Christian Petzold erzählt in seinem tragikomischen Ostsee-Drama „Roter Himmel“ von schwelenden Emotionen und realen Feuersbrünsten.
Auf den ersten Blick sieht Christian Petzolds „Roter Himmel“ wie ein klassischer französischer Sommerfilm aus: Menschen nehmen eine sorglose Auszeit vom Alltag. An großen, gut gedeckten Tischen kommt die freundschaftliche Gruppendynamik in Gang, in amourösen Verwicklungen wird das eigene Sein neu justiert.
Auf einer Lichtung unweit des Ostseestrandes steht das Ferienhaus der Familie von Felix (Langston Uibel), der mit seinem Freund Leon (Thomas Schubert) anreist. Felix will seine Bewerbungsmappe fürs Fotografie-Studium fertigstellen, Leon seinen zweiten Roman. Aber wie bei „Schneewittchen“ wohnt bereits eine Fremde im Haus: Die Waschmaschine läuft, die Lasagne von gestern steht auf dem Tisch. Es dauert fast 25 Filmminuten, bis Nadja (Paula Beer) ins Bild kommt. Zuvor hören die beiden jungen Männer durch die dünne Schlafzimmerwand nur ihre Stimme beim offensichtlich recht vergnüglichen Sex mit dem örtlichen Rettungsschwimmer Devid (Enno Trebs).
Der junge Autor ist in der Krise
Leon ist schon bei der ersten Begegnung fasziniert von Nadja, er versucht aber, es zu verbergen: „Die Arbeit lässt es nicht zu“ sagt er, als sie ihn einlädt, mit ihr und den anderen zum Strand zu gehen. Der junge Autor ist in der Krise. Am Wochenende wird sein Verleger Helmut (Matthias Brandt) anreisen und sein Manuskript kommentieren.
Während in und ums Ferienhaus die Emotionen schwelen, brennen die trockenen Wälder 30 Kilometer weiter schon lichterloh. Durchdrungen von angenehm unaufdringlichem Humor lässt Petzold die äußeren und inneren Ereignisse kulminieren. Im Zentrum steht die tiefenverunsicherte Männerseele des kriselnden Autors. Thomas Schubert verkörpert ihn geradezu hinreißend ungelenk. Ein egozentrischer Miesepeter ist dieser Leon, der sich ganz seiner Schreibblockade widmet, während die drei Menschen um ihn herum in wechselnden Lust- und Liebeskonstellationen den Sommer genießen.
Als der junge Autor eine Brücke zu Nadja schlagen will und ihr sein Manuskript zu lesen gibt, läuft er unruhig vor dem Haus auf und ab. Sie wird ihn schonungslos kritisieren – denn Nadja verkauft nicht nur auf der Strandpromenade Eis, wie sich herausstellt, als sie mit Leons Verleger Heinrich Heines Gedicht „Der Asra“ rezitiert, das von einer schicksalhaften Begegnung zwischen einem Sklaven und einer Sultanstochter erzählt. Da kommt schon ein wenig Sommernachtmagie auf, was vor allem Paula Beer zu verdanken ist, die nach „Transit“ und „Undine“ zum dritten Mal in einem Petzold-Film dabei ist und den Musen-Staffelstab von Nina Hoss übernommen hat.
Petzold kommt Vorbildern wie Eric Rohmer sehr nah
„Roter Himmel“ bekam bei der Berlinale den Großen Preis der Jury, Petzold kommt seinem temporären Vorbild Eric Rohmer sehr nah – auch wenn dieser konzentriert inszenierte und erlesen fotografierte Sommerfilm (Kamera: Hans Fromm) auf der Zielgeraden tragische Implikationen entwickelt. Natürlich dreht irgendwann der Wind, und die Feuersbrunst greift als apokalyptische Vorbotin des Klimawandels nach dem Ferienidyll, in dem sich vier junge Menschen bisher nur um sich selbst gedreht haben.
Roter Himmel. D 2023. Regie: Christian Petzold. Mit Paula Beer, Thomas Schubert, Langston Uibel. 103 Minuten. Ab 12 Jahren.