Im Streit um die Gäubahn wehrt sich das Stuttgarter Rathaus gegen den Vorwurf der Geheimniskrämerei. Unter Verschluss ist aber ein Gutachten, das den Anliegergemeinden entgegenkommt.
Horb - Im Gäubahnstreit wird immer deutlicher, dass die Deutsche Bahn ihre Interessen durchsetzen will. Sie will künftig auf der Gäubahn zwischen Zürich in Stuttgart nur noch bis Vaihingen fahren, die Durchfahrt zum Hauptbahnhof fällt weg. Eine breite Basis von Gutachten, Willensbekundungen und Resolutionen scheint die Bahnplaner nicht zu beirren. Wer ist für und wer gegen die Bahn? Wer kocht seine eigene Suppe? Ein Vorfall im Stuttgarter Rathaus gibt zu denken.
Nach Recherchen der Stuttgarter Nachrichten und des SWR hält die Stadt Stuttgart ein Gutachten unter Verschluss, das die Position vieler Gäubahn-Anliegergemeinden stützt. Sie wollen den direkten Anschluss der Züge in die Landeshauptstadt behalten und lehnen den geplanten Umstieg in Vaihingen ab.
Der lange Hebel der Deutschen Bahn
Aber die Deutsche Bahn (DB) verweigert den Betrieb der innerstädtischen Strecke nach 2025 nicht nur zum Hauptbahnhof, sondern auch zu einem neuen Halt am Nordbahnhof. Sie will, dass alle Reisenden in Stuttgart-Vaihingen in S- oder Stadtbahnen umsteigen. Also will die DB im Sommer 2025 die Gäubahnschienen zwischen Haupt- und Nordbahnhof kappen – und die Gäubahn erst wieder mit dem Hauptbahnhof (tief) verbinden, wenn Gäubahnzüge zu einem Zeitpunkt deutlich nach 2025 über den Flughafen fahren. Die Gäubahn soll dann durch den geplanten Pfaffensteigtunnel ab Böblingen zum Flughafen fahren.
Wer will was?
Bemerkenswert: Winfried Hermann spricht sich gleichzeitig für den Erhalt der Panoramabahn und die Durchfahrt zum Hauptbahnhof aus. Ein Gutachten zum letzten Abschnitt der Gäubahn Richtung Hauptbahnhof Stuttgart, der sogenannten Panoramabahn, kommt zu dem eindeutigen Ergebnis: Diese Bahn zu erhalten ist sehr sinnvoll. Erstellt hat das Gutachten das Verkehrswissenschaftliche Institut Stuttgart (VWI) im Auftrag des grünen Landesverkehrsministers. Winfried Hermann kommentierte das Ergebnis: "Die Studie des VWI lässt keine Zweifel: Die Panoramabahn bietet mit einer leistungsstarken Anbindung auch langfristige Vorteile und Möglichkeiten als Ergänzung zum neuen Eisenbahnknoten Stuttgart. (...) Im Sinne der Verkehrswende, von Angebotsausweitungen und einer notwendigen Redundanz wäre es ein Riesenfehler, die Panoramabahn nicht weiter zu nutzen. Sie muss auch leistungsfähig angebunden werden."
Weiteres Argument für die Panoramabahn
Das erwähnte "interne" Gutachten spricht ebenfalls für die Panoramabahn, aber eher aus rechtlicher Sicht. Der Stadt Stuttgart liegt seit 19 Monaten dieses eigens beauftragte Gutachten der Berliner Kanzlei WMRC Rechtsanwälte vor. Die 62 Seiten hält das Büro von OB Frank Nopper (CDU) wie sein Vorgänger Fritz Kuhn (Grüne) unter Verschluss. Die Stuttgarter Nachrichten berichten: "Dabei würde das Geheimpapier die Position der Kommune im Streit mit der Bahn in allen wesentlichen Punkten stützen. Fazit des Gutachtens: Die DB AG hat Betriebspflicht. Sie muss auf der Panoramastrecke weiter Züge fahren lassen. Wenn die Bahn die Gäubahngleise sperrt und dann keine Ersatzverbindung zur Verfügung steht, sei ein Stilllegungsverfahren erforderlich. Die Berliner Juristen sehen die Aufsichtsbehörde Eisenbahn-Bundesamt in der Pflicht. Für die Kappung der Gleise 2025 könne es ein "Vollzugshindernis" geben.
Stuttgarter Geheimsache?
Aber warum hält Stuttgart diese Erkenntnis unter Verschluss? Spielt man das Spiel der DB? Die Stadtverwaltung wies gegenüber den Stuttgarter Nachrichten den Vorwurf der Geheimniskrämerei zurück. Das Gutachten habe der verwaltungsinternen Überprüfung der Rechtsauffassung zur weiteren Betriebspflicht für die Panoramastrecke zwischen Stuttgart-Vaihingen und einem möglichen Nordhalt im Bereich des Stuttgarter Nordbahnhofs gedient.
Die Verwaltung räumte aber ein, das Gutachten sei schon nach einem Gerichtsurteil 2020 in Auftrag gegeben worden. Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne) sagte, die Stadt sei laut Gutachten nicht zum Betrieb der Panoramastrecke verpflichtet: "Das Gutachten zeigt, dass eine weitere Betriebspflicht für die Panoramastrecke durch die Deutsche Bahn zumindest im Interimszeitraum besteht." Sprich: bis Gäubahnzüge in den Tiefbahnhof fahren.VCD stimmt in den Chor ein
Die Panoramastrecke, durchgängig bis zum Hauptbahnhof, käme auch vielen Stuttgarter Pendlern zugute – ohne die Gäubahn einzuschränken. Einen Hinweis darauf gibt eine Veröffentlichung des VCD, Kreisverband Stuttgart, der vorschlägt, die Panoramabahn für den Stuttgarter Nahverkehr zu nutzen. Die Gäubahn führt vom Hauptbahnhof über eine Schleife durch Stuttgart Nord und durch die oberen Teile des Stuttgarter Westens nach Vaihingen, wo sie das Stadtgebiet verlässt. Dieses erste Teilstück wird Panoramastrecke genannt.
Der VCD berichtet von einem Vorschlag, die Gäubahntrasse innerhalb von Stuttgart zu nutzen und 11 zusätzliche Haltestellen einzurichten. "Vom Hauptbahnhof nach Vaihingen entstehen dadurch für mehr als 32 000 Anwohner neue Möglichkeiten zur Nutzung des ÖPNV." Der VCD Stuttgart unterstützt, dass die Gäubahn weiter auf der Panoramabahn fährt. Aber: "Auf der Gäubahntrasse fahren derzeit nicht viele Züge. Es gibt also ausreichend große Zeitfenster für langsame Züge dazwischen."Und noch ein Gutachten
Ein Gutachten von ganz anderer Seite unterstützte schon vor Wochen die Forderungen der Kommunen nach Anschluss. Wie die Stuttgarter Nachrichten berichten, war eine "Eisenbahnrechtliche Bewertung der Abbindung der heutigen Gäubahnstrecke zwischen Stuttgart-Hauptbahnhof und Stuttgart-Vaihingen" von Umweltverbänden beauftragt.
In dem StN-Bericht heißt es: "Der Passauer Professor Urs Kramer kam zu dem Schluss, dass die Gäubahn ohne Stilllegungsentscheidung weiter bis zum Hauptbahnhof fahren müsse, die Kappung sei mit geringem Aufwand reversibel."
Fazit: Die Deutsche Bahn plant S21 offenbar nicht nur gegen die Interessen der Gäubahn-Anliegerkommunen, sondern auch gegen Tausende von Fahrgästen aus der Stadt Stuttgart. Mehr und mehr rückt die Frage ins Zentrum, ob in dieser Bahnplanung ein Gericht die Weichen neu stellen wird.