern haben wir auch ein Entwicklungszentrum in Irland. Als wir vor 20 Jahren in unseren Produkten verstärkt Software installiert haben, war es für Pilz schwierig Mitarbeiter mit dieser Qualifikation in Deutschland zu finden. Deshalb habe ich mich auf den Weg gemacht – und habe in Irland genau diese Qualifikation gefunden. Und weil uns viel daran liegt, dass Mitarbeiter in ihrer Heimat bleiben können, haben wir eine Tochter in Irland gegründet. Aktuell haben wir dort mehr als 100 Mitarbeiter. Es ist ein tolles Team und die Zusammenarbeit mit den Entwicklern in Deutschland ist ausgesprochen gut.
Pilz wächst seit Jahren. Wie groß könnte das Unternehmen in zehn Jahren sein?
Pilz kann in zehn bis 15 Jahren eine Milliarde Euro Umsatz erreichen. Wenn wir pro Jahr um zehn Prozent wachsen, können wir das schaffen. Aber Umsatz ist für uns nicht das vorrangige Ziel.
Sie wollen Familienunternehmen bleiben. Probleme mit der Nachfolge haben Sie nicht.
Gott sei Dank. Meine beiden Kinder tragen bereits seit vielen Jahren in ihren Bereichen die volle Verantwortung. Die arbeiten gemeinsam und die machen das besser als ich es je gemacht habe. Das schenkt mir Gelassenheit.
Dann könnten Sie kürzer treten?
Ich werde noch nächstes Jahr arbeiten – und dann ist es gut.
Was planen Sie dann?
Es gibt viele Dinge auf die ich mich freuen kann – so Gott will.
Sie waren jung als Sie nach dem Unfalltod Ihres Mannes die Geschäftsführung übernommen haben. Können Sie loslassen?
Ja. Meine Kinder sind seit einigen Jahren in der Geschäftsleitung. Sie tragen die volle Verantwortung. Das erfüllt mich mit Dankbarkeit.
Jetzt hat Pilz drei Geschäftsführer. Nach Ihrem Ausscheiden wären es nur noch zwei – ist das ausreichend?
Ob zwei Geschäftsführer in Zukunft die richtige Größe ist, wird sich zeigen. Wenn ein Unternehmen wächst, muss sich auch die Organisation weiter entwickeln. Das ist ein notwendiger Prozess.
Sie arbeiten voll, andere Menschen in Ihrem Alter sind lange in Rente. Warum tun Sie das?
Die Arbeit macht so viel Freude. Ich bin täglich gerne im Büro und ich reise gerne zu den Kunden und Tochtergesellschaften. Vor kurzem war ich in Indien, Singapur und Brasilien. Es sind Länder, in denen man Urlaub machen kann. Aber es ist noch mal eine andere Qualität, wenn ich mit den Menschen in diesen Kulturen arbeite. Man lernt so viel.
Wie bereiten Sie sich auf Auslandsreisen vor?
Ich lese sehr viel. Das ist gut, um nicht in Fettnäpfchen zu treten. Aber manchmal frage ich mich, ob es klüger wäre, sich weniger intensiv vorzubereiten. Wenn man mit einer gewissen Offenheit in ein Land fährt und dort sensibel und aufmerksam ist, lernt man mehr als mit einem angelesenen und damit vorgefertigten Bild.
Eine Unternehmenschefin mit Charme
Für die Mitarbeiter ist sie „die Seele des Geschäfts“. Renate Pilz, die Chefin des gleichnamigen Automatisierungsspezialisten, hat für jeden einige freundliche Worte und ein strahlendes Lächeln. Ohne wirtschaftlichen und technologischen Hintergrund hat Pilz, damals Hausfrau und Mutter, nach dem ihr Mann Peter 1975 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war, die Verantwortung für das Familienunternehmen übernommen; seit 1994 ist sie die Vorstandschefin. Renate Pilz, geboren 1940 in Göppingen, hat das Unternehmen groß gemacht. 1975 beschäftigte Pilz knapp 200 Mitarbeiter, aktuell sind es mehr als 2100. Ihre Kinder – Susanne Kunschert und Thomas Pilz – sind mittlerweile ebenfalls Geschäftsführer.
Jeder kennt ein Pilz-Produkt: den knallroten Knopf, der per Knopfdruck jedes Band zum Stehen bringt. Der Automatisierungsspezialist aus Ostfildern steht für Sicherheitstechnik – für Sicherheit für Mensch, Maschine und Umwelt. Pilz-Technik sorgt unter anderem dafür, dass Gepäckförderanlagenin Flughäfen, Seil- und Achterbahnen sowie Theaterkulissen gefahrlos laufen. Pilz beliefert die Verpackungs- und Autoindustrie; Kunden sind zudem in Branchen wie Windenergie, Transport und Pressen zu finden. 2015 setzte das Unternehmen 288 Millionen Euro um (plus elf Prozent). Gut70 Prozent davon trägt das Ausland bei. Pilz ist auf allen Kontinenten vertreten.