Ärztlicher Direktor Andreas Wahl-Kordon.Foto: Stahr Foto: Schwarzwälder Bote

Andreas Wahl-Kordon ist seit 2011 Ärztlicher Direktor der Oberberg Fachklinik Schwarzwald

Andreas Wahl-Kordon ist seit 2011 Ärztlicher Direktor der Oberberg Fachklinik Schwarzwald in Hornberg. Die Oberbergkliniken sind private Fachkliniken im Bereich Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie.

Hornberg. Die Pandemie bedroht die physische Gesundheit der Menschen und oft die wirtschaftliche Existenz. Das hat Konsequenzen für die Psyche. Der ärztliche Direktor der Oberbergklinik in Hornberg, Andreas Wahl-Kordon, gibt Ratschläge für diese Situation.

Der Psychiater und Psychotherapeut stellt fest: "Bei Überforderung und Stress ziehen sich viele Menschen zurück, was den Stress zunächst reduziert. Wenn aber Unruhe zum Dauerzustand wird und man sich nicht mehr zurückziehen kann, nimmt das alle Energie." Dagegen hilft Aktivität. "Wenn man etwas tun kann, für sich oder für andere, lenkt das von den eigenen Sorgen ab."

Soziale Kontakte werden momentan auf ein Minimum reduziert, um das Ansteckungsrisiko zu senken. Das macht die Situation für viele Menschen noch schwieriger. "Wichtig ist", so Wahl-Kordon, "dass wir uns bewusst machen, warum wir tun, was wir gerade tun. Wenn wir den Grund wissen, warum wir in den eigenen vier Wänden bleiben, nämlich um andere womöglich vor einer Infektion zu schützen, ist die Isolation viel leichter auszuhalten. Wir sollten die Lage annehmen und versuchen, das Beste daraus zu machen." Der Experte gibt Tipps, wie der Einzelne damit umgehen kann.

Es drohe ein weitgehender Stillstand. Wichtig sei es jetzt, sich eine stabile Struktur für den Tagesablauf zu schaffen, denn diese Routine entlaste und gebe Sicherheit. "Dabei braucht man nicht zu viele Regeln, sondern wenige, die man zum Beispiel immer sonntags überprüft. Eine Aufgabe für alle", so der Psychotherapeut. Sich vollkommen abzukapseln, sei keine gute Idee, sagt der Experte. Die Einschränkungen im Alltag wirken sich auf die Psyche aus, bei manchen Menschen stärker, bei anderen weniger stark. Wichtig sei ein Gleichgewicht zwischen Ein-Igeln und Katastrophenstimmung.

Der Experte wird ganz konkret: "Schauen Sie also besser nur einmal am Tag Nachrichten, um sich auf den aktuellen Stand zu bringen, statt stündlich neue Zahlen zu studieren. Finden Sie in der übrigen Zeit Nischen, in denen Sie sich wohlfühlen und abschalten können. Planen Sie bewusste Auszeiten für den Rückzug ein. Wenn Sie keinen Raum für sich haben, nutzen Sie das Bad oder den Balkon. Eine Ecke lässt sich finden."

Manchen Menschen steht nun mehr Zeit zur Verfügung. Wahl-Kordon empfiehlt, diese bewusst zu genießen. Wenn man mit anderen Menschen zusammenlebt, könne man gemeinsam essen, Spiele spielen oder sich Geschichten erzählen. Diese Aktivitäten lenken von trüben Gedanken ab. Menschen, die allein leben, könnten sich digital zum Kaffee oder Tee verabreden, so der Experte. Auch Fernkontakt helfe.

Der Psychiater empfiehlt, zu handeln statt zu warten: "Wir wollen vorbereitet sein – auch auf eine Situation, die wir nicht kennen und schlecht selbst abschätzen können", so der Experte. Hamsterkäufe seien vor diesem Hintergrund zwar nachvollziehbar, aber vermutlich eher kontraproduktiv. Regale sind leer, die Sorge steigt, das Gefühl, es wird noch schlimmer werden, stellt sich vielleicht ein.

Es gebe jedoch konstruktive Handlungsspielräume: Zum Beispiel Nachbarn, die Hilfe beim Einkaufen benötigen. Wahl-Kordon rät: "Suchen Sie sich etwas Sinnvolles, das Sie für andere tun können."

Aus der physischen müsse keine soziale Isolation werden. Nur, weil jemand auf Abstand geht, muss er auf soziale Kontakte nicht verzichten. "Man kann auch aus zwei Meter Entfernung freundlich lächeln und einander ›Gesundheit‹ wünschen. Die Italiener machen es vor: Sie verabreden sich zum Singen am Fenster. Soziale Medien machen es möglich. Das schafft Mitgefühl und Gemeinsamkeit. Ein Wert, der angesichts der Krise wächst", so Wahl-Kordon.