Einen Tag nach dem Obduktionsergebnis von Frank Wehner – am 7. November 2018 – starteten damals vor dem Haus des Opfers die Ermittlungen. Das sichergestellte iPhone des Angeklagte Omran A. könnte jetzt neue Erkenntnisse bringen. Foto: Lück

Viele haben das Gefühl: Omran A. hat seinen "väterlichen Freund" Michael Riecher ermordet. Im ersten Prozess konnte das nicht bewiesen werden.

Rottweil/Horb-Nordstetten - Wir erinnern uns. Bei einem Prozesstag feixte Omran A. im Videokeller über den Zeugen, der mit ihm die Leiche des Nordstetter Immobilienunternehmers Michael Riecher gefunden hatte. Das Spaß dürfte ihm inzwischen vergangen sein.

Inzwischen belasten ihn neue Erkenntnisse

Es dreht sich um sein iPhone7. Den möglichen Todeszeitpunkt des Opfers. Und den denkwürdigen Auftritt des pathologischen Sachverständigen Frank Wehner, Leiter der Rechtsmedizin Tübingen. Er schlittert im Schwurgerichtssaal 201 knapp an der Blamage vorbei. Und Omrans Verteidigern wird eine wichtige Entlastungsbeweis-Kette aus der Hand geschlagen.

Im ersten Prozess schälte sich laut den Aussagen des Sachverständigen heraus: Frühester Todeszeitpunkt Michael Riecher war um 19.30 Uhr. Weil Omrans iPhone laut dem W-Lan Router des Opfers um 19.28 Uhr den Kontakt verloren hatte, sagten die Verteidiger: Der Beweis, dass unser Mandant zum Todeszeitpunkt nicht mehr vor Ort war.

Diesmal klingt der Rechtsmediziner ganz anders. Sagt: "Bei der Todeszeitberechnung gibt es keine harten Fakten, sondern grobe Punkte. So kann man die Zeit berechnen. Damals habe ich die Daten in das Programm AMASoft Death-Time mit Korrekturfaktoren eingetragen." Raus kam die Zeitspanne 19.48 bis 23.42 Uhr.

Todeszeitpunkt unklar

Vor der Revision habe er sich diese Berechnungen noch einmal angeschaut. Festgestellt, dass in der Software beim Faktor "Abdrückbarkeit der Leichenflecken" 20 Stunden im Algorithmus war. Wehner: "Dabei hat der Autor des Programms schon 1984 in einem Aufsatz geschrieben, dass diese Wegdrückbarkeit nach 36 Stunden erlischt. Ich selbst erzähle meinen Studenten seit 20 Jahren, dass diese Zeitspanne so lang sein kann. Wenn man diesen Grenzwert bei 23 Stunden anlegt, kann das Opfer auch schon um 16.48 Uhr gestorben sein."

Noch kurioser: Wehner selbst hatte in seinem Obduktionsprotokoll vier Tage nach dem Mord geschrieben, dass die Leichenflecken des Opfers noch wegzudrücken seien.

Die Leichentemperatur

Okay. Ein zweiter Faktor ist die Leichentemperatur. Würde die alleine Entlastung für Omran bringen? Wehner: "Rein nach der Temperatur könnte das Opfer schon um 11.48 Uhr gestorben sein."

Omrans Verteidiger Alexander Hamburg hält ihm aus der Urteilsbegründung vor: "Auf Nachfrage der Richterin, ob der Todeszeitpunkt schon um 18 Uhr sein könne, sagten sie damals: Nein. Warum?"

Wehner: "Nach den Anknüpfungspunkten damals habe ich nicht weitergerechnet. Auf das Computerprogramm bezogen, hätte ich mir 19.30 Uhr vorstellen können." 18 Uhr erschien ihm damals zu früh. Er habe damals nach seiner Erinnerung gesagt, dass man diese Angaben nicht so minutiös sehen könne.

Ein Prozessteilnehmer: "Ich erinnere mich daran, dass ich Professor Wehner in der ersten Verhandlung gerade so das ›circa‹ 19.30 Uhr entlocken konnte, weil ich enorme Zweifel an der minutengenauen Festlegung hatte."

Rolle des Gutachters

In der ersten Verhandlung wurde auch intensiv nachgefragt, ob die Eichung des Thermometers für die Messung der Körpertemperatur der Leiche des Opfers eine Rolle spiele. Die Frage: Warum ist der Sachverständige spätestens dann nicht "aufgewacht"?

Wehner jetzt: "Ich wurde letztendlich als Gutachter entlassen. Damals waren alle zufrieden."

Omrans iPhone. Damals ein "Alibi" durch den W-Lan Router Es könnte ihn jetzt noch stärker belasten als im ersten Prozess. Damals wurden die von Apple gespeicherten "wichtigen Orte" ausgewertet. Komisch: Zwar wurde der Besuch seiner Wohnung als wichtiger Ort am Tattag gespeichert. Und gegen 23 Uhr der Flößerwasen. Der McDonalds-Besuch gegen 22.45 Uhr – der von einer Überwachungskamera belegt wird – nicht. Inzwischen ist es den Ermittlern gelungen, die genauen Bewegungsdaten von damals aus dem iPhone7 auszulesen.

Die Details werden am nächsten Verhandlungstag – Dienstag, 28. Juni – Thema sein.