Müßiggang im Alter – glaubt man verschiedenen Statistiken, können darauf immer mehr Stuttgarterinnen und Stuttgarter hoffen. Foto: dpa

Nirgendwo in Deutschland werden die Menschen älter als in Baden-Württemberg. In Stuttgart hat laut neusten Zahlen ein neugeborenes Mädchen eine durchschnittliche Lebenserwartung von fast 85 Jahren. Damit liegen Stuttgarterinnen bundesweit ganz vorne.

Stuttgart - Ein Jahr vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, 1913, kam Pauline Schlotter in Enslingen bei Schwäbisch Hall zur Welt. Seit 1936 lebt sie in Stuttgart und feierte hier kürzlich, im Mai, ihren 100. Geburtstag. „Ich glaube, sie ist auch deshalb so alt geworden, weil sie einen unerschütterlichen Optimismus besitzt. Sie hat immer nach vorne geblickt, egal, wie es ihr ging“, sagt ihre Tochter Ellen Schimpf, die selbst bereits 76 Jahre alt ist. „Meine Mutter ist nicht krank, ihr fehlt eigentlich nichts. Das größte Problem ist ihr schlechtes Gehör.“ An ihrem Geburtstag sagte die 100-Jährige, die bis heute regelmäßig malt und Gedichte schreibt: „Ich fühle mich gesund und munter, und die Sonne scheint heute für mich.“

Vor 100 Jahren galt ein 50-jähriger Mensch schon als alt. Heute befindet er sich mitten im Leben und kann statistisch gesehen damit rechnen, dass er noch etwa 30 weitere Jahre vor sich hat. Die durchschnittliche Lebenserwartung, die mittels aktueller Sterbezahlen innerhalb eingegrenzter Altersgruppen berechnet wird, klettert für Neugeborene in Deutschland immer höher.

Baden-Württemberger haben laut verschiedener Statistiken die Chance auf das längste Leben. Hierzulande erreichen neben den Stuttgartern Menschen aus den Kreisen Böblingen, Tübingen und Breisgau-Hochschwarzwald das höchste Alter. Laut dem Statistischen Landesamt können neugeborene Mädchen in Stuttgart heute auf ein 84 Jahre langes Leben hoffen. Damit fällt ihnen der vierte Platz im regionalen Vergleich zu. In den Erhebungen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) landen die Stuttgarterinnen mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 84,6 Jahren sogar auf Platz eins und belegen somit bundesweit den ersten Rang.

Weiblichen Gene spielen höchstens Nebenrolle

„Die Sterbetafeln sind regional unterschiedlich“, erklärt Antonia Milbert vom BBSR. „Dadurch ergeben sich die Zahlen unterschiedlicher Lebenserwartung. Sie sagen zum Beispiel darüber etwas aus, wie die wirtschaftlichen Bedingungen in der jeweiligen Region sind.“ Das statistische Schlusslicht bilden deutschlandweit Stralsunder Knaben. Sie sollen im Schnitt 73,2 Jahre alt werden. Insgesamt betrachtet verspricht der Süden mehr Lebensjahre als etwa Bremen, Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern. „Der Lebensstandard und der Wohlstand in Baden-Württemberg sind höher als im Nordosten“, sagt Christoph Rott, Psychologe und Altersforscher am Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg. Älter wird demnach, wer einen hohen Bildungsstand hat. Je besser das Bildungsniveau und die daraus resultierende Einkommenssituation, desto höher ist die Lebenserwartung. Ein weiterer Aspekt, so Rott, sei die medizinische Infrastruktur vor Ort.

Statistisch auffällig ist, dass Frauen sich auf ein rund fünf Jahre längeres Leben freuen können als der männliche Teil der Bevölkerung. Dafür sind nicht etwa die weiblichen Gene verantwortlich. Sie spielen dabei, wenn überhaupt, nur eine Nebenrolle. „Männer machen sehr viel mehr Blödsinn als Frauen“, erklärt Rott. „Bei ihnen ist eine geringere Sensibilität für Gesundheitsvorsorge vorhanden. Männer ignorieren eher Krankheitsanzeichen und sind häufig davon überzeugt, dass ihnen nichts passieren kann.“

Alt dank Optimismus

Die Genetik sei für das Altwerden überhaupt nur zu etwa 25 Prozent verantwortlich; entscheidend sei ein maßvolles Leben, in dem man die größten Risikofaktoren ausschaltet. „Unter den 100-Jährigen befinden sich nicht besonders viele Raucher“, so der Altersforscher. „Vielleicht schafft es aber Helmut Schmidt.“ Rott vermutet den Kern des Geheimnisses eines besonders langen Lebens in der Psyche des Menschen. „Was hilft, ein hohes Alter zu erreichen, ist ein gewisser Optimismus“, sagt er. „Wir haben Hinweise, dass die psychischen Komponenten eine wichtige Rolle spielen.“

Kann ein Mensch theoretisch unendlich alt werden? „Es war lange Zeit ein Streitpunkt, ob es eine biologisch festgelegte Obergrenze für das Alter gibt. Aber die gibt es nicht“, so der Wissenschaftler.

Möglich, dass Statistiken 2050 für Stuttgarterinnen schon eine durchschnittliche Lebenserwartung von 100 Jahren prognostizieren. Pauline Schlotter jedenfalls macht Mut für ein erfülltes Leben auch für die Generation Ü 100.