Vor Ort wird der mutmaßliche Mord nachgestellt. Foto: (mik)

Landgericht Konstanz verlegt Prozess an Tatort. Alle Beteiligten von damals mit dabei.

Hüfingen - Eine Fernsehkamera läuft, Fotografen nehmen Position ein. Nieselregen fällt lautlos zu Boden. Ein dunkler Mercedes parkt vor einer Hinterhof-Kneipe in der Altstadt von Hüfingen (Schwarzwald-Baar-Kreis). Drinnen tanzt der Lichtkegel einer Taschenlampe. Dann brausen Kastenwagen der Polizei zum Ort des Geschehens. Was ausschaut, wie Dreharbeiten für einen Krimi, soll die Realität nachbilden.

Für ein paar sehr frühe Morgenstunden wird die Hüfinger Hinterstadt zum Gerichtssaal. Das Landgericht Konstanz schlägt dort im Rahmen des seit Monaten andauernden Mafia-Prozesses kurzfristig sein Lager auf. Der Richter, die Anwälte, viel Sicherheitspersonal von Polizei und Justiz sind da, vor allem aber auch die Hauptpersonen des Verfahrens: die sechs noch übrigen Angeklagten im großen Mafia-Prozess der Region zwischen Schwarzwald und Bodensee. Nachdem alle Zufahrten zur Straße "Hinterstadt" abgeriegelt sind und der Sprengstoffspürhund weitläufig über das Gelände geführt wurde, um sicherzugehen, dass nirgendwo eine Bombe liegt, geht es los.

Die Angeklagten werden in aller Hergottsfrühe, um 4.30 Uhr an diesem Dienstagmorgen in Handschellen, mit Fußfesseln und beidseitig von Beamten eskortiert nach und nach aus den vergitterten Kastenwagen der Justizbehörden in Hüfingen geführt. Dann stehen sie da, am ehemaligen Tatort, der Hinterhof-Kneipe "H41" in Hüfingen.

Fragen über Fragen: War es ein Mordversuch? Oder doch nur eine Drohgebärde?

Im Drogenmilieu in der Region, das sich in einigen italienischen Lokalen in den Landkreisen Schwarzwald-Baar und Rottweil abgespielt hat, soll es gekracht haben – so sehr, dass vor rund zwei Jahren in der Hüfinger Altstadt aus einem Auto heraus schließlich fünf Schüsse aus einer Pistole fielen. Glas zerbarst, Anwohner schreckten aus ihren Betten – Tote oder Verletzte gab es nicht, doch es stand bald darauf ein ungeheurer Verdacht im Raum: War es ein Mordversuch? Oder doch nur eine Drohgebärde, bei der der Tod eines im Lokal Befindlichen billigend in Kauf genommen worden ist?

Im Zuge der Ermittlungen und des laufenden Prozesses vor dem Landgericht Konstanz ging es immer wieder um angebliche Verstrickungen zur Mafia. Stück für Stück kommen pikante Randgeschichten ans Licht – beispielsweise, dass die Tatwaffe von Hüfingen später bei einem Überfall auf einen Juwelier in Sizilien benutzt worden sein soll.

Nicht nur deshalb nimmt man sich ungeheuer viel Zeit für die Verhandlung. An zähen Prozesstagen in Konstanz wurden stundenlang Telefonprotokolle bis ins kleinste Detail angehört, um mehr Klarheit in die mutmaßlich mafiöse Angelegenheit zu bringen.

Ein Baustein der Beweisaufnahme ist die Nachstellung der Tat am Ort des Geschehens am Dienstag. Ein schwarzer Mercedes wird dafür vor die Kneipe gestellt, etwa im selben Winkel wie ein solches Auto in der Tatnacht vor zwei Jahren dort gestanden haben soll. Der mutmaßliche Schütze Nicolo M. steht in Handschellen da, bestätigt den Standort des Wagens als realistisch.

Ein Sachverständiger des Landeskriminalamtes versucht daraufhin den Schusswinkel zu rekonstruieren. Im Kern geht es darum: Hätten im Lokal befindliche Personen durch die fünf Schüsse verletzt werden können? Oder wurde gar gezielt auf die beiden Personen im Lokal, den 34-jährigen Gastwirt und einen Bekannten, geschossen? Vom Beifahrersitz aus soll der 50-jährige Nicolo M. die Schüsse abgefeuert haben.

Realistisch wie möglich: Mit einer Art Rollo wird das Fenster verhängt, so wie damals

Nur zehn Sekunden soll das vor zwei Jahren gedauert haben. Jetzt nimmt es in einer außergewöhnlichen Gerichtsverhandlung am Tatort viel mehr Zeit in Anspruch. Die am Verfahren Beteiligten wechseln nach drinnen. Mit einer Art Rollo wird das Fenster verhängt, so wie damals. Durchlöcherten die Schüsse vor zwei Jahren um 5.22 Uhr das Glas, macht man sich nun um fast exakt dieselbe Zeit ein Bild von den Lichtverhältnissen. Ob von außen sichtbar war, dass drinnen Licht brannte und sich hinter der Theke Personen aufhielten? Das gilt nach der Nachstellung unseren Informationen zufolge als eher unwahrscheinlich. Sehr wahrscheinlich aber sei, dass Personen, die an dem Tisch hinter dem Fenster gesessen oder gestanden hätten, von den Schüssen verletzt oder gar getötet worden wären. Mit einer ausziehbaren Metallstange wird das am Tatort nachvollzogen. Auch Querschläger hätten zu bösen Verletzungen führen können.

Nach rund zwei Stunden ist der Spuk vorbei. Die Hüfinger Altstadt erwacht zögerlich zum Leben, als die Angeklagten wieder zu den Kastenwagen eskortiert werden und der ungewöhnliche Korso aus der Altstadt rollt. Der Mafia-Prozess indes soll sich noch Monate fortsetzen.