Die traditionelle Klientel – wie hier Stahlarbeiter in Dortmund – bestimmt nicht mehr allein das Handeln der IG Metall. Foto: dpa

Die IG Metall macht einen fundamentalen Wandel durch. Wie die Gewerkschaft den Schwund an Beitragszahlern bremst, wurde erstmals in einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung untersucht. Manches liegt trotz bisheriger Erfolge noch im Argen.

Stuttgart - Es hört sich kinderleicht an, was der Vorsitzende Jörg Hofmann angesichts des Vorjahreszuwachses der IG Metall von 133 165 Mitgliedern „mit den Worten eines großen Dating-Anbieters“ verkündete: „Alle vier Minuten verliebt sich ein neues Mitglied in die IG Metall.“ Doch fliegen der Gewerkschaft die Herzen nicht zu – sie muss um diese hart kämpfen. Trotz aller Anstrengungen wurde 2018 unterm Strich lediglich ein Plus von 7934 Mitgliedern erreicht. Jedes Jahr sind mehr als 120 000 Neuzugänge nötig, um die Austritte und Sterbefälle zu kompensieren.

Hinter den Bemühungen steckt ein hochkomplexes Kampagnenkonzept, das 2014 noch von dem damaligen Vorsitzenden Detlef Wetzel unter dem Schlagwort „deutsches Organizing“ angeschoben wurde. 2015 fiel dann der Startschuss für die Strategie 2025. Über neun Jahre werden insgesamt 170 Millionen Euro und 140 Aktivisten – Erschließungsbeauftragte genannt – bereitgestellt. Statt vieler versprengter Einzelprojekte wie früher gibt es nun ein eng koordiniertes „Gemeinsames Erschließungsprojekt“, das die einzelnen Belegschaften auf Augenhöhe mit den Unternehmensführern bringen soll.

Der Zwischenstand wurde nun erstmals wissenschaftlich unter die Lupe genommen. Die fast 100-seitige, unserer Zeitung vorliegende Studie für die Otto-Brenner-Stiftung der IG Metall wird diese Woche veröffentlicht. Wolfgang Schroeder, Sozialforscher von der Universität Kassel, fordert darin als Fazit, dass die Mitgliederpolitik zu einem eigenständigen Politikfeld neben der Betriebs-, Tarif- und Gesellschaftspolitik aufgewertet werden müsse. „Ignoriert man diese Einsicht, werden viele Möglichkeiten zur Rekrutierung, Bindung und Aktivierung von Mitgliedern verschenkt“, mahnt er. Denn entscheidend sei, wie sich die Ergebnisse der Projekte langfristig in die reguläre Arbeit einbinden lassen. Von der Geschäftsstelle bis zur Vorstandsverwaltung ist demnach noch ein Umdenken nötig, um die „innovativen Impulse der Erschließungsarbeit dauerhaft zu verankern“.

„Vielfältige Unklarheiten“ im Organisationsprozess

Vorreiter der Weiterentwicklung ist der Bezirk Baden-Württemberg – ihm galt das besondere Augenmerk der Autoren. Dass es trotz aller Erfolge noch hakt, zeigt ihre Umfrage. Demnach gebe es angesichts der neuen Organisationskultur noch „vielfältige Unklarheiten“ in der IG Metall. Bemängelt wird die intransparente Verzahnung der Projekte zwischen den Aktivisten und den Geschäftsstellen. Und lediglich 40 Prozent der Befragten meinten, dass die langfristige Einbindung der neu gewonnenen Mitglieder sichergestellt sei. „Dies spricht nicht nur für eine unklare Aufgabenteilung, sondern auch für eine suboptimale Steuerung“, moniert der Wissenschaftler.

Metaller sehen gutes Verhältnis zu Arbeitgebern

Dass der Mitgliederzuwachs zur obersten Maxime erhoben wird, bestätigt allerdings die Kritik des Arbeitgeberlagers, wonach die IG Metall egoistische Ziele statt die Interessen aller Beschäftigten verfolgt. Schroeder berichtet von einem großen Interesse der Arbeitgeber an dem Wandel und in Einzelfällen von der Furcht, dass die arbeitsteilige Produktion in den Wertschöpfungsketten darunter leiden könnte. „Besonders stark beeindruckt“ zeigten sie sich von den neuen Formen der IG Metall, die eigene Basis einzubinden. Einen Druck, darauf prinzipiell zu reagieren, verspürten die Arbeitgeber bisher nicht. Die Verbände unternähmen noch keine Anstrengungen, gegenüber der IG Metall und den eigenen Mitgliedern systematischer vorzugehen.

In Baden-Württemberg bewerten der Studie zufolge stattliche 90 Prozent der Gewerkschafter das Verhältnis zwischen IG Metall und Arbeitgebern als gut bis neutral. Damit sähen sie eine „belastbare Basis“ der Beziehungen. Diese wird allerdings auf eine harte Probe gestellt: Weil die Gewerkschaft zugleich etwa mit den neuen Tagesstreiks ihre Durchsetzungsfähigkeit in den Tarifrunden schärft, zeigen sich schon immer mehr Risse in der Sozialpartnerschaft. So stellt jeder dritte IG-Metall-Akteur in der Studie fest, dass Unternehmensvertreter restriktiver und vorsichtiger mit dem eigenen Betriebsrat umgingen.