Thomas Lindner und seine Frau Marie-Therese Degenfeld-Schonburg-Lindner zusammen mit dem dem neuen IHK-Präsidenten Johannes Schwörer (links) und Landeswirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut Foto: Kistner

Nach 40 Jahren Ehrenamt hat die IHK Reutlingen ihren langjährigen Vizepräsidenten Thomas Lindner verabschiedet. Zudem erhielt er die Wirtschaftsmedaille des Landes.

Seit 1985 hatte der Groz-Beckert-Chef der Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer (IHK) Reutlingen angehört, 1995 war er zu deren Vizepräsidenten gewählt worden, seit 2002 Vorsitzender des IHK-Gremiums Zollernalb gewesen.

 

Für Johannes Schwörer, den frisch gewählten Präsidenten der IHK Reutlingen, war Lindners Verabschiedung der erste offizielle Einsatz im neuen Amt; er bekannte in seiner Laudatio freimütig, dass er sich keine der beiden Organe ohne Lindner vorstellen könne: Nie habe dieser das offene Wort gescheut, und seine Lagebeurteilungen und Ratschläge seien stets von Wert gewesen – sei es als Bestätigung, sei es als Korrektiv der eigenen Einschätzung. „Sie waren ein Leuchtturm für uns alle.“

Die Wirtschaftsmedaille des Landes Baden-Württemberg nahm der scheidende Gremiumsvorsitzende aus den Händen von Nicole Hoffmeister-Kraut entgegen. Hatte Schwörer vom Leuchtturm gesprochen, so apostrophierte die Wirtschaftsministerin Lindner als „Brückenbauer“, als einen, der sich nicht mit der Rolle des Unternehmers begnügt habe, sondern stets versucht habe, zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu vermitteln. Thomas Lindner habe sich eingemischt, die Stimme erhoben, sich immer wieder zu Reizthemen wie der Verkehrsanbindung des Zollernalbkreises und der Wettbewerbsfähigkeit der Nation geäußert; er habe „Allianzen geschmiedet, Strategien entworfen, Programme geschaffen“.

Nicole Hoffmeister-Kraut überreicht Thomas Lindner die Wirtschaftsmedaille des Landes Baden-Württemberg. Foto: Kistner

Im übrigen aber, so Hoffmeister-Kraut, sei Lindner der paradigmatische schwäbische Mittelständler gewesen – technisch stets auf der Höhe der Zeit, international vernetzt und zugleich seiner Heimatregion unverbrüchlich verbunden. Dass für ihn die Verantwortung des Unternehmers nicht am Werktor endete, davon lege Groz-Beckerts Albstädter „Gebiz“, das Schule, Kindertagesstätte und Gesundheitszentrum unter einem Dach vereine, beredtes Zeugnis ab. Nicht zuletzt dieses Engagement honoriere das Land nun durch die Verleihung seiner Wirtschaftsmedaille.

In Zukunft darf er „noch frecher“ sein

Thomas Lindner erinnerte sich in seiner Abschiedsrede schmunzelnd an die Schweißperlen, die den Hauptamtlichen der IHK gelegentlich auf die Stirn getreten sein, wenn er mal wieder von der Linie des Hauses abweichende Positionen vertreten habe – „Ich habe dann halt gesagt, ich rede jetzt als Unternehmer“. Er sehe es als ein Privileg an, dass er, aller Ehrenämter ledig, künftig „noch frecher“ seine Meinung sagen dürfe.

Nahm in seiner Abschiedsrede kein Blatt vor den Mund: Thomas Lindner. Foto: Kistner

Was er prompt tat. Bezugnehmend auf die ihm attestierten Qualitäten als Brückenbauer beklagte er, dass diese Aufgabe von Jahr zu Jahr schwieriger und die Entfremdung zwischen Wirtschaft und Politik, Politik und Bürgern sowie Bürgern und Wirtschaft immer größer geworden sei. Das Paradebeispiel: Brüssel. „Die Leute bei der EU sind engagiert, fleißig und willig – und dabei völlig verständnislos.“ Berlin? „So ähnlich“ Stuttgart? „Besser.“ Lindner erneuerte seine oft erhobenen Forderungen nach einem Abbau der Bürokratie, einem effektiveren Sozialstaat, der sich darauf beschränke, denen zu helfen, die es wirklich brauchten, und einer Digitalisierung ohne Vorbehalte – die „KI-Weltwende“ sei eine Realität und nicht aufzuhalten.

Die Messlatte ist die chinesische Konkurrenz

Lindners Appelle richten sich aber nicht nur an die Politik, sondern auch an die Kollegen in den Unternehmen. Deutschland habe durch den Stillstand während der Corona-Pandemie an Boden gegenüber der chinesischen Konkurrenz verloren; die sei mittlerweile die Messlatte für alle, die sich auf dem Weltmarkt behaupten wollten. „Wir müssen schlanker werden und auch in unseren eigenen Häusern entbürokratisieren.“ Im übrigen gelte: nicht mäkeln, sondern machen! „An der Seitenlinie stehen und alles besser zu wissen, ist witzlos – wir müssen aufs Feld und uns einbringen!“