Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit Foto: dpa

Für 12 Millionen Euro ersteht die Staatsbibliothek zu Berlin neun Reisetagebücher des Naturforschers Alexander von Humboldt – mit Unterstützung aus Baden-Württemberg.

Berlin - Die Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) nähert sich im grünen Kostüm den Schriftstücken in der Glasvitrine. „Was sind das für Fische, können Sie das lesen?“, fragt sie ihre Nachbarin. Die schüttelt den Kopf, zeigt sich aber sichtlich beeindruckt von den feinen Zeichnungen, den filigranen Schriftzügen, die auf dem jahrhundertealten Papier fixiert sind.

Am Dienstag hat die Staatsbibliothek zu Berlin eine kleine kulturelle Sensation gefeiert, die ohne die Hilfe aus Baden-Württemberg nicht möglich gewesen wäre.

Für insgesamt zwölf Millionen Euro kauft die Stiftung Preußischer Kulturbesitz die amerikanischen Reisetagebücher vonAlexander von Humboldt. Fast ein Dutzend öffentliche und private Förderer haben den Kauf unterstützt, auch Unternehmen aus der Region Stuttgart. „Ganz am Anfang möchte ich den Förderern der Würth-Gruppe danken“, sagt Isabel Pfeiffer-Poensgen, die Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder, bei ihrer Dankesrede. „Reinhold Würth hat uns unglaublich geholfen. Und was ist es nicht für ein passender Zufall, dass er gerade ausgerechnet in Südamerika ist.“

Südamerika, darum geht es in den neun Reisetagebüchern des Naturforschers und Universalgelehrten Alexander von Humboldt (1769–1859). Der Forscher notierte in ihnen Beobachtungen während seiner Expedition von 1799 bis 1804: Messungen über Pflanzen, Tiere und Geografie Süd- und Mittelamerikas. In der Forschungswelt gelten die Bände daher als „zweite Entdeckung Amerikas“ und unschätzbar wertvoller Nachlass für die Erforschung von Humboldts Wirken.

Tauziehen um weltberühmten Reisetagebücher

Die insgesamt fast 4000 Tagebuch-Seiten, die auch mit Unterstützung der Robert-Bosch-Stiftung erworben wurden, befanden sich zuvor in der Hand der Humboldt-Nachfahren, der Berliner Familie Heinz. Bevor der Kauf zwischen der Preußen-Stiftung und den Besitzern eingefädelt wurde, hatte es ein Tauziehen um die weltberühmten Notizbücher gegeben: Neben Museen und Nationalbibliotheken in Buenos Aires, Lima und Mexiko-Stadt interessierte sich auch das Getty Institute in Los Angeles für die neun in Leder gebundenen Reisetagebücher. Auf dem internationalen Markt hätten die Schriftstücke einen sehr viel höheren Verkaufspreis erlangen können, schätzen Kunstexperten.

„Auch deshalb danken wir dem Verkäufer, der Wert darauf gelegt hat, dass die Werke dem Forschungsstandort Deutschland erhalten bleiben“, sagt Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. So bleiben die amerikanischen Reisetagebücher, die neben den rund 30 000 Briefen des Weltreisenden zu den wichtigsten Originaldokumenten der Forschungsreisen zählen, seinem Heimat- und Arbeitsort Berlin erhalten. Die Staatsbibliothek stellt die Tagebücher nun hier aus.

Im großen Lesesaal der Bibliothek, die vor kurzem von dem Stuttgarter Architekten Hans Günter Merz neu gestaltet wurde, hängt ein überlebensgroßes Porträt von Alexander von Humboldt, das kurz vor dessen Tod im Jahr 1859 gemalt wurde. Die Faszination des letzten großen Universalgelehrten geht weit über seinen Tod hinaus. Sie zieht an diesem Vormittag viele bekannte Besucher an: Neben Bildungsministerin Wanka sind Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sowie die Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters (CDU), und der ehemalige Kultusstaatsminister Bernd Neumann (CDU) erschienen, um an dem Festakt teilzunehmen.

Notizbücher geben Forschung neue Einblicke

Die in deutscher und französischer Sprache verfassten Reisetagebücher erfüllen für die Forschung eine Schlüsselfunktion: Sie dokumentieren die vollständigen fünf Jahre von Humboldts Amerikareise. Die vom Bruder des Universitätsgründers Wilhelm von Humboldt selbst veröffentlichten Reiseberichte hingegen schildern nur ein Drittel. Die Universität Potsdam startet nun ein Forschungsprojekt, das die Dokumente digitalisiert und in die Forschung einordnet.

Die Reisetagebücher sind voller Zeichnungen von Fischen, Affen, Kratern und Palmen und versehen mit Anmerkungen. Seine Beobachtungen, sagen Forscher, haben das Wissen der Welt auf eine neue Stufe gehoben und stehen für unbändigen Wissensdrang. Die gefährlichste Weltanschauung besäßen immer diejenigen, die die Welt nie angeschaut haben, wird Humboldt oft zitiert.