Die Immobilienwirtschaft setzt bei der neuen grün-roten Landesregierung auf Kontinuität. Foto: Leserfotograf Sachse

Die Immobilienwirtschaft setzt bei der neuen grün-roten Landesregierung auf Kontinuität.

Stuttgart - „Le roi est mort, vive le roi” - Der König ist tot, es lebe der König. Mit dieser Heroldsformel wurde einst in Frankreich die Kontinuität der Erbmonarchie betont. Kontinuität erhofft sich auch die Immobilienwirtschaft von der grün-roten Landesregierung. Beim vierten Immobilien-Dialog, veranstaltet von den Wirtschaftsförderungen der Region und der Landeshauptstadt in Zusammenarbeit mit dem Düsseldorfer Veranstalter Heuer-Dialog, zeigte sich die Branche deutlich gelassener als noch vor der Landtagswahl.

Bei der traditionellen Talkrunde der Eurohypo am Vorabend der eigentlichen Dialogveranstaltung im Römerkastell gaben sich die Teilnehmer auch betont zurückhaltend. Auf die Frage von Moderator Reiner Ruf, Redakteur der Stuttgarter Zeitung, ob denn nach der Landtagswahl die Alarmglocken bei der Immobilienwirtschaft läuten würden, antwortete Professor Christoph Erhardt, Partner von Ernst & Young Real Estate. Man müsse sich dem Jetzt stellen, auch wenn manchem die Realität schwer falle. Andererseits könne auch Grün-Rot nur das verwirklichen, für das auch Geld da sei.

Mario Caroli, persönlich haftender Gesellschafter vom Bankhaus Ellwanger & Geiger, stellte fest, man habe auch schon mit einer rot-grünen Bundesregierung ganz gut leben können. Er vermisse bei den Grünen aber ein Wirtschaftsprogramm. Der Geschäftsführer der Bietigheimer Wohnbau, Wolfgang D. Heckeler, will der neuen Landesregierung erst einmal eine Chance geben, ihre Rahmenbedingungen zu formulieren. „Da werden sich vermutlich nur Nuancen ändern”, ist er sich sicher. Beim Thema Stuttgart 21 waren sich die Gäste einig: Das Infrastrukturprojekt sei für das ganze Land wichtig. Allerdings sei die Öffentlichkeitsarbeit für dieses Projekt eine Katastrophe. Die Diskussionsteilnehmer bemängelten auch, dass es in den zurückliegenden Jahren nicht gelungen sei, das Verkehrsprojekt vom Stadtentwicklungsprojekt zu trennen und die Vorteile zu kommunizieren. „Der Bürger will heute bei den Entscheidungen seiner Kommune mitgenommen werden und an den Prozessen beteiligt werden”, kritisierte Wolfgang D. Heckeler.

Mario Caroli stimmte dem im Prinzip zwar zu, bezweifelte aber, ob bei den jetzt von allen Seiten geforderten Bürgerbeteiligungen auch tatsächlich der Spiegel der Gesellschaft oder viel mehr nur ein kleiner Teil abgebildet sei. Professor Erhardt glaubt hingegen nicht, dass das Rad der Bürgerbeteiligung noch einmal zurückzudrehen sei. „Gerade bei großen Projekten wird sich die Politik der Realität stellen müssen”, ist er sich sicher.

Auch das Stuttgarter Innenentwicklungsmodell Sim wird nach wie vor von der Immobilienwirtschaft kritisch gesehen. Danach sollen Investoren von Gewerbeimmobilien in der Landeshauptstadt künftig ab einer Geschossfläche von 450 Quadratmetern die erste öffentlich geförderte Wohnung bauen und ab einer Geschossfläche von 1350 Quadratmetern die erste Sozialwohnung. Damit will die Stadt der Wohnungsknappheit in Stuttgart entgegentreten.

 

Seite 2: Immobilienwirtschaft wurde nicht eingebunden

Während Detlef Kron, Leiter des Amtes für Stadtplanung und Stadterneuerung, am zweiten Tag des Immobilien-Dialogs im Staatstheater Stuttgart in der Türlenstraße vor rund 440 Teilnehmern über Sim von einer Vision sprach, die zur Strategie geworden sei, warf Frank-Peter Unterreiner, Vorstandsmitglied der IWS Immobilienwirtschaft Stuttgart, der Stadt und dem Gemeinderat vor, bei der Ausarbeitung von Sim die Immobilienwirtschaft nicht eingebunden zu haben. „Partnerschaft stelle ich mir anders vor”, machte er deutlich.

Obwohl Detlef Kron versicherte, durch Sim würden die Verfahren weder verzögert noch verteuert werden und München als erfolgreiches Beispiel für ein Innenentwicklungsmodell anführte, sieht Michael Günther vom FHH Fondshaus in Hamburg die angestrebte Wohnqoutenregelung bei der Aufstellung neuer Bebauungspläne für Gewerbebauten in der Stuttgarter Innenstadt skeptisch. Viele Fondsgesellschaften hätten Wohnungsbestände überhaupt nicht in ihrem Fokus und könnten sich deshalb von einem Investment in der Landeshauptstadt abwenden.

Steffen Jüstel, Niederlassungsleiter bei der Hochtief Projektentwicklung, sieht aufgrund der Komplexität des Themas die Gleichbehandlung einzelner Projekte in Gefahr und fordert von der Stadt deshalb ein hohes Maß an Transparenz. Ohnehin sieht der Immobilienexperte den Kreis der potenziellen Investoren durch Sim deutlich eingeschränkt. Jüstel verhehlt nicht, dass die Wohnungen vermutlich so teuer sein werden, dass jene Familien, für die Sim eigentlich entwickelt wurde, sich diese überhaupt nicht leisten werden können.

Dass die Durchmischung von Quartieren mit unterschiedlichen sozialen Schichten grundsätzlich positiv zu bewerten ist, steht für Frank Berlepp, Vorsitzender der Geschäftsführung der LBBW Immobilien Development, außer Frage. Allerdings mache Wohnen und Arbeiten in einem Quartier nur dann Sinn, wenn man den Wohnbereich davon vernünftig separieren könne. Sonst könnte das zu einer großen Hürde für jeden Projektentwickler werden, mutmaßt Berlepp, der auch in der zehn bis 15-jährigen Haltefrist der Wohnungen für Investoren ein K.O.-Kriterium sieht. Die vertikale Trennung zwischen Wohnen und Arbeiten ist auch für Heinz Mornhinweg, Geschäftsführer der KSK Jürgen Engel Architekten, ein wichtiger Punkt.

Für den Rechtsanwalt Wolfram Sander von der IWS Immobilienwirtschaft Stuttgart überwiegen bei Sim die Risiken. Man könne zwar die Zielsetzung der Stadt nachverfolgen, der gewählte Weg sei aber in dieser Pauschalität der falsche. Tendenziell hätte der Gemeinderatsbeschluss eine abschreckende Wirkung auf die Investoren mit der Folge, dass die Innenstadt städtebaulich darunter leiden könnte. Im Endeffekt werde Sim dazu führen, dass der Wohnraum in der Landeshauptstadt teurer werde, weil die verbleibenden Projektentwickler und Investoren die Kosten an die Endkunden weitergeben werden.

Seite 3: Stadt ist bei Sim gesprächsbereit

Stadtplaner Kron versuchte in der Diskussion klar zu machen, dass das Stuttgarter Innenentwicklungsmodell tatsächlich nur dann zum Tragen komme, wenn ein neuer Bebauungsplan aufgestellt werde. „Bis heute haben wir noch mit keinem Bauträger über das Thema gesprochen.” Allerdings sei man durchaus gesprächsbereit und werde in den nächsten zwei Jahren, die als Testphase für das Innenentwicklungsmodell gedacht ist, das Thema durchaus flexibel handhaben, versprach Kron.

Zuvor hatte Professor Christoph Erhardt einen „Blick von der Welt auf Europa und auf die Region Stuttgart” gewagt. Wenn man eine Lehre aus der Immobilienkrise in den Vereinigten Staaten ziehen könne, dann sei es die, dass man konservativ wirtschaften und solide finanzieren sollte. Finanzierungsmodelle mit wenig Eigenkapital und hohem Fremdkapitalanteil hätten langfristig keine Chancen mehr. Mit Blick auf Stuttgart und die Region wünsche er sich mehr Selbstvertrauen. So werde das Thema der Nachhaltigkeit in den USA weit besser vermarktet als in Deutschland. Die Region müsse aber auch wesentlich attraktiver für ausländisches Kapital werden. Letztendlich sei es aber ebenso wichtig, den Schulterschluss zwischen Politik, Verwaltung, Bürgern und einer sachkundigen Immobilienwirtschaft anzugehen. Denn wenn Bürgerbeteiligung erst einmal zum Bestandteil des Denkprozesses geworden sei, behindere sie auch nicht mehr.