Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (li.) und Ministerpräsident Winfried Kretschmann kosten nach dem Strategiedialog von einem Cassis-Stollen. Foto: dpa/Marijan Murat

In einem Strategiedialog sollen alle Akteure aus Landwirtschaft, Politik und Naturschutz gemeinsame Lösungen erarbeiten. Doch gibt es diese nicht längst?

Ganz tief hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Freitag in seine rhetorische Schatzkiste gegriffen: Es brauche einen „neuen Gesellschaftsvertrag“, sagte er mit Pathos, um die Landwirtschaft mit dem Arten- und Klimaschutz zu versöhnen. Zu lange hätten sich Bauern und Naturschützer in einer „Dauerkonfrontation“ befunden. Ein zweijähriger Strategiedialog, den die Landesregierung mit einer hochkarätigen Veranstaltung in der Stuttgarter Liederhalle eröffnet hat, soll dazu beitragen.

Es ist bereits der vierte dieser Dialoge, den die grün-schwarze Koalition als neues Kommunikations- und Lösungswerkzeug installiert hat. Zuvor ging und geht es um Mobilität, Gesundheit sowie Wohnen und Bauen. Nun sollen Experten, Betroffene und Bürger in fünf Arbeitsgruppen zu Vereinbarungen kommen, wie man die regionale Erzeugung stärkt oder Naturschutz als bäuerliches Geschäftsmodell etabliert.

Schon längere Zeit sprechen die Akteure miteinander

Aber wie nützlich kann ein solcher Dialog überhaupt werden? Die Leitplanken der Agrarpolitik werden längst in Brüssel festgelegt; dort stehen die großen Geldtöpfe. Kretschmann ließ den Einwand aber nicht gelten: „Wir müssen jeglichen Spielraum nutzen, den wir im Land haben“, sagte er. Das sogenannte Biodiversitätsstärkungsgesetz von 2020 zeige, dass es diese Spielräume gebe – damals legten Politik, Landwirtschaft und Naturschutz gemeinsam fest, dass bis 2030 die Menge der Pestizide auf die Hälfte reduziert und die Quote der Öko-Landwirtschaft auf 30 bis 40 Prozent erhöht werde.

Dies zeigt im Übrigen, dass es einen solchen Dialog bereits gibt. Dies unterstreicht auch eine gemeinsame Erklärung der beiden baden-württembergischen Bauernverbände, der Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau sowie des Naturschutzbundes am Freitag. Sie verwiesen darauf, dass sie seit letztem in einem „Veränderungsdialog“ stünden, der ähnliche Ziele verfolge. Es gehe um die Ernährungssicherheit, den Schutz von Tieren, Pflanzen und Böden, die Einbindung des Einzelhandels und natürlich um die finanzielle Absicherung der Höfe.

Bundesagrarminister will Vorschläge für mehr Tierwohl umsetzen

Auch frische Runden ohne Dissens illustrierten diesen tadellosen Aufbruch. Am Freitag kam es aber doch wieder zumindest zu einer Störung des verbesserten Verhältnisses. Agrarminister Peter Hauk (CDU) behauptete bei einer Podiumsdiskussion, bezüglich der Ursachen des Insektensterbens sei nichts bewiesen und es sei zu einfach, der konventionellen Landwirtschaft die Schuld zu geben. Umweltministerin Thekla Walker (Grüne), die mit auf dem Podium saß, musste da deutlich schlucken, blieb aber diplomatisch und sagte, man müsse die Menge an Pestiziden deutlich reduzieren, wenn man weiterkommen wolle. Johannes Enssle, der Landeschef des Nabu, wurde am Rande der Veranstaltung deutlicher: „Es ist keine gute Basis für den Strategiedialog, diesen mit einer Lüge zu beginnen“, sagte er.

Hauptgast der Veranstaltung war Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne), und er relativierte und bekräftigte zugleich die Notwendigkeit des Strategiedialogs. In seiner kurzen Rede sagte er, man habe „kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsdefizit“. Die Politik sei jetzt an der Reihe, endlich gemeinsam erarbeitete Vorschläge zu verwirklichen. Er meinte damit die Borchert-Kommission, die 2020 ebenfalls im Dialog und schlussendlich im Konsens Pläne für einen Umbau der Nutztierhaltung vorgestellt hatte. Dadurch sollen die Schweine und Rinder artgerechter gehalten werden. Kostenpunkt für den Steuerzahler: bis zu fünf Milliarden Euro. Auf Nachfrage unserer Zeitung sagte Özdemir, er sei bereit, alle Maßnahmen umzusetzen – derzeit scheitere dies allein am Widerstand des FDP-Koalitionspartners.

Viel Lob für den Lebensmittel-Einzelhandel

Zugleich betonte Özdemir aber zugleich, dass er den Strategiedialog Baden-Württembergs für sinnvoll halte. Die Ideen etwa des Biodiversitäts-Stärkungsgesetzes seien so gut, dass sie als Blaupause für die Bundesregierung dienen könnten.

Am Nachmittag unterzeichneten Vertreter großer Einzelhandelsketten und Ministerpräsident Kretschmann eine Vereinbarung, um regionale Lebensmittel noch besser zu vermarkten. Oft die Buhmänner im Schwarzer-Peter-Spiel der Landwirtschaft, gab es am Freitag einmal viel Lob für den Einzelhandel. Dieser würde schon heute die regionale Erzeugung unabhängig von den Weltmarktpreisen honorieren, sagte Christine Wieck, Professorin an der Universität Hohenheim. Und der Hühnerhalter Christoph Hönig, der seit 30 Jahren für mehr Tierwohl und regionalen Handel kämpft, sagte: „Alle haben sich brutalst bemüht.“ Eine wichtige Erkenntnis schon zu Beginn des Strategiedialogs ist deshalb: Der Ton hat sich verändert – zumindest meist.