Vor dem Landgericht Tübingen wird aktuell ein Missbrauchsfall verhandelt. Foto: Tom Weller/dpa

Ein 58-jähriger Mann aus dem Kreis Calw muss sich vor dem Tübinger Landgericht für den sexuellen Missbrauch an drei Jungen verantworten. Die Opfer hat er im Umfeld der Zeugen Jehovas kennengelernt. Die Taten räumt er teilweise ein.

Als der Angeklagte am Freitag in Handschellen den Schwurgerichtssaal am Tübinger Landgericht betritt, wirkt er gefasst. Die Brille steckt im Kragen seines blauen Pullovers. Er sitzt ruhig auf seinem Stuhl.

 

Seit dem 20. Februar sitzt er in Untersuchungshaft. Der Grund: Der heute 58-jährige soll in den vergangenen Jahren drei Jungen sexuell missbraucht und die Taten mit dem Handy aufgenommen haben. Die mutmaßlichen Tatorte befanden sich im Enzkreis, im Kreis Calw und in Serbien.

„Kinder wurden ihm anvertraut“

Oberstaatsanwältin Rotraud Hölscher nannte in ihrer Anklage vor der dritten großen Jugendkammer weitere Details. Der Angeklagte gehöre zu den Zeugen Jehovas, erklärte sie. Dort sei er in der Jugendarbeit aktiv gewesen. So habe er Kontakt zu Jugendlichen bekommen. „Die Kinder wurden ihm anvertraut“, so Hölscher.

Laut der Oberstaatsanwältin lernte er so sein erstes Opfer kennen. Der Junge sei zum Tatzeitpunkt zwölf Jahre alt gewesen. Der Angeklagte habe ihn vor etwa fünf Jahren zuhause besucht und mit ihm allein Zeit im Kinderzimmer verbracht. Dort habe der Mann dem Jungen in die Unterhose gefasst.

Auch das zweite Opfer habe er über das Umfeld der Zeugen Jehovas kennengelernt. Der Junge war zu den Tatzeiten erst 13, dann 14 Jahre alt. Im Frühjahr 2024 habe der Angeklagte das Opfer laut Hölscher zum Übernachten in seine Wohnung eingeladen. Der Junge schlief auf dem Sofa. Der Mann griff ihm dabei in die Hose und „manipulierte“ dem Opfer am Geschlechtsteil.

Im September kam es laut Anklage zu einem zweiten solchen Vorfall. Wieder war der Junge zur Übernachtung in der Wohnung des Angeklagten. Wieder habe ihm dieser in die Hose gegriffen und, so Hölscher, „masturbierende Bewegungen“ ausgeführt. Der Junge habe sich weggedreht und so getan, als ob er schlafe. Der Mann habe trotzdem weitergemacht – und die Tat mit seinem Handy gefilmt.

Das dritte Opfer habe der Angeklagte über seine Tätigkeit als Schulbegleiter in Pforzheim kennengelernt und das Vertrauen der Familie des damals 13-jährigen Jungen erarbeitet. Das Verhältnis war wohl so gut, dass er die Familie im Juni und August 2024 in den Serbien-Urlaub begleitete.

Aber nicht nur das: Die Eltern ließen den Mann mit den Söhnen allein voraus reisen. Den Jungen habe der Angeklagte dort in neun Fällen im Schlaf am Unterkörper entkleidet, um dann an dessen Geschlechtsteil zu „manipulieren“.

Auch hier habe er die Taten mit seinem Handy aufgenommen. Insgesamt 107 Bilder seien so entstanden, sagte Hölscher. Dabei habe er unter anderem den Intimbereich fotografiert.

Die Taten hätten an sieben Tagen stattgefunden – entweder nachts oder in den Morgenstunden. Außerdem habe der Angeklagte weitere Bilder von Körperpartien, darunter dem Gesäß, des Jungen angefertigt, sowohl im bekleideten als auch im unbekleideten Zustand.

Weitere jugendpornografische Videos

Als die Polizei die Wohnung des Mannes durchsuchte, stellten die Ermittler neben dessen Mobiltelefon eine externe Festplatte sicher. Darauf haben sich laut Hölscher drei weitere jugendpornografische Videos befunden. Jungen hätten darin sexuelle Handlungen durchgeführt.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann vor, solches Material erstellt und besessen zuhaben. Dazu kommen zwei Fälle des sexuellen Missbrauchs Jugendlicher und zehn Fälle des sexuellen Kindesmissbrauchs.

Das sagt der Angeklagte

Der 58-jährige äußerte sich vor Gericht nicht selbst. Er ließ seinen Verteidiger Holger Böltz eine Erklärung verlesen. Darin räumt der Angeklagte die Taten teilweise ein. Er bestreitet aber die Vorfälle vor dem Serbien-Urlaub.

Zwar habe er da schon „Interesse an jungen Männern“ gehabt, aber keine Taten begangen. Gegenüber dem ersten Jungen sei er „nie übergriffig“ gewesen. Das wisse er deshalb so genau, weil er damals schockiert gewesen sei, dass in Serbien die „Hemmschwelle“ gefallen war.

Der Angeklagte gibt also lediglich die Taten zu, welche er selbst mit dem Handy aufgenommen hatte.

Zudem bestritt er, die Übernachtungen initiiert oder sich zum Urlaub selbst eingeladen zu haben, wie es die Staatsanwaltschaft beschrieb. Das sei „reine Polemik“, so sein Verteidiger. Die Idee zum Urlaub sei von dem Jungen gekommen. Zu den Familien habe ein „offener, vertrauensvoller“ Kontakt bestanden. Das Vorgehen seines Mandanten sei nicht planvoll gewesen.

Böltz erklärte zudem, dass der Mann die Taten bedaure. „Es tut ihm Leid. Er schämt sich sehr“, so der Anwalt. Er sei betroffen und schockiert über sein Vorgehen. Er wolle sich in therapeutische Behandlung begeben. Sein Mandant hoffe, dass die Geschädigten dadurch keine dauerhafte Belastung haben.

So geht es weiter

Das zweite Opfer soll am kommenden Freitag vor Gericht aussagen, ebenso seine Familie. In der Zwischenzeit wird sich der psychiatrische Gutachter Thomas Ethofer mit dem Mann unterhalten. Seine Beurteilung stellt er gegen Ende des Prozesses, das auf Mitte Mai terminiert ist, vor.