Im vergangenen Winter ist die Grippewelle ausgeblieben. Warum dies in dieser Saison anders sein wird und wem Experten zu einer Impfung raten, zeigt diese Übersicht.
Stuttgart - Maske, Kontaktverbot, Händehygiene haben gereicht, um die Grippeviren im vergangenen Winter nahezu unschädlich zu machen. Es gab so gut wie keine Erkrankungen. In dieser Saison könnte es ganz anders sein. Experten der Deutschen Gesellschaft für Infektionskrankheiten (DGI) rechnen mit einer heftigen Grippewelle – „weil die Menschen sich wieder näher kommen und Infektionsketten so begünstigt werden“. Zudem werde ein sogenannter Nachholeffekt befürchtet: Da die Bevölkerung eine Wintersaison lang keinen Erregern ausgesetzt war, können die aktuellen Grippeviren auf ein untrainiertes Immunsystem treffen. Noch ist die Lage ruhig: Bis Ende vergangener Woche sind bundesweit 118 Grippefälle gemeldet worden. In Baden-Württemberg waren es insgesamt 19 Influenzafälle (Stand: 5.11. 2021). Nach Angaben des Landesgesundheitsamts liegt diese Zahl im Rahmen dessen, was aus den Vorjahren für den Vergleichszeitraum jeweils seit Start der Influenzasaison in der 40. Meldewoche übermittelt wurde. Warum dennoch eine Grippeimpfung angeraten ist – und für wen, beantworten wir hier.
Warum braucht es eine Grippeimpfung?
„In erster Linie geht es darum, sich vor einer nicht zu unterschätzenden Infektionskrankheit zu schützen“, heißt es seitens der DGI. Zugleich hat eine möglichst große Impfquote den positiven Nebeneffekt, dass die Krankenhäuser nicht zusätzlich zu den Corona-Erkrankten auch noch Patienten mit schweren Grippeverläufen hinzubekommen. Darauf weist Jan Steffen Jürgensen, Medizinischer Vorstand des Klinikums Stuttgart, hin. Es sei sogar möglich, sich mit beidem zu infizieren und damit den Krankheitsverlauf zu verschlimmern. „Andersherum gibt es Hinweise, dass eine Grippeimpfung auch bedingt gegen schwere Covid-19-Verläufe schützen kann.“ So tauchen seltener Komplikationen wie tiefe Venenthrombosen, Schlaganfälle und Sepsis auf. Einen weiteren Vorteil verkündete unlängst die Deutschen Gesellschaft für Neurologie: Demnach können regelmäßige Grippeimpfungen das Demenzrisiko um zwölf Prozent reduzieren.
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Wieso erhalten ältere Menschen einen gesonderten Wirkstoff?
In dieser Saison erhalten Menschen, die älter als 60 Jahre sind, erstmals einen sogenannten Hochdosis-4-fach-Influenza-Impfstoff. „Dieser hat eine höhere Wirksamkeit als der zuvor empfohlene Standardimpfstoff“, sagt Anja Kwetat, Leiterin der Arbeitsgruppe Impfen bei der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie. Er enthält nämlich die vierfache Antigenmenge des normalen Vakzins. Mit dieser Neuerung erhoffen sich die Mediziner einen besseren Schutz für Senioren. Denn gerade bei älteren Menschen fällt die Immunantwort nach einer Impfung mit herkömmlichen Vakzinen nicht immer stark aus. Doch gerade Senioren sind besonders gefährdet, eine Influenza-Infektion zu entwickeln. Auch ist bei ihnen das Risiko, an der Grippe zu versterben, höher: Bis zu 90 Prozent aller Grippetoten sind älter als 60 Jahre. Ein weiterer Hinweis: Ältere Patienten können die Impfung zeitgleich mit der dritten Boosterimpfung gegen Covid-19 bekommen – die Ständige Impfkommission (Stiko) hat dies ausdrücklich bestätigt.
Wer sollte sich noch impfen lassen?
Patienten mit Grunderkrankungen sollten sich gegen Grippe impfen lassen. Dazu kommt eine Impfempfehlung für medizinisches und Pflegepersonal sowie für Schwangere. So sollten bei werdenden Müttern grundsätzlich schwere fieberhafte Infekte vermieden werden, heißt es seitens des Berufsverbands der Frauenärzte. Ansonsten steige die Gefahr für frühzeitige Wehen und eine Frühgeburt.
Sollten sich Kinder und Jugendliche gegen Influenza immunisieren lassen?
Hier geht die Expertenmeinung auseinander: Während die Stiko eine Immunisierung nur Kindern mit Vorerkrankungen empfiehlt, raten Kinder- und Jugendärzte und auch die DGI dazu, alle Kinder zu impfen – auch aus Gründen der Herdenimmunität. „Denn nur durch eine konsequente Impfung, auch der gesunden Bevölkerung, wird eine Übertragung auf Ungeschützte und chronisch Kranke, die nicht geimpft werden können, verhindert“, sagt das DGI-Vorstandsmitglied Gerd Fätkenheuer.
Wird es überhaupt genug Impfstoff geben?
Laut Bundesregierung wird es – anders als in der vergangenen Saison – keinen Mangel geben: Es seien „mehr als genug“ Impfstoffe bestellt worden, heißt es seitens des Bundesgesundheitsministeriums. 27 Millionen Dosen stünden insgesamt zur Verfügung. Aktuell hat das zuständige Paul-Ehrlich-Institut 25 Millionen Impfdosen freigegeben. Zum Vergleich: In der vergangenen Grippesaison sind 22 Millionen Impfdosen verabreicht worden, deutlich mehr als in den Jahren davor. Und auch die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg vermeldet bislang keinen Mangel an Impfstoffdosen.
Kann man trotz Impfung an Grippe erkranken?
In den allermeisten Fällen, in denen Influenzageimpfte über grippeähnliche Symptome klagen, handelt es sich um eine schwere Erkältung, heißt es seitens der DGG. Auch könne die Grippeschutzimpfung selbst keine Grippeinfektion auslösen, weil die bei Erwachsenen eingesetzten Impfstoffe Totimpfstoffe seien. Diese beinhalten keine vermehrungsfähigen Viren, sagt Anja Kwetkat von der Arbeitsgruppe Impfen der DGG.
Wie lange braucht es, bis sich nach einer Immunisierung der Schutz ausgebildet hat?
Normalerweise dauert es rund zehn Tage, teils zwei Wochen, bis sich ein Schutz ausgebildet hat – weshalb Experten dazu raten, sich möglichst jetzt impfen zu lassen.
Hat die Impfung Nebenwirkungen?
Wie bei allen Impfungen kann der geimpfte Arm vorübergehend etwas anschwellen oder schmerzen. Auch ist ein kurzzeitiges allgemeines Krankheitsgefühl nicht ungewöhnlich, sagt Markus Rose vom Klinikum Stuttgart. Wenn manche erzählen, sie seien von der Grippeimpfung richtig krank geworden, beruht das auf einer Fehlwahrnehmung: „Wenn ich im Winterhalbjahr, wo alle möglichen Infekte unterwegs sind, gegen Grippe impfe, kann ich natürlich nicht verhindern, dass eine andere – schon im Körper befindliche – Virusinfektion ausbricht“, sagt Rose.
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Welche Symptome hat eine Grippe, welche eine Corona-Infektion?
Das ist insbesondere bei leichten Verläufen schwer einzuschätzen. Denn die Symptome sind praktisch gleich: Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen, Husten. Bei schweren Verläufen zeigen sich dann die Unterschiede: Influenzaviren befallen nur die Atemwege, es kann zu einer Lungenentzündung kommen. Bei einer Infektion mit dem Sars-CoV-2-Virus vermehrt sich der Erreger in vielen Körperorganen. Deswegen leiden schwer Erkrankte zusätzlich an Darmbeschwerden oder entwickeln eine Herzmuskelentzündung. Zudem kann das Virus das Nervensystem befallen, weshalb Infizierte auch über Geschmacks- und Geruchsverlust klagen.
Info: So wird das Immunsystem gestärkt
Studien
Ein englisch-chinesisches Forscherteam hat jetzt eine große Übersichtsarbeit zu den üblichen Schutzmaßnahmen gegen Erkältungen und Grippe veröffentlicht. Als Datenpool dienten die Arbeiten des unabhängigen Ärzte- und Wissenschaftlernetzwerks der Cochrane Collaboration.
Knoblauch
Die Knolle schützt vor Erkältungen und vor Grippe. Seine hohe Effektivität liegt vermutlich darin, dass er die Immunzellen aktiviert und auch die Entzündungsneigung im Körper reduziert.
Zink
Ein Forscherteam der National University of Singapore bescheinigt Zink-Lutschtabletten in einer aktuellen Studie, dass sie die Dauer einer Erkältung um durchschnittlich 2,3 Tage verringern können.
Echinacea
Präparate des Sonnenhuts können – präventiv eingenommen – die Schnupfenquote um 10 bis 20 Prozent reduzieren. Wobei hierzulande jedoch zig Präparate mit Echinacea kursieren. Ob all diese Zubereitungen gleichwertig schützen, ist zweifelhaft.
Tee
Japanische Wissenschaftler ließen 124 Senioren entweder mit Grüntee oder mit Wasser gurgeln, jeweils dreimal täglich. Im Verlauf von drei Monaten bekamen zehn Prozent der Wassergurgler einen Infekt, aber nur 1,3 Prozent der Teegruppe. (zit)