Das Land hat mit dem Cyber Valley eine Forschungsoffensive für die Künstliche Intelligenz gestartet.Mut zur Kontroverse: Auch der Digitalkritiker Manfred Spitzer kam zu Wort. Foto: dpa

Die IHK Region Stuttgart hat für eine Digitalkonferenz eine ganze Woche reserviert, um vor allem den Mittelstand fit zu machen.

Stuttgart - Aufrütteln ist das Stichwort des ersten Tags der Veranstaltungsreihe „100 Stunden Morgen“ der IHK Region Stuttgart am Montag gewesen. „Deutschland und Baden-Württemberg ticken noch nicht richtig digital“, sagte Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) zum Auftakt: „Wir können uns nicht nur bundesweit messen, wo Baden-Württemberg vergleichsweise gut dasteht, sondern weltweit.“ Hoffmeister-Kraut nannte das Thema Künstliche Intelligenz als einen Schwerpunkt der baden-württembergischen Digitalisierungspolitik. Hier gelte es, noch Bedenken zu zerstreuen: „Bisher sehen nur 15 Prozent der Deutschen die Vorteile der Künstlichen Intelligenz als höher an als die Risiken.“

Digitalisierung im großen Zusammenhang denken – und das gleich eine ganze Woche mit mehr als hundert Referenten und 800 Teilnehmern. Mit der Veranstaltungswoche in Stuttgart sollen „Morgenmacher“ angesprochen werden, also Menschen, die in den Firmen für Zukunftsthemen zuständig sind. Neben Technologien stehen Geschäftsmodelle, die Einbindung der Wissenschaft und die neue Innovationskultur in den Unternehmen auf der Agenda.

Nicht nur Vorträge, sondern auch Workshops und Abendveranstaltungen zum lockeren Kennenlernen sollen die Teilnehmer zu Botschaftern des Wandels machen. „Es gibt bei den Unternehmen in der Region eine Polarisierung“, sagte IHK-Hauptgeschäftsführer Johannes Schmalzl. „Die Hälfte stellt sich aktiv dem Thema, die andere Hälfte wartet immer noch ab.“ Die letztere Gruppe werde von kleinen und mittleren Unternehmen dominiert.

Auch ein Digitalisierungskritiker kommt zu Wort

Die Veranstalter hatten die Courage, den Ulmer Psychiater Manfred Spitzer als radikalen und polarisierenden Kritiker einer unkritisch hingenommenen Digitalkultur einzuladen. „Niemand spricht über Risiken und Nebenwirkungen“, sagte Spitzer – und nannte als Beleg den 2016 verabschiedeten Bericht einer Kommission zur Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestags, wo psychische oder gesundheitliche Risiken überhaupt nicht erwähnt wurden.

Eines seiner drastischen Beispiele: Je mehr Stunden am Tag sie am Bildschirm kleben, umso weniger Empathie entwickeln Menschen, so Spitzer. Eine der Folgen der ständigen Nutzung elektronischer Geräte sei, dass durch den starren Blick auf kleine Bildschirme die Kurzsichtigkeit zunehme. Im Smartphone-Land Südkorea liegt sie bei Jüngeren heute bei mehr als 90 Prozent.

Experte: Unternehmen bereiten Mitarbeiter heute besser vor

Die Unternehmen hingegen hätten bei der Vorbereitung der Mitarbeiter auf die Digitalisierung dazugelernt, sagte Christoph Igel, Experte für Künstliche Intelligenz aus Berlin. Das sei in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch ganz anders gewesen, wo man sie bei der Einführung von Informationstechnologien zu wenig einbezogen habe: „Heute geschieht das in Lern- und Experimentierräumen. Man führt die Betroffenen sehr behutsam an neue Technologien heran.“ Es sei ein gutes Zeichen, dass sich in Deutschland Gewerkschaften wie die IG Metall intensiv mit den Veränderungen der Arbeitswelt auseinandersetzten.

Bosch ist beim Internet der Dinge optimistisch

Letztlich gehe es darum, Menschen zusammenzubringen und Prozesse zu vereinfachen, sagte Elmar Pritsch, bei Bosch für die Informationstechnologie verantwortlich. Er sieht im Bereich des Internets der Dinge – also der vernetzten Geräte – die Chance, dass Europa hier seine Standards etablieren könne.

Bosch arbeite mit hohem Aufwand daran: „Mein Budget hat sich in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt.“ Als Experte für Mobilität und Haushaltsgeräte habe man das nötige Know-how, um wie einst Microsoft beim PC nun in Deutschland das Betriebssystem für intelligente Geräte zu etablieren. Auch hier gehe es um digitale Kultur. Dafür müsse man nämlich offen sein für Partnerschaften, auch mit Start-ups: „Das nächste größere Ding macht kein Konzern allein“, so Pritsch. In Deutschland falle es aber vielen Firmen noch schwer, die Hand auszustrecken. „Wir haben dafür aber höchstens noch drei bis fünf Jahre Zeit“, sagte Pritsch.