Arbeit des Grauens: Ermittler exhumieren Tote aus flachen Gräbern und bergen sie in Leichensäcken. Foto: AFP/Yasuyoshi Chiba

Mindestens 200 Menschen in Kenia folgen einem christlichen Prediger und hungern sich zu Tode. Der Sektenführer sitzt in Haft. Was hat seine Anhänger an ihm fasziniert?

Bilder einer Apokalypse, die der kenianische Kirchengründer Paul Mackenzie seinen Gläubigen versprochen hat. Ein Team polizeilicher Ermittler arbeitet sich in weißen Schutzanzügen langsam durch ein über 300 Hektar großes Waldstück, knapp zwei Autostunden vom kenianischen Küstenstädtchen Malindi entfernt. Immer wieder bleiben die Detektive stehen, um mit ihren Spaten den Boden aufzuwühlen.Dort stoßen sie regelmäßig auf notdürftig begrabene Leichen. An 65 verschiedenen Stellen haben sie bereits 200 Leichname entdeckt – vor allem Kinder, viele Frauen, Männer.

 

Polizei findet noch Lebende

Die Ermittler müssen weitermachen, womöglich noch mehrere Wochen lang. Noch immer werden in der Gegend von Malindi 600 Menschen vermisst – alles spricht dafür, dass auch sie tot sind. Hin und wieder treffen die Detektive auch auf noch lebende Skelette, die im Busch kauern und beim Anblick ihrer Retter alles andere als beglückt reagieren. „Hau ab!“, habe ihn eine sterbende Frau angefahren, berichtet Menschenrechtler Victor Kaudo: „Du bist ein Feind Jesu.“

Religiös ist in Afrika fast jeder; viele gehören charismatischen Kirchen an. Manche schließen sich dubiosen Sekten an. Doch was in dem Waldstück vor sich ging, übersteigt alles Bekannte. Ein religiös angetriebener und kommerziell kaltblütig ausgeschlachteter Massenselbstmord durch Verhungern, zu dem sich Hunderte bereit erklärten.

Der Sektenführer bereichert sich an Spenden

Paul Mackenzie begann das Predigen schon vor 20 Jahren. Zunächst im Hinterhof von Ruth Kahindis Gehöft, einer Glaubensschwester aus der Baptistengemeinde. Der 30-jährige Taxifahrer habe sich als mächtiger Redner erwiesen, erzählt Kahindi der „New York Times“. Die Inhalte seiner Predigten hätten sich zunächst noch im gewohnten Rahmen bewegt. Mit der Zeit sei Mackenzie jedoch immer radikaler geworden. Er ordnete seinen Gläubigen an, keinen Arzt mehr aufzusuchen und ihre Kinder nicht mehr zur Schule zu schicken, weil die Wiederkehr Christi unmittelbar bevorstehe. Kahindi trennte sich von dem „Propheten“, auch weil der regelmäßig in den Opferstock gegriffen habe.

Mackenzies Karriere nahm damals erst so richtig Fahrt auf. Er mietete sich einen Fernsehkanal, um als TV-Evangelist mehr Leute zu erreichen, und baute ein großes gemauertes Gotteshaus für seine „Good News International Church“. Später erwarb er die Farm „Shakahola“ und zog sich mit dem Kern seiner Gemeinde dorthin zurück, um sich auf die für den 15. April 2023 vorhergesagte Wiederkehr Christi vorzubereiten. Durch Fasten. Wer dem Gottessohn besonders nahe sein wolle, solle sich zu Tode hungern. So hätte man einen entscheidenden Vorsprung gegenüber den anderen. „Er hat diese merkwürdige Macht über Menschen“, sagt die Sektenaussteigerin Elizabeth Syombua: „Man wird regelrecht süchtig nach seinen Worten.“

Anfang dieses Jahres wurde es ernst. Zuerst sollten die Kinder durch Verhungern zum Heiland gebracht werden, dann die Unverheirateten, schließlich die Mütter und Väter. Mackenzie und sein Kreis waren natürlich zuletzt dran. Die Kinder wurden nahrungslos in Hütten eingeschlossen, Babys der prallen Sonne ausgesetzt: „Damit sie schneller sterben“, erzählte der ehemalige Hilfsprediger Titus Katana später den Ermittlern.

„Prophet“ leugnet alles

Im März wurde Mackenzie verhaftet, nachdem Gerüchte über verschwundene Kinder die Runde gemacht hatten, wird jedoch bald wieder freigelassen. Erst als im April die Existenz der Hungerfarm bekannt wird, bricht Mackenzies Endzeitgebäude zusammen. Inzwischen sitzt er mit 26 Mitangeklagten im Gefängnis, Ende dieses Monats soll der Prozess beginnen. Der „Prophet“ leugnet alle Anschuldigungen, auch, dass er sich am Besitz seiner verhungerten Opfer bereichert habe.