Foto: dpa

Russland will sich ab 2024 von der Raumstation zurückziehen. Die Pläne sind weder neu, noch dürften sie sich so schnell umsetzen lassen.

Im Jahr 2024? Oder vielleicht doch 2028? Genau wie beim Gas und beim Getreide spielt Russland ein endloses Verwirrspiel mit den westlichen Staaten, wenn es um die eigene Beteiligung an der Internationalen Raumstation (ISS) geht. Der aktuellste Stand nach Angaben der US-Raumfahrtbehörde Nasa ist, dass Russland sich doch noch bis mindestens 2028 an der internationalen Raumstation beteiligt. Dies habe man von den russischen Kollegen erfahren, sagt die hochrangige Nasa-Managerin Kathy Lueders der Nachrichtenagentur Reuters.

„Auf Arbeitsebene gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass sich etwas geändert hat“, sagt sie weiter. Roskosmos-Chef Juri Borissow hatte allerdings am Dienstag dieser Woche erklärt, Russland habe die Zusammenarbeit mit der Nasa gekündigt und werde sich bereits nach 2024 aus der ISS zurückziehen.

Dies sind die Hintergründe: Am 15. Juli 2022 ist der Politiker Juri Borissow zum Direktor der staatlichen russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos ernannt worden. Jüngst hat der Kreml in einer Pressemitteilung von Borissows Antrittsbesuch bei Präsident Wladimir Putin berichtet. In dem dort zitierten Gespräch ging es um mehrere Themen, darunter die schwierige Lage der russischen Raumfahrtindustrie. Dann fallen die Worte, die seither Wellen schlagen: Juri Borissow teilte in diesem Gespräch Präsident Putin mit, dass Russland die internationalen Zusammenarbeit an der ISS beenden werde. So werde man zwar die „Verpflichtungen gegenüber den Partnern erfüllen, sagte er, aber die Station dann nach 2024 verlassen. Borissow sagte: „Ich denke, dass wir zu diesem Zeitpunkt mit der Bildung der russischen Orbitalstation beginnen werden.“

Seit über 20 Jahren ist die ISS von Menschen bewohnt

Die ISS gilt als größtes ziviles internationales Forschungsprojekt aller Zeiten und dazu als Symbol des vermeintlich überwundenen Kalten Krieges: Weit über 100 Milliarden Dollar wurden in ihren Aufbau investiert. Die Konstruktion begann 1998 mit dem ersten russischen Modul Sarja, später folgten der US-Knoten Unity und das Wohnmodul Swesda, das zwar in Russland gebaut, aber von den USA finanziert wurde. Seit dem 2. November 2000 ist die ISS von Menschen bewohnt. Zwischen 2011 und 2020 war Russland das einzige Land, das Raumfahrer aus Ost und West zur Station bringen konnte.

Die Ankündigung des neuen Roskosmos-Chefs ist in Wahrheit keine Kehrtwende. Während sich die anderen ISS-Partnerstaaten bereits zu einem Weiterbetrieb der Station bis 2030 bekannt hatten, hielten Vertreter der russischen Raumfahrt offiziell nur am lange zugesagten Betrieb bis 2024 fest. Der frühere Roskosmos-Direktor Dimitri Rogosin hatte den Rückzug mehrfach angekündigt – und schon im April 2021 erstmals konkrete Pläne für eine Russischen Orbitale Servicestation (ROSS) benannt.

Damals hieß es, ROSS solle 2025 entstehen. Laut dem Chefkonstrukteur Wladimir Solowjow soll ROSS über ein Modul mit einer externen Plattform zur Wartung, Betankung und Reparatur von Raumfahrzeugen verfügen: „Wenn einem Raumfahrzeug etwas zustößt, würde sich ein kleiner Schlepper nähern, um es abzuschleppen und zur Station zu bringen.“ Außerdem soll „ein Geschwader von Satelliten“ die zukünftige Raumstation umkreisen. „Wir glauben, dass dies etwas Neues in der Weltraumtechnologie sein wird, wenn eine Wolke von Raumfahrzeugen in einer Entfernung von 100 bis 200 Kilometern von der Station mit ihren spezifischen Aufgaben fliegen wird“, sagte Solowjow.

Die Partner auf der ISS sind voneinander abhängig

Ob und wie der russische Rückzug von der ISS nun konkret erfolgen könnte, ist unklar. Jüngst bekundete noch der Nasa-Administrator Bill Nelson gegenüber „Space News“, auf offiziellen Kanälen nichts über den russischen Rückzug gehört zu haben. Auch seit dem Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine im Februar diesen Jahres war der Betrieb der Station reibungslos weitergelaufen. Am 15. Juli hatten Vertreter von Roskosmos und Nasa einen zukünftigen Crewaustausch ihrer Raumfahrzeuge Dragon und Sojus vereinbart. Erst letzte Woche hatten Esa-Astronautin Samantha Cristoforetti und der russische Kosmonaut Oleg Artemjew einen siebenstündigen Außeneinsatz absolviert.

Bis jetzt sind auf der Station alle Partner stark voneinander abhängig, was den Rückzug eines Landes wie Russland problematisch macht. Denn die Stromversorgung übernehmen maßgeblich US-Systeme, die derzeit in mehreren Schritten modernisiert werden. Auf der anderen Seite muss die Station regelmäßig in ihrer Bahn angehoben werden, da sie durch Reibung an der dünnen Restatmosphäre an Höhe verliert. Diese Aufgabe übernehmen derzeit russische Progress-Raumschiffe. Zwar könnten US-geführte Versorgungsraumschiffe die Station in ihrer Bahn anheben, aber das erfordert lange Planung – genauso wie Eingriffe in das Gefüge des 440 Tonnen schweren Kolosses.

Russland fehlen eigentlich die Mittel für eigene Projekte

Noch herausfordernder dürfte der Aufbau von ROSS werden. Denn in Russland fehlen schon jetzt die Mittel für Raumfahrtvorhaben, und konkrete Zeitpläne von Roskosmos neigen dazu, weit in die Zukunft gedehnt zu werden. Bei der ISS wiederum spielt Russland mit dem Westen ein Spiel – dabei geht es um die Existenz der Raumstation.