Spatenstich (von links): Immendingens Bürgermeister Markus Hugger, Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU), Ministerpräsi dent Winfried Kretschmann (Grüne), Daimler-Vorstand Thomas Weber, CDU-Fraktionschef Guido Wolf und Landrat Stefan Bär. Foto: Kästle

Meilenstein für das Auto von morgen: Autobauer will Strecke in Immendingen noch 2015 einweihen.

Immendingen/Stuttgart - Noch ist die Bundeswehr in Immendingen (Kreis Tuttlingen) nicht komplett abgezogen. Einige Bundeswehrsoldaten sind am Donnerstagmorgen mit Gepäck hinter abgesperrtem Gebiet im Laufschritt unterwegs, während die ersten Gäste zum Spatenstich des Daimler-Prüf- und Technologiezentrums eintreffen. Die Kantine der Bundeswehr füllt sich zusehends. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) trifft pünktlich ein und wird sogleich umringt, unter anderem von Volker Kauder (CDU), dem Unionsfraktionschef und Abgeordneten des Wahlkreises Tuttlingen-Rottweil, von Kretsch-manns CDU-Herausforderer bei der nächsten Landtagswahl, Guido Wolf, und Daimler-Vorstand Thomas Weber.

Ein grüner Ministerpräsident kommt zu einer Veranstaltung eines Automobilkonzerns, und dies, wie Kretsch-mann versichert, sogar gerne. Was Daimler mit dem Test- und Prüfzentrum plant, ist durchaus in seinem Sinne. Zum einen wird ein Konversionsprojekt – eine Nutzungsänderung also –, auch mit Rücksicht auf ökologische Belange, beispielhaft umgesetzt. Zum anderen entwickelt Daimler das, wie es Vorstand Weber formuliert, "Auto von morgen". Hierbei werde dem Prüf- und Technologiezentrum Immendingen eine Schlüsselrolle zukommen.

Die Daimler AG investiert in der Tuttlinger Kreisgemeinde nahe der Autobahn 81 rund 200 Millionen Euro und schafft 300 Arbeitsplätze. Bereits im Januar haben die ersten Daimler-Beschäftigten ihren Arbeitsplatz im ehemaligen Soldatenheim bezogen. Projektleiterin Caroline Anstett geht davon aus, dass sich im Gefolge von Daimler auch Dienstleister, die an der Entwicklung und Erprobung der Fahrzeuge beteiligt sind, in Immendingen ansiedeln.

Im Jahr 2011 hatte Daimler beschlossen, die Planungen für das Prüf- und Technologiezentrum auf Immendingen zu konzentrieren. Vorausgegangen war ein intensiver Suchlauf: So sind insgesamt 120 Flächen analysiert und geprüft worden. Als mögliche Standorte kamen auch Sulz am Neckar (Kreis Rottweil) und Nellingen/Merklingen bei Ulm infrage. Während sich in diesen Kommunen teils heftiger Widerstand regte, ist Daimler in Immendingen schnell willkommen geheißen worden.

"Schön, dass wir in der Region sein dürfen", freut sich denn auch Thomas Weber, der für Konzernforschung und Entwicklung Mercedes-Benz Cars zuständig ist. Er spricht beim Spatenstich von einem "Meilenstein auf dem Weg zum modernsten Prüf- und Technologiezentrum Deutschlands". Bei einer Gesamtfläche von mehr als 500 Hektar – 90 Hektar werden davon allerdings nur versiegelt – entstehen auf Europas wohl größter Erdbaustelle zwischen 20 und 30 verschiedene Module. Noch in diesem Jahr – voraussichtlich im Sommer – soll bereits die Schlechtwetterstrecke in Betrieb gehen. Die Fertigstellung der kompletten Anlage ist für 2018 geplant. Die Bundeswehr wird bereits 2017 in Immendingen ihre Schießanlage abbauen.

"In Immendingen ist Zukunft erlebbar"

Das Unternehmen verlegt künftig einen großen Teil der Testfahrten von öffentlichen Straßen auf das ehemalige Militärgelände in Immendingen, um alternative Antriebe wie Hybride und Elektrofahrzeuge mit Batterie oder Brennstoffzelle weiterzuentwickeln und Verbrennungsmotoren zu optimieren. Außerdem wird an Fahrsicherheitssystemen bis hin zum autonomen Fahren gearbeitet. "Bei der Entwicklung des Autos von morgen wird dem Prüf- und Technologiezentrum Immendingen eine Schlüsselrolle zukommen", betont Weber.

Daimler hat mit seinem Bauvorhaben mächtig Gas gegeben. In nur drei Jahren sei eine Idee zu einem umsetzungsfähigen Projekt geworden: "Das ist international rekordverdächtig. So etwas brauchen wir in Deutschland", sagt Weber. Dabei hätte, wie Ministerpräsident Kretschmann anmerkt, aus militärischen Erwägungen heraus der Bundeswehrstandort Immendingen nicht unbedingt aufgelöst werden müssen. Es sei deshalb so zügig gegangen, weil Bürgerschaft, Unternehmen und Politik parteiübergreifend an einem Strang gezogen hätten. Auch Kauder hat sich in seinem Wahlkreis für den Daimler-Standort Immendingen starkgemacht. Er wertet das Prüfzentrum als klares Bekenntnis zur Zukunft des Autos und damit zur individuellen Mobilität.

"In Immendingen ist Zukunft erlebbar", stellt der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Guido Wolf, fest. Die Bürgerschaft habe das Daimler-Projekt als eine Chance gesehen, "um die wir kämpfen wollen", erklärt der Immendinger Bürgermeister Markus Hugger. Die Euphorie ist spürbar groß. Immendingen wandelt sich von einem Bundeswehr- in einen Industriestandort. Der Tuttlinger Landrat Stefan Bär ist überzeugt, dass Daimler die Region verändern und der "Turboantrieb für Wachstum" sein wird.

Zum anschließenden Spatenstich bekommt der Ministerpräsident einen neuen Dienstwagen – einen Mercedes-Benz S 500 mit Hybridantrieb – ausgeliefert. Mit einem Kohlendioxidausschuss von 65 Gramm pro Kilometer kommt er seinen Idealvorstellungen eines Fahrzeugs mit Null-Emissionen schon sehr nahe. Kretschmann: "Ich freue mich auf dieses Auto: Es ist richtig cool und richtig grün."

Info: Umwelthilfe hat ihre Zweifel am neuen Dienstwagen

CO2-Belastung halbiert Mit dem neuen Dienstwagen für Ministerpräsident Winfried Kretschmann gibt es auch eine Debatte über Schadstoffe. Der grüne Regierungschef ist jetzt mit einem Hybridfahrzeug der Daimler-S-Klasse unterwegs, das nach offiziellen Angaben einen CO2-Ausstoß von 65 Gramm pro Kilometer hat. "Mein neues Fahrzeug setzt Maßstäbe bei Effizienz und Klimaschutz", sagte Kretschmann gestern bei der Übergabe des Wagens. Der CO2-Ausstoß von Kretsch- manns bisherigem Dienstfahrzeug lag noch bei 115 Gramm.

Skepsis bei Verbesserung

Die Umwelthilfe bezweifelte allerdings, dass Kretschmann sich unter Umweltgesichtspunkten verbessert hat. Für das neue Fahrzeug ergebe sich insgesamt ein CO2-Ausstoß von 140 Gramm pro Kilometer, sagte eine Sprecherin. In den offiziellen Herstellerangaben seien nicht die CO2-Emissionen einberechnet, die durch den Elektromotor und den benötigten Strom anfielen. Ein Daimler-Sprecher bezeichnete die Rechnung der Umwelthilfe dagegen als fachlich nicht korrekt. Für die Berechnung des CO2-Ausstoßes gebe es gesetzlich festgelegte Maßstäbe. Das neue Auto ist Kretschmanns sechster Dienstwagen.