Christina Coskun, Alexandra Gunne, Margit Hauschild und Nicole Merz demonstrieren vor dem türkischen Generalkonsulat in Stuttgart, um auf den Fall des entführten dreijährigen Samis aufmerksam zu machen. Foto: Lück

Sami seit 130 Tagen mit Vater in der Türkei. Konsulat zeigt kalte Schulter. Angehörige demonstrieren.

Horb/Stuttgart - Wir schauen in die Gesichter von vier Frauen vor dem türkischen Generalkonsulat in Stuttgart: hoffnungsvoll, kämpferisch, bitterernst und entschlossen. Heute vor 130 Tagen wurde der dreijährige Sami von seinem Vater in die Türkei entführt. Und Mutter Christina Coskun, Schwester Alexandra Gunne, Großmutter Margit Hauschild und Freundin Nicole Merz demonstrieren dafür, dass er schnell wieder nach Deutschland kommt.  

Es ist bitterkalt vor dem türkischen Generalkonsulat in Stuttgart. Vor Weihnachten durfte Christina Coskun noch direkt vor der Vertretung demonstrieren, doch die Vertretung des Staates hat die vier Frauen jetzt auf die Straßenseite gegenüber abgeschoben. Samis Tante Alexandra Gunne aus Nordstetten: "Die Polizei hat uns erklärt, dass der Generalkonsul sich auf das Wiener Abkommen beruft. Wir seien seinem Konsulat zu nahe gekommen."

"Uns werden Steine in den Weg gelegt"

Auch die Mitarbeiter des Konsulats, die den Frauen vor Weihnachten noch Tee gegen die Kälte gebracht hatten, sind jetzt distanziert. Samis Mutter: "Die grüßen kaum noch. Ich bin extra von Horben bei Freiburg nach Stuttgart gefahren, um mir ein Vollmachtsformular für einen türkischen Rechtsanwalt zu holen. Doch man hat mich nicht vorgelassen. Man verwies mich auf die Internet-Anmeldung für einen Termin – doch das geht nur mit der ID-Nummer des türkischen Ausweises." Schwester Alexandra: "Als ob das alles nicht schon schlimm genug ist – da werden einem jetzt auch noch solche Steine in den Weg gelegt."

Dabei ist die Situation für Familie Hauschild schon schlimm genug: Christinas Ex-Mann Yusuf hatte sich vor Gericht die Erlaubnis erstritten, mit seinem Sohn Urlaub in der Türkei zu machen. Von diesem Urlaub ist Sami nicht zurückgekehrt. Der Flug von Vater und Sohn war am 16. September.

Im Oktober postete er das letzte Foto des Kleinen – mit der Großmutter an einer Strandpromenade. Seitdem kämpft Mutter Christina Coskun – "den Namen lege ich erst ab, wenn mein Sohn wieder bei mir ist. So haben wir über den Namen die Verbundenheit" – mit allen juristischen Mitteln dafür, dass sie ihren Sohn wiederbekommt. Im Dezember startete sie mit ihrer Schwester, vor dem Generalkonsulat zu demonstrieren.

Der Vater selbst sagte gegenüber dem Schwarzwälder Boten: "Ich kämpfe dafür, dass mein Kind in der Türkei bleibt."

Stellungnahme angefordert

Doch wie hat sich die Lage seitdem verändert? Samis Mutter: "Inzwischen hat das türkische Justizministerium das deutsche Justizministerium angefragt, um unsere Stellungnahme einzuholen. Das ist ein gutes Zeichen, dass das Verfahren über die Rückführung des kleinen Samis läuft."

Allerdings: Damit die juristischen Schritte möglichst schnell gehen, hat Mutter Christina inzwischen schon knapp 10.000 Euro investiert. Sie sagt: "Natürlich kann man die notwendigen Dokumente auch an das Ministerium schicken und dort übersetzen und weiterleiten lassen. Doch die Bearbeitung dauert Wochen oder Monate. Wenn man sich selbst einen Dolmetscher nimmt, geht alles viel schneller. Doch da kostet die Seite dann mal eben 150 Euro."

Ihre Mutter Margit: "Wir wollen Sami so schnell wie möglich wieder bei uns haben." Schwester Alexandra: "Auf unserer Seite im Internet und den sozialen Medien haben wir Kontakt mit einer Frau, deren Kind nach Tunesien entführt wurde. Die hat zwischenzeitlich schon 70.000 Euro Kosten gehabt und ihr Kind noch nicht zurück. Gestern haben wir einer Anwohnerin von unserer Geschichte erzählt. Die ist heute wiedergekommen und hat uns einen Ausriss aus den gelben Seiten mitgebracht. Von einem deutsch-türkischen Anwalt."

Juristischer Kampf wird noch aufwendiger

Mutter Christina: "Wir wollen prüfen lassen, ob das mit der doppelten Staatsbürgerschaft von Sami überhaupt rechtens ist. Mein Ex-Mann ist ohne mein Wissen hier ins Generalkonsulat gegangen und hat die doppelte Staatsbürgerschaft für Sami beantragt und bekommen. Wenn Sami die nicht hätte, wäre alles viel einfacher."

Heißt auch: der juristische Kampf um Sami dürfte noch aufwendiger werden. Und deshalb noch mehr Geld kosten. Deshalb hat die Familie Hauschild jetzt auch ein Spendenkonto eingerichtet: "Die Kosten laufen uns sonst davon", sagt die Mutter.

130 Tage ohne Sami. Entführt in die Türkei, wie die Plakate der vier Frauen vorm Generalkonsulat zeigen. Seelisch hart für Mutter, Großmutter und Tante. Alexandra Gunne: "Äußerlich lasse ich mir nichts anmerken. Aber wenn ich auf der Arbeit mal kurz Pause habe und allein bin, geht es mir schlecht." Samis Mutter: "Die Arbeit ist eine Kuppel für mich und lenkt mich ab. Als Weihnachten die Geschenke für Sami unterm Baum waren, kamen mir die Tränen. In den Jahreswechsel zu Silvester habe ich mich reingeweint. Bei der Krankenkasse habe ich einen Antrag auf Reha wegen der psychischen Belastung gestellt. Das wurde abgelehnt. Da kann man nur mit dem Kopf schütteln." Schwester Alexandra: "Wenn man so etwas nicht selbst erleben würde, würde man das nicht glauben."

Nordstetter unterstützen

Um die Familie Hauschild zu unterstützen, ist auch Nicole Merz mit dabei – sie ist aus Reutlingen angereist. "Ich bin eine gute Freundin von Alexandra, habe früher selbst in Horb gewohnt. Weil ich in der Jugendhilfe mit traumatisierten Kindern arbeitete, werde ich natürlich Christina unterstützen, wenn Sami wieder da ist. Das kriegen wir schon hin."

Auch der Nordstetter Kindergarten, in dem Sami knapp zwei Jahre war, steht immer noch hinter Familie Hauschild. "Die haben sogar eine Spendenbüchse aufgestellt und hängen unsere Plakate auf. Das tut unheimlich gut, dass die Nordstetter so hinter uns stehen", sagt Samis Mutter. Gut zwei Jahre hatte Christina hier gewohnt, um nach der Trennung von ihrem Ex-Mann wieder auf die Füße zu kommen, ehe sie im Sommer von Horb nach Horben bei Freiburg gezogen ist.

Trotz der kalten Schulter, die das türkische Generalkonsulat der Familie Hauschild bei ihren Demos zeigt – bis Ende der Woche wird weiter demonstriert. Und jeder Tag bringt neue Hoffnung.

Als der Schwarzwälder Bote ankommt, sind die vier Frauen gerade im Gespräch mit einer Angestellten aus der Nähe. Die nimmt gleich einen Flyer mit und sagt: "Das werde ich gleich weitergeben. Eine Bekannte vor mir erlebt dasselbe. Ihr Kind wurde vor vier Jahren nach Marokko entführt – und da passiert gar nichts. Den Flyer gebe ich ihr – sie hat eine große Reichweite über Instagram." Und das ist auch das Ziel von Familie Hauschild und ihren Unterstützern: Viel Echo, damit die Behörden bei der Rückholung des kleinen Sami schneller arbeiten. Normalerweise, so Christina Coskun, dauert das Verfahren drei bis fünf Jahre…

Info: Das sagt das Bundesjustizministerium

Christina Coskun kämpft bei den Behörden darum, so schnell wie möglich ihren in die Türkei entführten dreijährigen Sohn zurückzubekommen. Zuständig ist das Bundesjustizministerium. Ein Sprecher erklärt auf Anfrage unserer Zeitung: "Aus der Länderübersicht des Bundesamtes für Justiz für das Jahr 2018 ergibt sich, dass es 49 Verfahren mit Bezug zur Türkei gegeben hat." Zum Vergleich: Die Schweiz hatte in diesem Zeitraum 42 Verfahren.

Worum geht es juristisch in den Verfahren um entführte Kinder? "Die Bundesregierung sieht jeden Fall einer grenzüberschreitenden Kindesentführung als besonders wichtigen internationalen Fall an und ist bestrebt, in derartigen Fällen auf der Grundlage der geltenden Bestimmungen zu einer möglichst schnellen Lösung, das heißt im Regelfall einer Rückführung des Kindes in seinen Heimatstaat, zu kommen. Die zentrale rechtliche Grundlage für derartige Rückführungen bildet das Haager Kindesentführungsübereinkommen von 1980 (HKÜ), dem sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch die Türkei bereits seit Jahren angehören. Gemäß Artikel 1 HKÜ ist es das Ziel dieses Übereinkommens, ins Ausland verbrachte Kinder möglichst umgehend wieder in ihren Heimatstaat zurückzuführen. Antragstellende können sich in Fällen von Kindesentziehung mit der Bitte um Unterstützung an die jeweiligen zentralen Behörden, in Deutschland das Bundesamt für Justiz in Bonn, wenden."

Kämpft die Behörde schon um Sami? Der Sprecher: "Ja. Nach Auskunft aus diesem Amt ist der vom Einsender geschilderte Einzelfall dort bereits bekannt und wird bearbeitet. Das Bundesamt für Justiz wird sich im Rahmen seiner Aufgaben als zentrale Behörde nach dem Haager Abkommen (HKÜ) im Rahmen seiner Möglichkeiten weiterhin für die Rückführung des in die Türkei verbrachten Kindes einsetzen."

Wird der Fall in Deutschland gelöst? "Die konkrete Umsetzung des Haager Abkommens und inhaltliche Entscheidung über die Rückführung obliegt nach der Systematik  allein den einzelnen Vertragsstaaten und den dort zuständigen Gerichten." Klartext: Die Entscheidung, ob und wann Sami zu seiner Mutter zurückkommt, hängt an der türkischen Justiz.

Was kann die Bundesregierung tun, um Samis Mutter Christina zu helfen? "Auf die Abläufe und Entscheidungen in der Türkei kann das Bundesamt für Justiz keinen Einfluss nehmen. Ergeben sich insoweit Probleme, ist es aber in geeigneten Einzelfällen durchaus üblich, das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz oder das Auswärtige Amt einzuschalten."