Er ist der wohl berühmteste Flötist der Rockgeschichte: Ian Anderson. Foto: Promo

Frontmann der Kult-Rockband Jethro Tull vergleicht Querflöten mit Beziehungen - und thematisiert das Altern.

Balingen - Rockmusik mit Flöte? Seit Jethro Tull macht sich diese Idee nicht mehr aus wie ein Hirngespinst. Wenn er Ende des Monats in Balingen auftritt, wird Ian Anderson seine Querflöte mit im Gepäck haben. Unsere Zeitung sprach mit dem 68-jährigen Musiker, der am liebsten auf einem Bein steht, während er spielt, über seine Musik, das Älterwerden und die Politik.

Herr Anderson, Sie geben Ende des Monats ein Konzert in Balingen. Sind Sie zum ersten Mal in der Gegend?

Ich bin mir sicher, dass ich nicht zum ersten Mal in der Region bin. Nach 48 Jahren kann ich mich aber nicht mehr an jede Stadt erinnern, in der ich gespielt habe.

Freuen Sie sich darauf?

Ich freue mich auf jeden Morgen, an dem ich aufwache. Denn jeder Morgen, an dem ich aufwache, ist ein zusätzlicher Tag in meinem Leben, wofür ich sehr dankbar bin. Wenn ich in Balingen angekommen bin, werden wieder viele Tage vergangen sein. Und es wird ein Vergnügen sein, auf die Bühne zu treten und das Konzert zu geben.

Sie haben gerade gesagt, dass Sie seit 48 Jahren aktiv sind. Wie lange wollen Sie noch weitermachen?

Das liegt in den Händen der Götter. Ich habe jedes Jahr meine Bluttests und regelmäßig andere Untersuchungen. Ich achte auf meine Gesundheit. Bisher ist alles gut. Aber eines Tages werde ich schlechte Nachrichten bekommen. Wenn dieser Tag gekommen ist, dann kann ich Ihre Frage beantworten. Viele Musiker haben immer noch gespielt, als sie jenseits der 80 waren. Musiker können ein langes Leben haben!

Sie sind seit so langer Zeit mit Jethro Tull verbunden, und Sie spielen in Balingen auch ein Best of.

Ja, im Sommer machen wir tatsächlich überwiegend Best-Of-Shows. Aber jedes Jahr haben wir um die vier, fünf unterschiedliche Konzerte im Repertoire.

Sie wollen, dass die Leute Sie unter Ihrem eigenen Namen kennen und nicht mehr "Mr. Tull" nennen. Ist es für Sie kein Konflikt, immer noch als Jethro Tull zu touren, aber Ian Anderson zu sein?

Normalerweise ist mein Name ja dabei, etwa "Jethro Tull’s Ian Anderson". Mein Repertoire ist nun einmal hauptsächlich unter dem Namen Jethro Tull erschienen, und so bleibt es auch. Aber ja, ich möchte, dass die Menschen meinen Namen kennen, bevor ich sterbe. Innerhalb der vergangenen zwei, drei Jahre habe ich auch das Gefühl bekommen, dass das funktioniert.

Sie sind immerhin derjenige, der die Flöte spielt. Besitzen Sie noch die, auf der Sie gelernt haben?

Nein, die ist leider verschwunden. Die ging um 1969 verloren oder wurde gestohlen.

Wissen Sie, wie viele Sie besitzen?

Ungefähr zehn. Aber ich sammle sie nicht. Einige würde ich sogar gerne verkaufen. Es sind gute Querflöten, und sie sind für jemand anderes sicher perfekt. Das ist ein bisschen wie im Zwischenmenschlichen. Wir reagieren einfach auf etwas oder jemanden, der für uns besonders ist. Je mehr man dann darüber nachdenkt, desto komplizierter wird es. Ich denke, ich weiß, was ich an meinen Lieblingsflöten mag – aber das bedeutet nicht, dass ich nicht auch gern auf anderen spiele. Es bedeutet nur, dass sie für mich am besten geeignet sind. Sie müssen widerstandsfähig und zuverlässig sein. Und einfach zu spielen, auch wenn ich nach zwei Stunden auf der Bühne müde bin. Manchmal braucht man einfach eine Flöte, die sich auch mit müden Lippen spielen lässt und einem genau das gibt, was man braucht.

Wie in Beziehungen?

Manchmal braucht man vielleicht auch eine Frau, die auf müde Lippen reagiert. Als älterer Mann braucht man eine Frau, die nachsichtig ist und Verständnis hat. (lacht)

Was denken Sie als Brite eigentlich über den Brexit?

David Cameron ist mit dem Referendum ein Risiko eingegangen. Ich denke, er dachte, es gebe mehr Unterstützung für die "Bleiben"-Fraktion. Und was ich denke? Ich denke, die meisten Briten wollen Teil von Europa sein, aber nicht notwendigerweise Teil der EU. Denn die EU spiegelt nicht unbedingt die Interessen einzelner Nationen wider. Wir brauchen mehr nationale Repräsentation, und dafür haben die Briten gestimmt. Aber es hat uns alle überrascht. Wie die meisten habe ich erwartet, dass das Referendum knapp für einen Verbleib ausgeht. Aber wir müssen das Ergebnis akzeptieren. Wir müssen akzeptieren, dass die Menschen diese Entscheidung getroffen haben. Das macht Demokratie aus.  

Weitere Informationen:

Ian Anderson spielt "Best of Jethro Tull" am Freitag, 29. Juli, auf dem Balinger Marktplatz. Beginn ist um 20 Uhr. Tickets unter 07423/78790.