Die Ermittlungen zum mutmaßlichen Tötungsdelikt in Müllheim laufen. Das amtliche Siegel der Polizei klebt an der Haustür – ansonsten weist nichts auf die Tragödie hin, die sich dort, in idyllischer Wohngegend, vor zwei Wochen ereignet hat. Vielleicht nur die gespenstische Ruhe und die heruntergelassenen Rollläden. Vor dem Eingang stehen mehrere Räder, Bobby Car und ein Wischmopp, außerdem ein paar inzwischen vertrocknete Blumen, die wohl jemand vor die Tür gestellt hat. Foto: Claudia Bötsch

Der Mann, der in Müllheim seine Ehefrau mutmaßlich getötet hat, war vorher polizeilich nicht in Erscheinung getreten – „das ist der Normalfall“, sagt der Leiter der Kripo Freiburg.

 

Im Bereich häusliche Gewalt bleibe vieles im Verborgenen, sagt Armin Bohnert, Leiter der Kriminalpolizei Freiburg, im Interview mit unserer Zeitung. Gemeinsam mit seinem Kollegen Alfred Fander appelliert er an gewaltbetroffene Frauen: „Holen Sie sich Hilfe“. Die beiden nehmen außerdem Stellung zur Debatte „Femizid – ja oder nein?“, die anlässlich des mutmaßlichen Tötungsdelikts vor allem auch in den sozialen Medien aufkam. Zum konkreten Müllheimer Fall wollen sich die beiden indes nicht weiter äußern mit Verweis auf das laufende Ermittlungsverfahren und den Persönlichkeitsschutz.

Was ist ein Femizid?

Fander: Bezeichnet wird damit die gezielte Tötung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts. Es geht um Gewalt innerhalb patriarchaler Strukturen. Die Polizei benutzt diesen Begriff allerdings nicht, denn er reduziert das Motiv allein auf das Geschlecht. Wir sprechen vielmehr von Partnergewalt oder häuslicher Gewalt.

Armin Bohnert ist seit Oktober 2024 Leiter der Kriminalpolizei Freiburg. Davor war der 58-Jährige Leiter des Stabsbereichs Einsatz und unter anderem verantwortlich für die Koordinierungsstelle „Häusliche Gewalt“. Foto: Polizeipräsidium Freiburg

Bohnert: Der Begriff taugt nicht zur Beschreibung eines individuellen Falls, er ist vielmehr ein Erklärungsversuch für ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Wir müssen den Einzelfall betrachten, um diesem gerecht zu werden. Dazu kommt: Faktisch kann das Geschlecht zwar über die Tatmotive und individuellen Umstände Einfluss auf das Strafmaß nehmen. Formal spielt es aber keine Rolle – Femizid ist kein eigenständiger Straftatbestand. Unterschieden wird zum Beispiel zwischen Mord, Totschlag und Körperverletzung mit Todesfolge.

Alfred Fander ist als Leiter der Kriminalinspektion 1 verantwortlich für den Bereich Kapitaldelikte, Sexualdelikte, Kinderpornographie und Amtsdelikte. Davor war er Leiter der Kriminalinspektion 7 und unter anderem verantwortlich für den Bereich Operativer Opferschutz. Foto: Polizeipräsidium Freiburg

Wie schätzen Sie den Müllheimer Fall ein?

Bohnert: Unser Job ist es nicht, zu mutmaßen. Wir ermitteln und treffen abschließend eine Aussage zur Motivlage.

Fander: Wir sind noch am Anfang der Ermittlungen, und so lange diese laufen, äußern wir uns nicht zu einem möglichen Motiv der Tat. Hier geht es auch um die Wahrung von Persönlichkeitsrechten.

Der Mann, der in der Müllheimer Südstadt mutmaßlich seine Ehefrau erstochen hat, ist im Vorfeld nicht polizeilich in Erscheinung getreten.

Bohnert: Das ist leider der Normalfall. Bei häuslicher Gewalt bleibt vieles im Verborgenen. Nach solchen Eskalationen mit tödlichem Ausgang wird in den meisten Fällen festgestellt, dass es keine Einträge bei der Polizei gab. Denn: Sobald die Polizei mitbekommt, dass es häusliche Gewalt gibt, springt sofort der Apparat an. Dazu gehört auch eine Einschätzung des Risikopotenzials.

Das bedeutet?

Bohnert: Uns geht es vor allem darum, die Hochrisikofälle zu erkennen und mit gezielten Maßnahmen gegenzusteuern. Das kann eine Gefährderansprache sein, ein Wohnungsverweis oder ein Annäherungsverbot. Auch gibt es die Möglichkeit, gewalttätige Männer nach Polizeirecht für kurze Zeit in Gewahrsam zu nehmen. Sind Kinder im Spiel, kann das Jugendamt intervenieren. Es gibt ein gewachsenes Netzwerk, dessen oberstes Ziel es ist, solche Gewalteskalationen wie in Müllheim zu verhindern. Dazu gehören neben der Polizei unter anderem Beratungsstellen und das Jugendamt.

Mir ist in dieser Region aus den vergangenen Jahren kein Tötungsdelikt im häuslichen Umfeld bekannt, bei dem die Polizei vorher involviert war. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass unsere Maßnahmen greifen – wenn wir denn von solcher Gewalt im familiären Umfeld erfahren.

Gibt es eine Tötung des Partners aus heiterem Himmel, ohne Vorgeschichte?

Bohnert: Aus dem Nichts kommt nichts. Im Privaten kann allerdings vieles lange verborgen bleiben, bis die Situation komplett eskaliert. Es gibt immer eine Motivlage. Meist wird im Nachhinein festgestellt, dass es Probleme gab, die verschiedener Art sein können, seien es psychische Erkrankungen oder Eifersucht.

Fander: Kein Bereich ist so sehr mit Emotionen verbunden wie das familiäre Umfeld. Das birgt gleichzeitig das Risiko für schwere Straftaten, wenn Faktoren, wie von Herrn Bohnert benannt, hinzukommen. Was zum Ausbruch führte, wird im Rahmen der Ermittlungen ans Licht kommen.

Migrantinnen sind laut Statistik der Frauenhäuser deutlich häufiger von häuslicher Gewalt betroffen als Frauen ohne Migrationshintergrund. Wie können solche Frauen geschützt werden, die vielleicht nicht einmal der deutschen Sprache mächtig sind?

Fander: Frauen mit Migrationshintergrund benötigen aus Sicht unserer Experten im Haus nicht nur unbedingt mehr Schutz, sondern anderen Schutz. Es muss im Allgemeinen eine gemeinsame Aufgabe vieler Akteure sein.

Mögliche Hilfen umfassen Sprachunterstützung für Opfer und Täter, mehrsprachige Informationsangebote, Dolmetscherdienste, einen niederschwelligen Zugang zu Hilfen sowie speziellen Anlaufstellen. Darüber hinaus sind Aufklärung und Schulungen für alle beteiligten Akteure entscheidend – etwa Polizei, Jugendämter, Justiz, Gesundheitsdienste, Ausländerbehörden und andere. Eine enge Zusammenarbeit dieser Akteure spielt dabei eine zentrale Rolle

Was kann man tun, wenn die Befürchtung im Raum steht, dass eine Nachbarin oder eine Arbeitskollegin Opfer häuslicher Gewalt wurde?

Fander: Wenn ein gewisses Vertrauensverhältnis besteht, ist es wichtig, die Frau zu ermutigen, sich bei der Polizei oder einer Beratungsstelle zu melden – und sich aktiv aus der Opferrolle zu bewegen. Ich kann Betroffenen versichern: Sie werden gehört. Für das Thema häusliche Gewalt sind im Jahr 2025 alle Polizeikollegen zu jeder Zeit sensibilisiert. Wir reagieren beispielsweise auch, wenn bei einer Verkehrskontrolle deutlich wird: Da läuft etwas schief.

Vor allem in einer akuten Bedrohungslage lautet unser Appell an Betroffene: Nicht zögern und die 110 wählen. Aber auch sonst können Betroffene über diese Nummer an das zuständige Revier weitergeleitet werden. Auch wer Zeuge von mutmaßlicher häuslicher Gewalt wird, sollte die 110 wählen und sich keinesfalls selbst in Gefahr bringen.

Bohnert: Im Bereich häusliche Gewalt ist in den vergangenen Jahren generell viel passiert. Bei der Polizei gibt es inzwischen in jedem Präsidium Beamte, die für dieses Thema zuständig sind.

Ein paar vertrocknete Blumen stehen vor dem Haus in der idyllischen Wohngegend in der Müllheimer Südstadt: Die getötete Frau hinterlässt mehrere Kinder, die laut Polizei sicher untergebracht wurden. Foto: Claudia Bötsch

Wie passt da ins Bild, dass zum Beispiel deutschlandweit Plätze in Frauenhäusern fehlen?

Bohnert: Das stimmt, das Problem ist bekannt. Trotzdem gilt: Betroffenen Frauen wird geholfen. Notfalls bringen wir Frauen, deren Leib und Leben bedroht ist, anderweitig an einem unbekannten Ort unter – sei es im Hotel oder in einer Ferienwohnung. Es gibt immer eine Lösung.

Fander: Es gibt immer Verbesserungspotenzial. Grundsätzlich ist der deutsche Staat aber gut aufgestellt, was die Unterstützung von gewaltbetroffenen Frauen angeht. Eine Frau, die Angst hat, von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet zu werden, kann durch die Polizei und die Beratungsstellen umfassend begleitet werden: von der Abholung aus dem gewaltvollen Zuhause bis hin zur Gerichtsverhandlung. Der operative Opferschutz wird mit viel Aufwand betrieben. Die Freiburger Polizei hat einiges an Erfahrung mit solchen Extremfällen. Wichtig ist, dass die Frauen den ersten Schritt tun und sich bei der Polizei melden.

Bohnert: Unsere Botschaft lautet ganz klar: Keine Frau soll solche Gewalt ertragen müssen. Uns ist wichtig, allen betroffenen Frauen ein Hilfsangebot zu machen. Unsere Aufgabe ist es, zu intervenieren, wenn eine Beziehung auf die Gewaltschiene geraten ist, bevor es zur totalen Eskalation kommt. Dabei spielen auch präventive Maßnahmen eine große Rolle, beispielsweise Gefährderansprachen, Wohnungsverweise und Gewahrsamnahmen. Fakt ist aber auch: Wir können nur intervenieren, wenn wir in Kenntnis des Sachverhalts sind.

Wo sind die Grenzen?

Bohnert: Wir können nicht in jedes Schlafzimmer reinschauen. Das heißt: Ein Großteil der Gewalt bleibt im privaten Raum und damit für uns verborgen. Zudem gibt es Fälle, bei denen auch wir an unsere Grenzen stoßen, obwohl wir davon Kenntnis erhalten: Beispielsweise bei toxischen Beziehungen, in denen das Gewaltopfer immer wieder zum Aggressor zurückkehrt. Und nach wie vor scheuen sich viele Betroffene auch aus wirtschaftlichen Gründen, den gewalttätigen Partner zu verlassen und anschließend vielleicht alleinerziehend zu sein.

Fander: Die Gründe, warum Frauen in gewalttätigen Partnerschaften verharren, sind vielfältig. Auch Scham spielt eine große Rolle.

Wie gehen Sie und Ihre Kollegen persönlich mit solchen Extremsituationen wie bei dem Einsatz in Müllheim um?

Fander: Jeder Mensch verarbeitet Belastungen anders. Die Erfahrung spielt jedoch eine wichtige Rolle. Mit der Zeit baut man einen gewissen Schutzwall auf – sonst kommt man in diesem Beruf gar nicht mehr zur Ruhe. Beim Einsatz in Müllheim waren ausschließlich erfahrene Beamte vor Ort. Ich habe mit vielen von ihnen gesprochen. Dennoch: Solche Einsätze lassen einen nicht so schnell wieder los.

Bohnert: Professionelle Distanz ist wichtig, und die muss jeder Polizist lernen. Allerdings kann die Belastung je nach Einsatz trotzdem so groß sein, dass Kollegengespräche nicht mehr ausreichen und es zusätzliche psychologische Hilfe braucht. Wenn wir sehen, dass ein Kollege diesbezüglich Unterstützung braucht, handeln wir.

Wo findet häusliche Gewalt statt?

Häusliche Gewalt
findet generell in allen Schichten statt, sagt Armin Bohnert, Leiter der Kriminalpolizei Freiburg. Im Bereich der Partnerschaftsgewalt seien die Zahlen seit Jahren steigend. Dies könne indes auch daran liegen, „dass die Menschen sensibilisierter sind, es mehr Aufklärung gibt und solche Fälle mehr ans Licht kommen“, hält Bohnert fest. Hilflosigkeit zeige sich besonders dort, wo finanzielle oder bildungsmäßige Ressourcen fehlen. „Frauen mit akademischem Hintergrund verfügen in der Regel über bessere wirtschaftliche und soziale Absicherungsmöglichkeiten – doch auch sie sind vor Abhängigkeiten oder Gewalt nicht grundsätzlich geschützt“, macht der der Kripo-Leiter deutlich.