Untreue wurde einem ehemaligen Prokuristen in einem Prozess vor dem Horber Amtsgericht vorgeworfen.  Foto: Hopp

Bei finanziellen Engpässen einfach das Geld seines Arbeitgebers nehmen und sich selbst überweisen – wenn es doch so einfach wäre. Für einen Mann aus einem Horber Teilort war es das und er überwies sich vom Firmenkonto in mehreren Zahlungsvorgängen 621 270,81 Euro.

Horb - Der Begriff Prokurist lässt sich aus dem Lateinischen ableiten: pro heißt übersetzt für und curare bedeutet Sorge tragen. Der Prokurist einer Firma aus dem Landkreis Freudenstadt trug eher die Sorge für seine eigenen Geschäfte: Er soll insgesamt 456 Überweisungen des Firmenkontos auf sein eigenes Bankkonto getätigt haben, innerhalb des Zeitraumes März 2015 bis August 2019. Der Schaden für die Firma: 621 270,81 Euro.

"Ich war erschrocken, als ich die Gesamtsumme registrierte", gibt der Mann am 29. Juni vor dem Amtsgericht Horb zu. Angeklagt ist er wegen Untreue. Hat er die Firma also skrupellos ausgebeutet, das ihm übertragende Vertrauen ausgenutzt und lediglich auf seine eigene Gewinnmaximierung den Fokus gelegt? Ganz so einfach verhält sich der Fall nicht, wie den Anwesenden im Laufe des Prozesses bewusst wird. Neben Amtsgerichtsdirektor Albrecht Trick sind die beiden Schöffen Ingrid Haas und Josef Nad anwesend.

Seit 2011 in Unternehmen

Der Anwalt fordert seinen Mandanten dazu auf, dem Gericht einen Einblick in sein Leben zu geben. Im Laufe der Erzählung spricht der Mann aus einem Horber Teilort über sein Privatleben, seinen Werdegang und die Gründe, welche ihm letztendlich zum Verhängnis wurden: "Ich lernte nach meinem Abitur denselben Beruf wie meine Eltern. Es fühlte sich so an, als wäre der Weg, den ich zu gehen hatte, von vornherein vorherbestimmt gewesen." Dann nach einigen Jahren studiert er Betriebswirtschaftslehre. Er will nicht mehr fremdbestimmt leben, versucht auszuscheren. Das Geschäft seines Vaters übernimmt er dennoch nach dessen Tod – aber nebenbei baut er sich eine "Firmenvielfalt" auf. "Ich konnte mich für vieles begeistern, weil ich herausfinden wollte, wo ich hingehöre", sagt der Angeklagte.

Im Jahr 2011 wird er Teil eines Unternehmens aus dem Kreis Freudenstadt. Man hatte ihn gefragt, ob er die Bilanzen der Firma begutachten könne, um das Unternehmen zu retten. "Ich habe einen Businessplan für das Unternehmen erstellt, der dann auch so umgesetzt wurde. Außerdem gehörte es beispielsweise zu meinen Aufgaben, Bilanzen zu erstellen, Mitarbeitergespräche zu führen und Fördergelder zu sammeln." Er blickt zurück in diese Zeit: "Es war toll, aber stressig. Ich habe Tag und Nacht gearbeitet". Für seine Ehefrau und seine beiden Söhne hat er kaum noch Zeit, was ihn psychisch sehr belastet. Seine anderen Firmen laufen nicht mehr, wenn er kein Geld aufbringen kann, schafft er es nicht mehr, seine Gläubiger zu bezahlen.

Dann die Wende: "Irgendwann hat es Klick gemacht. Ich habe bei einem Bankgeschäft erfahren, dass es bei einer Überweisung nicht auf den Empfänger ankommt, sondern lediglich auf die IBAN." So gab er als Empfänger tatsächliche Lieferanten des Unternehmens an, aber als IBAN seine eigene Kontonummer. "Der erste Klick kostet die größte Hemmschwelle," so Trick. Als diese beim Angeklagten gefallen ist, folgen 455 weitere Klicks – mal überweist er sich 48,20 Euro, ein anderes Mal sogar 6000 Euro vom Firmenkonto auf sein eigenes.

Dann folgt der "große Knall", wie es der Anwalt formuliert: Seine Ehe geht in die Brüche, die Arbeit im Unternehmen – und den sieben Firmen, die er nebenbei führte – endet für ihn in Burnout und Depression. Mittlerweile hat er die anderen Firmen aufgegeben und sich gleich doppelte psychische Hilfe gesucht: "Mit meinem Therapeuten arbeite ich die Vergangenheit auf, in der Behandlung in psychosomatischer Medizin versuche ich einen Weg für meine berufliche Zukunft zu finden."

Irgendwann kann er mit dem Schuldbewusstsein nicht mehr leben. Auf seine Initiative hin machte er reinen Tisch und erzählte alles der Firma: "Das schlechte Gewissen hat mich geplagt – beziehungsweise macht mir noch heute zu schaffen. Ich erzählte alles meiner zweiten Ehefrau und meinen beiden Söhnen. Meine Frau mir dann gesagt, ich solle mich ans Unternehmen wenden und die Sache aufklären. Dies habe ich dann auch getan."

Bis zu zehn Jahre Haft

Während des Prozesstages zeigt sich der Angeklagte schuldbewusst und verständig. Die Anwesenden bemerken, dass er sich seines Fehlers – beziehungsweise in seinem Fall seiner 456 Fehler – bewusst ist und eine Lösung für die Zukunft finden möchte. Aus diesem Grund wird nur eine, der drei geladenen Zeugen, befragt.

Die Kriminalhauptkommissarin, die die Ermittlungen geführt hat, gibt ein neues Detail im Fall preis: "Wir haben die Zahlungsein- und -ausgänge des Angeklagten überprüft. Dabei haben wir bemerkt, dass sie sich nahezu decken! " Der Angeklagte: "Das Geld floss von meinem Konto zu einem anderen, dass in Verbindung mit meinen Firmen stand – je nachdem wo man das Geld eben gebraucht hat". Das Motiv des Mannes war folglich keine zügellose Habgier.

Untreue kann mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft werden. Da der Horber nicht vorbestraft sei, ein Geständnis abgelegt habe und "es ihm leidtut, was ich ihm auch glaube", so die Staatsanwaltschaft, plädiere sie auf eine Gesamtstrafe von einem Jahr und elf Monaten. Die Firma habe schließlich "erhebliche Schäden erlitten". Er schlage die Strafe auf Bewährung vor, der Mann wirke gefestigt, lebe in geordneten Verhältnissen und packe seine Probleme an.

Der Anwalt ergänzt, der Angeklagte dürfe nicht mehr mit Zahlen agieren und keine Firma mehr gründen. "Es verhält sich wie bei einem trockenen Alkoholiker, der darf auch nicht mehr mit Schnaps in Berührung kommen, sonst unterliegt er wieder der Sucht." Der Mann wolle sein Leben nun ändern und einer handwerklichen Tätigkeit nachgehen.

Nach zweieinhalb Stunden spricht Trick das Urteil: Ein Jahr und neun Monate auf drei Jahre Bewährung. Zudem muss der Mann Wertersatz zahlen und für die Prozesskosten aufkommen. "Arbeiten Sie das Geschehene auf. Noch stecken sie mittendrin, stellen Sie sich der Vergangenheit."