Werner Thumm, einer der Windkraft-Gegner, zeigt bei einem Waldfest mit Absperrband, wie viel Platz die Windkraftanlagen im "Großen Hau" einnehmen würden. Foto: Hopp/Weigel

Beispiel Horb: Kommunen müssen Artenschutz, Landschaftsbild, Wetterradar, Flugverkehr, Geräuschpegel und vieles mehr beachten.

Horb - Der Rotmilan ist zum Symbol für einen Konflikt geworden. Zum Konflikt zwischen Fortschritt und Naturschutz. Windkraftbefürworter fragen sich insgeheim, ob die Vögel nicht lernen, um die Räder herumzufliegen. Naturschützer verkämpfen sich dagegen für die seltene Art. Für sie ist klar: Der Rotmilan gehört zu den geschützten Arten; wo er besonders häufig vorkommt, darf kein Windrad stehen.

Baden-Württemberg ist weit abgeschlagen bei der Windenergie: Nur 381 der bundesweit 23.401 Anlagen stehen im Südwesten. Das besagen Zahlen des Bundesverbands Windenergie. Im ersten Halbjahr 2013 wurde demnach keine einzige Anlage neu errichtet.

Der Grund: Die Kommunen sind verunsichert. Sie haben keine zuverlässigen Grundlagen, wo der Rotmilan besonders häufig vorkommt. Jüngster Paukenschlag, der die kommunalen Planer zusammenzucken ließ: Die landesweit beachtete Absage für einen geplanten Windpark in Horb (Kreis Freudenstadt).

Und wieder war es der Rotmilan: Erst im Lauf der Planungen hatte sich herauskristallisiert, dass das Waldgebiet »Großer Hau« im Ortsteil Rexingen in einem Dichtezentrum des Rotmilans liegt. Die Stadt beklagt, dass sie im Verfahren nie darauf hingewiesen wurde, dass bei der gezählten Vogelzahl eine Realisierung des Windparks an dieser Stelle tabu ist. Eine Kartierung müsse her, die besage, wo der Rotmilan und andere geschützte Arten besonders häufig vorkämen, lautet die Forderung der Stadt, unterstützt vom Städtetag. Außerdem warf die Stadt dem Regierungspräsidium Karlsruhe Intransparenz vor; man habe nicht offen vermittelt, welche Kriterien für eine Genehmigung erfüllt sein müssten. Die Stadtverwaltung erwog deshalb, Klage gegen die Absage zu erheben.

"Es wäre für uns hilfreich, nachschauen zu können, wo solche Verdichtungsgebiete liegen"

Oberbürgermeister Peter Rosenberger (CDU) wollte stellvertretend für die Kommunen im Land einen Präzedenzfall ausfechten, der für höhere Planungssicherheit bei Windkraftanlagen sorgt. Der Städtetag hat ihn in diesem Ansinnen unterstützt. Gestern aber entschied sich der Gemeinderat, nicht vor Gericht zu ziehen. Damit ist der Horber Fall endgültig erledigt. Man akzeptiere das Nein des RP und wolle die Gräben zwischen Windkraftgegnern und -befürwortern in der Stadt wieder zuschütten. Die Reaktionen: überrascht. Beim Städtetag: etwas enttäuscht.

"Solche Fälle wie der Horber sind nicht förderlich für Kommunen, die sich mit dem Windkraftausbau befassen. Die Kommunen fühlen sich alleingelassen", sagt Stefanie Hinz, stellvertretende Geschäftsführerin des Städtetags Baden-Württemberg. Sie hätte mit ihrem Verband eine Klage auch finanziell unterstützt, sagt sie unserer Zeitung. Nun aber stehe man vor der ungeklärten Situation, die zur Folge habe, »dass wir morgen das nächste Horb haben können«.

Was bleibt, ist die Unsicherheit bei den Kommunen, die Windkraftanlagen planen. Was sich Hinz wünscht: Ein politisches Signal der Landesregierung, dass man die Kommunen unterstützt. "Es wäre für uns hilfreich, in einem Artenschutzkartierung nachschauen zu können, wo solche Verdichtungsgebiete liegen." Die Veröffentlichung dieses Katasters fordere der Städtetag vom Land ein, es sei aber schon mehrfach verschoben worden. "Ein Rohentwurf ist für September angekündigt. Mit einer verlässlichen Datengrundlage rechnen wir nicht vor 2014", sagt Hinz. Der Hauptgeschäftsführer des Städtetags, Stefan Gläser, beklagte in einem Brief an Verkehrs- und Infrastruktur-Minister Winfried Hermann (Grüne), den Städten sei es ohne diese Kartierung als Grundlage "kaum möglich, die Energiewende zu unterstützen".

Hätte es eine zuverlässige und flächendeckende Kartierung bereits gegeben, als die Stadt Horb den Teilflächennutzungsplan "Windkraft" erstellt hat, hätte sie gewusst: Der "Große Hau" kommt als Standort vielleicht gar nicht in Frage. So aber hat sie mehrere Tausend Euro für Gutachten ausgegeben, um schließlich die Absage zu kassieren.

OB Rosenberger hatte nach dem Genehmigungs-Debakel in seiner eigenen Stadt seinen Amtskollegen in anderen Kommunen geraten, Windkraftpläne zunächst nicht weiterzuverfolgen. Sie sollten besser abwarten, bevor sie viel Geld in Gutachten und Planerstellung stecken. Das Regierungspräsidium lege bei der Genehmigung Kriterien an, die den Antragstellern nicht bekannt seien.

Fälle wie der aus Horb dürften alles andere als einen Windkraft-Boom im Land auslösen, und das, obwohl sich die Landesregierung ambitionierte Pläne beim Ausbau regenerativer Energien gesetzt hat.

Für die Großwetterlage in Sachen Windkraft im Land hätte eine Klage der Stadt Horb vor dem Verwaltungsgericht eine Aufklarung im wahrsten Wortsinne bedeutet. Sie hätte zuverlässig Klarheit gebracht, welche Kriterien das Regierungspräsidium einer Genehmigungsverfahren aktuell zu Grunde legt. Nun aber heißt es: abwarten. Abwarten, bis einige der momentan über 200 Flächennutzungspläne zur Windkraft genehmigt sind, und sich eine erkennbare Praxis einpendelt.

In Blumberg fielen wegen artenschutzrechtlicher Gründe vier von fünf Standorten flach

Horb gehörte zu den ersten Städten, die nach den Regeln des neuen Windenergieerlasses vom Mai dieses Jahres behandelt wurden. Hinzu kommt, dass das Regierungspräsidium die Gemengelage in Horb als außerordentlich komplex und schwierig darstellt, weil sowohl Artenschutz als auch Landschaftsschutz betroffen seien. Stadtplaner Peter Klein sagt: "Es kann sein, dass wir ein frühes Extrem waren."

OB Rosenbergers Warnung hat erste Kommunen auf die Bremse steigen lassen. Der Bürgermeister der Stadt Sulz (Kreis Rottweil), Gerd Hieber, sieht angesichts hoher Kosten für Gutachten und Planung eines solchen Teilflächennutzungsplans »Windkraft« keine Perspektive für die Realisierung in Gemeinderegie. Ein anderer Fall, der zeigt, wie schwierig es ist, Windenergie rentabel aufzubauen: In Blumberg (Schwarzwald-Baar-Kreis) fielen wegen artenschutzrechtlicher Gründe vier von fünf Windkraftstandorten flach. Nur der ertragsschwächste blieb übrig.

Bei mancher Kommune kommt die Frage auf, ob Windkraft überhaupt politisch gewollt sei. "Die Entscheidung in Horb darf man jetzt nicht verallgemeinern", sagt Roland Kress. Er ist Pressesprecher der MVV Energie AG aus Mannheim, die in Horb investieren wollte. Es wäre aus seiner Sicht der falsche Schluss, diese Ablehnung nun als Blockade der Windkraft in Baden-Württemberg zu interpretieren. Vielmehr ist das gesellschaftlich und politisch gewollte Ziel des Ausbaus der Windkraft im Land weiterhin zu erreichen: "Es war jedem bewusst, dass die Genehmigungsverfahren für Flächennutzungspläne und Regionalentwicklungspläne Zeit brauchen." MVV Energie betreibt im Moment noch kein Windrad in Baden-Württemberg, hat aber mehrere Projekte hierzulande in der Entwicklung.

Stefanie Hinz vom Städtetag gibt zu bedenken, dass der Horber Fall zwar ein "Leuchtturm in Sachen Artenschutz" gewesen sei, das aber noch lange nicht alles ist, was die Kommunen bei der Windkraft zu berücksichtigen hätten: "Hinzu kommt, dass der Landschaftsschutz berücksichtigt werden muss, außerdem Wetterradare, der Flugverkehr, auch der militärische, Einhaltung von Grenzwerten bei Geräusche- missionen." Dann folge die Bürgerbeteiligung. "Und man muss viel Überzeugungsarbeit vor Ort leisten", sagt sie. "Dass die Stadt auf der Zielgeraden durch den Artenschutz eingefangen wird, ist sehr ärgerlich. Viele Kommunen sagen: Windkraft? Das tun wir uns nicht an!"

Naturschützer Lambert Straub aus Horb ist die Diskussion zu einseitig. Horb sei aus seiner Sicht klar ein Dichtezentrum des Rotmilans. Der NABU-Mann fügt hinzu: "Vielleicht sollte man mal aufhören, den Vogel als Spielverderber zu sehen und stolz darauf sein, dass bei uns Brutpaare leben, von denen es weltweit nur noch 20.000 gibt."