Der Kreml in Moska Foto: dpa

Moskau hat viele Gesichter - Es ist Touristenmagnet und Zentrum der Korruption.

Moskau - Das Image Russlands leidet unter Korruption und staatlicher Repression gegen Andersdenkende. In Moskau machte zuletzt ein brutaler Überfall auf einen Journalisten Negativschlagzeilen. Was ist das für eine Stadt, in der Unternehmen schikaniert und Regimekritiker niedergeknüppelt werden?

In der Pfütze spiegelt sich die Wirklichkeit. Bänder, die Ähren umwickeln, eine aufgehende Sonne, oben ein fünfzackiger Stern. Verschwommen zeigen sich die Buchstaben, weichgezeichnet die Konturen. Hier über dem Eingang zur Moskauer Staatsuniversität prangt noch das sowjetische Wappen, hier ist die Vergangenheit so nah, mit Hammer und Sichel, mit "Proletarier aller Länder, vereinigt euch".

Was ist Moskau für eine Stadt?

Rustam - "der Nachname tut nichts zur Sache" - klammert sich hier an seinen Pappbecher. Der 51-Jährige verkauft Souvenirs in einem kleinen Stand, er nimmt einen Schluck Tee. Hier hat er sein Reich ausgebreitet, ein Russland, wie Rustam es sieht. Matrjoschkas, Abzeichen, Souvenirteller mit Zwiebelturmkirchen, fein gezeichnet, bunt bemalt. Seit 14 Jahren steht er hier auf den Sperlingsbergen, von 8 Uhr morgens bis 8 Uhr abends. Immer am äußeren Rand der Aussichtsplattform.

Vielleicht kommen sie, die Frischvermählten, die Ausländer, die Spaziergänger, vielleicht kommen sie hierher, um sie zu suchen, diese Stadt, von der aus das Land regiert wird. Vielleicht stellen sie sich aus der Nähe dieselben Fragen wie der Betrachter aus der Ferne: Was ist das für eine Stadt, die gleichzeitig so viel Wohlstand und so viel Armut gebiert? Was ist das für eine Stadt, wo die Polizei gegen Andersdenkende mit Schlagstöcken vorgeht? Was ist das für eine Stadt, in der korrupte Staatsanwälte Kleinunternehmer schikanieren und die Mächtigen unliebsame Großunternehmen zerschlagen?

Das Innenministerium - blassrosa, fast lieblich

Die Petrowka-Straße gibt vieles preis. Hier stehen die zerfallenen, denkmalgeschützten Häuser, die finanzstarke Investoren nicht interessieren, manchmal nicht einmal die Denkmalschützer. Hier residiert, hinter hohen Zäunen, die Hauptverwaltung des Innenministeriums. Ein Tempel, blassrosa, mit ionischen Säulen, lieblich fast. Doch Charme hat dieser Ort nicht. Hier regiert die Angst. Manchmal die Resignation. Die Wut. Oder die Enttäuschung.

Vor den Zäunen kommen sie zusammen, die vermeintlich Entrechteten, sie wollen auf die Gesetze hinweisen. Sie stehen meist einsam im Wind, die Autos rauschen an ihnen vorbei, sie halten Plakate in die Luft, verteilen Flyer. Darauf Gesichter, Namen von politisch Verfolgten, von Minderheiten, von zusammengeprügelten Journalisten. In der vergangenen Woche kamen die Menschen wieder zusammen, hier vor dem Haus Nummer 38. "Wer hat Oleg Kaschin zusammengeschlagen?" - die Frage auf dem Plakat wiederholt sich alle 20 Meter.

Medwedew nimmt den Fall ernst

In der Pjatnizkaja-Straße im Zentrum war in der Nacht zum 6. November der 30-jährige Journalist Kaschin von zwei Unbekannten vor seinem Haus brutal zusammengeschlagen worden. Er erlitt schwere Knochenbrüche und eine Gehirnerschütterung, im Krankenhaus wurde er tagelang in ein künstliches Koma versetzt.

Der Grund für die Tat liegt in seiner beruflichen Tätigkeit, vermuten Ermittler. Selbst für Präsident Dmitri Medwedew steht fest: "So klaut man gewöhnlich keine Portemonnaies." Anders als der heutige Regierungschef Wladimir Putin, der nach dem Mord an der kritischen Tschetschenien-Berichterstatterin Anna Politkowskaja die Empörung aus dem Ausland mit dem Satz beiseiteschob, die Bedeutung der Frau werde überschätzt, nimmt Medwedew den Fall äußerst ernst: "Wer auch immer an diesem Verbrechen beteiligt war, er wird dafür bestraft werden." Die "Kommersant"-Redaktion, für die Kaschin mit Unterbrechungen seit 2003 vor allem über Soziales, Umweltschutz und die russische Opposition schrieb, sieht aber nur einen kleinen Funken Hoffnung, dass der Fall aufgeklärt wird.

Kein Journalistenmord wurde aufgeklärt

Auch die Journalisten der regimekritischen "Nowaja Gaseta" hoffen. Sie hoffen seit Jahren. In den vergangenen zehn Jahren sind sechs ihrer Kollegen ermordet worden. Aufgeklärt ist bisher keiner der Fälle. Es sind erschreckende Zahlen, die der russische Journalistenverband verbreitet: mehr als 300 getötete russische Journalisten in den vergangenen 20 Jahren. In lediglich fünf von 83 Regionen des Landes hat es nach Angaben des russischen Schutzfonds für Transparenz in den vergangenen fünf Jahren keinen Überfall auf Journalisten gegeben.

"Man wird vorsichtiger. Aber es gibt nur zwei Möglichkeiten: Angst oder Arbeit. Ich bevorzuge die Arbeit", sagt der Journalist Andrej Kosenko. Der 34-Jährige sitzt in der Redaktion des "Kommersant" im Nordwesten der Stadt. Es ist eine der renommiertesten Tageszeitungen im Land, ein Blatt, das das offizielle Moskau zwar kritisiert, das aber stets in Maßen tut. Dabei fordern die Zustände jede Menge Kritik heraus.

Der Beamtenapparat ist durch Korruption und Vetternwirtschaft zerfressen, mag Präsident Medwedew seit seiner Amtseinführung 2008 auch noch so oft vom "Kampf gegen Korruption" sprechen. Die nichtstaatliche Organisation Transparency International setzte Russland im vergangenen Jahr auf Platz 154. Innerhalb von einem Jahr war das Land um acht Plätze nach unten gerutscht, Antikorruptionsgesetze hin oder her. Doch die Gleichgültigkeit der Menschen, sagt Journalist Kosenko, sei erschreckender. "Da soll vor ihrer Nase ein Wald abgeholzt werden, ein Lebensraum, in dem sie atmen können. Und sie fahren einkaufen oder schauen Seifenopern."

Gleichgültigkeit, wohin man schaut

Diese Gleichgültigkeit scheint selbst beim wichtigsten Urteil in der Geschichte des heutigen Russland durch: Am 15. Dezember könnten Michail Chodorkowski, vormals Chef des vom Staat zerschlagenen Ölkonzerns Yukos, und sein früherer Geschäftspartner Platon Lebedew zu weiteren 14 Jahren Haft verurteilt werden - wegen Öldiebstahls. Für die Menschen auf der Straße steht längst fest: Er ist ein Gauner. Das kontrollierte Staatsfernsehen vermittelt genau dieses Bild.

Rustam, der Souvenirverkäufer, schaut nicht fern. "Wo es das große Geld gibt, gibt es auch große Probleme." Er trinkt Tee und verkauft seine Matrjoschkas. Die günstigste für umgerechnet 2,30 Euro.