2022 kam er nach langen Jahren in Lörrach ans Kant-Gymnasium Weil am Rhein: Stefan Wiedenbauer. Foto: Beatrice Ehrlich

Stefan Wiedenbauer, Rektor des Kant-Gymnasiums, erläutert, was die Wiedereinführung von G9 mit sich bringt, und wo die Schwierigkeiten liegen.

Mit der Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums (G9) kommen auf das größere der beiden Weiler Gymnasien mit seinen rund 800 Schülern Veränderungen zu.

 

Ab dem kommenden Schuljahr wird G9 baden-württembergweit wieder eingeführt. Wie wirkt sich das auf Ihre Planungen aus?

Die Schulpolitik ist immer im Fluss. Wie gehen wir damit um? Tiefenentspannt, mit großer Gelassenheit. Es macht keinen Sinn, in Aktionismus zu verfallen. Wie so oft warten wir erstmal ab, was am Ende der bildungspolitischen „Nahrungskette“ letztlich bei uns ankommt.

Was bedeutet die Neuerung konkret für das Kant-Gymnasium? Organisatorisch und inhaltlich?

Die organisatorischen Auswirkungen sind erst einmal gering. Der Schulbetrieb geht ganz normal weiter. Allerdings: Die künftigen Gymnasiasten werden im Normalprofil in der fünften und sechsten Klasse keinen Nachmittagsunterricht haben. Das war je einer der Wünsche der Eltern, die die Petition für G9 auf den Weg gebracht haben. Die Idee dahinter: Die Kinder haben wieder mehr Zeit für Sport, Vereine, Musikstunden und andere Freizeitaktivitäten.

Schüler am Gymnasium sollen wieder mehr Zeit haben für Freizeitaktivitäten. Foto: Beatrice Ehrlich

Angesichts der stark verbreiteten Mediennutzung unter den Kindern wage ich das allerdings zu bezweifeln. Ob dann wirklich stattdessen Geige oder Gitarre auf dem Programm steht, bleibt abzuwarten. Inhaltlich müssen wir uns an die Arbeit machen. Da sind wir bereits dran.

Inwiefern?

Das Kultusministerium in Stuttgart sieht zeitgleich zur Umstellung auf G9 die Einführung von „Innovationselementen“ in den Gymnasien vor, etwa wird ein besonderes Augenmerk auf die Kernfächer Mathematik und Deutsch gelegt. Wir sehen in den vergangenen Jahren ein Riesenproblem: Viele, und nicht nur solche mit einer anderen Muttersprache, haben große Schwierigkeiten im grundlegenden Umgang mit der deutschen Sprache und infolgedessen später Probleme, den gymnasialen Bildungsgang erfolgreich abzuschließen.

Zusätzliche Stunden für Sprachförderung

Dem wollen wir uns stellen, indem wir in der fünften Klasse zusätzliche Stunden für Sprachförderung einführen. Und wir packen noch was drauf: Wir entwickeln ein eigenes Sprachförderkonzept.

Was ist der Grund für die Probleme mit der deutschen Sprache?

Bis zum vergangenen Jahr hatten die Eltern komplette Wahlfreiheit, was die weiterführende Schule für ihre Kinder betrifft, das war der politische Wille.

Blick in den Schulhof: Hier sollen vier Container-Klassenzimmer bis Ende des Jahres abgebaut werden... Foto: Beatrice Ehrlich

Ein nicht ganz kleiner Anteil der Eltern hat sich der Empfehlung der Grundschullehrer widersetzt. Deshalb haben wir auch Kinder mit einer Empfehlung für die Werkrealschule am Gymnasium. Seit diesem Schuljahr ist die Empfehlung verbindlicher. Die Anmeldezahlen bei uns sind von 101 auf 93 leicht zurückgegangen.

Auch Spitzenschüler sollen gefördert werden

Ist besondere Sprachförderung dennoch nötig?

Ja, denn es ist ja so: Die Innovationselemente, also auch die Sprachförderung, sind für leistungsschwache und leistungsstarke Schülerinnen und Schüler gedacht. Wir werden eine Binnendifferenzierung vornehmen. Auch Spitzenschüler sollen gefördert werden.

Welche Herausforderungen sehen Sie in den kommenden Jahren auf Sie zukommen?

Was uns mit großer Sorge erfüllt, ist die Versorgung mit Lehrern. Nicht, dass der Markt das nicht hergäbe. Es gibt viele gute und sehr gut ausgebildete Lehrer. Sie werden aber nicht angestellt.

„Wir sollten jetzt beginnen personelle Ressourcen aufzubauen“

Ich sehe das kritisch. 2031 macht der letzte G8-Jahrgang Abitur, wir steuern auf ein Jahr ohne Abitur zu und werden dann auf einen Schlag einen kompletten Jahrgang mehr in der Schule haben. Wir sollten jetzt damit beginnen, die personellen Ressourcen dafür aufzubauen. Sonst besteht die Gefahr, dass die gutausgebildeten Lehrer sich beruflich anderweitig orientiert haben.

Wie sind Sie räumlich gerüstet?

2032, im Jahr ohne Abitur, brauchen wir auf einen Schlag vier neue Räume. Darüber müssen wir mit der Stadt Weil am Rhein, unserem Schulträger, reden. Wir haben jetzt schon dauerhaft drei Container-Klassenzimmer auf dem Schulgelände in Benutzung, hinzu kommen derzeit übergangsweise weitere vier wegen der aktuell laufenden Bauarbeiten.

...anders sieht es bei drei weiteren Container-Klassenzimmern Richtung Rathaus aus. Foto: Beatrice Ehrlich

Wenn es gut läuft, können die temporären Container zum Ende des Jahrs abgebaut werden. Man kann damit schon mal leben. Auf Dauer ist das aber keine gute Lösung, vor allem nicht angesichts eines Bildungsplans, der den Raum als „zweiten Pädagogen“ begreift.

Was beschäftigt Sie aktuell?

Die Lehrerversorgung: Im Kant gibt es 75 Lehrerinnen und Lehrer, etwa die Hälfte davon ist in Teilzeit tätig. Ich wäre froh, wenn ich für das nächste Schuljahr Planungssicherheit hätte. Bisher ist das nicht so. Immer wieder gibt es unerwartet Ausfälle, ohne dass wir eine Vertretung bekommen würden. Ich frage mich: Warum schaffen wir es nicht, die Schulen angemessen auszustatten?

Gibt es weitere inhaltliche Änderungen?

Es wird demnächst neue Bildungspläne geben, die in Arbeit sind. Die Schulgesetzänderung fand im Februar statt, für weitere Änderungen jetzt noch im Sommer ist das schon sehr knapp. Als weiteres Innovationselement steht die Demokratiebildung auf dem Plan, eine Sache, die ich persönlich für sehr wichtig halte. Wir wissen im Moment noch nicht, wie das laufen soll.

Mentoren sollen für Einzelgespräche zur Verfügung stehen

Ein weiterer neuer Punkt ist, dass jeder Schüler verpflichtend einen Mentor für Einzelgespräche zur Seite gestellt bekommt, der mit ihm bespricht, wie er sein Lernverhalten verbessern kann. Auch das finde ich sinnvoll. Aber, wie zu Beginn schon gesagt: Wir überstürzen nichts, wir machen unsere Hausaufgaben ordentlich und das Kollegium zieht mit.

Eltern müssen sich entscheiden. Was für Kinder sprechen Sie mit Ihrem speziellen Profil an?

Schüler sollten bei uns Neugierde, Spaß am Lernen und die Bereitschaft, Leistung zu zeigen mitbringen.

Wo setzen Sie als Schule Schwerpunkte?

Bei den Naturwissenschaften und der Bildenden Kunst, die bei uns als Profilfach in der Mittelstufe angeboten wird. Das stößt auf Interesse: Von 93 Kindern, die sich fürs kommende Schuljahr angemeldet haben, interessiert sich rund die Hälfte für das Kunstprofil. In den Naturwissenschaften können wir mit einer guten räumlichen Ausstattung punkten.

Das „Kant“ punktet mit einer guten Ausstattung für die naturwissenschaftlichen Fächer. Foto: Beatrice Ehrlich

Es gibt Werkräume und die Möglichkeit praktisch zu arbeiten. Alle naturwissenschaftlichen Fächer kann man bei uns als Leistungskurse belegen. Wenn Schülerinnen und Schüler an Wettbewerben teilnehmen wollen, unterstützen wir das. Im Bereich Chemie sind wir darüber hinaus mit den Basler Pharmafirmen gut vernetzt.

Musikalischer Bereich hat enormen Zulauf

Die Corona-Zeit war in den Schulen eine Zäsur. Was hat sich seitdem verändert? Was kam wieder? Was ist neu?

Ich selbst bin erst 2022, also am Ende der Corona-Phase, an die Schule gekommen. Was ich aber sagen kann ist, dass der außerunterrichtliche musikalische Bereich wieder enorm an Zulauf gewonnen hat und dies mit großen Konzerten auch öffentlich zeigt. Wir haben einen Chor, ein Orchester und eine Bigband, die gern auch noch weiter wachsen dürfen. Corona – das ist für mich wie ein schlechter Traum, aus dem man aufwacht. Die Schulgemeinschaft lebt wieder, wie es sich beim Sommerfest am vorletzten Schultag jedes Jahr aufs Neue wieder zeigt.

Zur Person: Stefan Wiedenbauer, 57 Jahre alt, ist seit 2022 Schulleiter des Kant-Gymnasiums Weil am Rhein. Davor war er 17 Jahre lang stellvertretender Schulleiter am Hebelgymnasium in Lörrach. Er stammt aus Rheinfelden und hat in Freiburg Mathematik und Physik studiert. Der verheiratete Vater dreier Kinder wohnt mit seiner Familie in Rümmingen.