Die beiden Angeklagten beim Prozessauftakt: Wird Mohammed O. (im Hintergrund) zur lebenslangen Haft bei besonderer Schwere der Schuld verurteilt? Die Anwälte von Iyad B. (verdeckt das Gesicht), Wido Fischer (im Vordergrund, links) und Kristian Frank (rechts) fordern eine Bewährungsstrafe für ihren Mandanten. Foto: Ganswind

Erste Plädoyers. Urteil im Januar. Bewährung oder lebenslang für Iyad B.?

Rottweil/Horb-Nordstetten - Das Urteil im Riecher-Prozess wird im neuen Jahr fallen – am 8. Januar. Mohammed O. droht lebenslang wegen Mordes bei besonderes schwerer Schuld. Bei seinem mutmaßlichen Komplizen Iyad B. plädiert Verteidiger Kristian Frank auf Bewährungsstrafe. Riechers ältere Schwester hält dagegen: "Wir fänden es ziemlich unerträglich, einem der Täter auf der Straße begegnen zu müssen."

Der eigentlich vorletzte Gerichtstag im Riecher-Mordprozess gegen den syrischen Flüchtling Mohammed O. und seinen Komplizen Iyad B. startet mit Bargeld.

Iyads Verteidiger Frank hat es in einer Zipper-Plastiktüte in der Hand. Verliest eine Erklärung seines Mandanten: "Ich möchte mich bei den Hinterbliebenen nochmals für den Schaden, den ich mit meinem Handeln verursacht habe, entschuldigen. Damit die Entschuldigung nicht ein bloßes Lippenbekenntnis ist, werde ich den Schaden wieder gut machen. Ich habe meine Verwandtschaft in Palästina kontaktiert. Hier sind 1501 Euro. Ich weiß, dass das Geld die Tat nicht ungeschehen macht. Ich hoffe jedoch, dass der Betrag einen großen Teil des Schadens wieder gut macht."

Beim Überfall auf Riecher will sich Iyad laut seinem Geständnis die Beute in Höhe von ungefähr 3000 Euro mit O. geteilt haben. Rechtsanwalt Frank geht mit der Geld-Tüte in Richtung der Schwestern. Die ältere Schwester sagt: "Es ist lächerlich, so den Schaden wieder gutzumachen." Der Anwalt ihrer Zwillingsschwester bittet um zehn Minuten Pause zur Besprechung. Dann sagt Rüdiger Kaulmann: "Wir werden das Geld annehmen. Und es einer gemeinnützigen Einrichtung spenden." Riechers ältere Schwester sagt: "Einer Einrichtung für Opfer von Gewalt."

Um 9.32 Uhr beendet Richter Karlheinz Münzer die Beweisaufnahme. Es folgen die Plädoyers von Staatsanwaltschaft, der Nebenkläger und der Verteidiger von Iyad. Sie sind eine Revue der Eindrücke aus 29 Verhandlungstagen. Es geht um Ermittlungspannen, Emotionen, aber auch die rechtliche Einordnung.

Ankläger fordert Maximum

Weil Mohammed O.s Verteidiger Alexander Hamburg und Kubick am heutigen Freitag ab 10 Uhr plädieren, waren sich gestern alle, die das Wort erhoben, einig: Mohammed O. soll eine lebenslange Freiheitsstrafe bekommen. Bei besonderer Schwere der Schuld. Oberstaatsanwalt Christoph Kalkschmid: "Damit ist eine – wie es im Volksmund heißt – Entlassung nach 15 Jahren bei guter Führung nicht möglich."

Laut der Anklage soll der syrische Flüchtling wegen räuberischer Erpressung mit Todesfolge in Tateinheit mit Mord verurteilt werden. Kalkschmid sieht zwei Mordmerkmale: Verdeckungsabsicht. Der Staatsanwalt: "O. hatte realisiert, dass ihn das Opfer mit der Tat in Verbindung bringen könnte. Weil Riecher sowohl mit O. als auch Iyad am Vortag im Auto gesessen hat. Deshalb entschloss er sich, das Opfer überraschend anzugreifen."

Heimtücke. "Wenn eine Person einen anderen Menschen, der nichts von seiner Anwesenheit weiß, von hinten packt, zu Boden bringt und erwürgt – wenn das kein heimtückisches Vorgehen ist, weiß ich nicht, was das sonst sein soll."

Dazu kommt, so der Staatsanwalt, dass sich das minutenlange Erwürgen in Richtung einer "grausamen Tötung" bewegt.

Motiv: Geldgier? Kalkschmid: "O. hatte finanzielle Probleme. Es gibt jede Menge Zeugen, die das bestätigen. Es stehen auch 10 000 Euro für einen Goldkauf im Raum. Ein weiteres Motiv wäre, dieses Geld nicht zurückzugeben. Es gab viele Spekulationen, ob es noch anderen Motiv gab. Das Opfer habe der Ehefrau des Angeklagten schöne Augen gemacht. Das ist alles Spekulation und gehört in den Bereich der Fantasie. Der Prozess hat dazu nichts Greifbares ergeben."

Der Ankläger sagt auch etwas Grundsätzliches zu den beiden Angeklagten: "O. gelang es schnell, in Deutschland Fuß zu fassen. Was O. in wenigen Jahren erreicht hat, davon können viele Geflüchtete nur träumen! Trotzdem war er nicht zufrieden. Das Konto war ständig überzogen. Als ihm der ›Friseur‹ Iyad vermitteltet hatte und sich alle drei in Horb getroffen hatten, war das für Mohammed O. eine einmalige Gelegenheit, aus seiner desolaten Situation herauszukommen."

Iyad dagegen habe es nicht geschafft. Er hatte nur 320 Euro im Monat, lebte zuletzt in der Obdachlosenunterkunft. Seine Ehe sei zu Bruch gegangen.

Das blutige Hemd

Auch Indizien wie die WLAN-Daten und Beweise wie das blutige Hemd im Baumstumpf im Mietshaus von O. würden für die Schuld von O. sprechen. Kalkschmid: "Das Hemd ist ein starkes Beweismittel. Es war offensichtlich gut versteckt." O. legte großen Wert darauf, beim Auffinden des Leichnams Zeugen dabei gehabt zu haben. Der Staatsanwalt: "O. legte großen Wert darauf, dass Riechers Mieterin beim Notarzt sagt, dass er die Leiche am Hals berührt hat."

O.s Gewaltexzess

Staatsanwalt hält die Aussagen fast alle für glaubhaft. Viele Details würden stimmen. Kalkschmid: "Töten wollte er das Opfer nicht. Davon bin ich überzeugt." Dafür spreche unter anderem das Wasserglas, was Iyad Riecher nach seinem Angriff gegen Riecher gebracht hat: "Warum hätte er ihm ein Glas Waser bringen sollen? Warum hat er ihn nicht gleich umgebracht?"

Nachvollziehen könne er aber nicht, dass Iyad B. – als O. Riecher von hinten angegangen sei, auf ihm kniete und ihn erwürgte – nicht eingriff. Der Staatsanwalt spricht hier von einem "Exzess" des syrischen Flüchtlings.

Der Oberstaatsanwalt erklärt: "Das ist eine reine Schutzbehauptung. Bei allem anderen während der Tat ist der Angeklagte B. zielgerichtet vorgegangen." Deshalb fordert er für Iyad eine Strafe von zehn Jahren und sechs Monaten wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Totschlag durch Unterlassung.

Nebenkläger fordert mehr Doch was fordern die Nebenkläger als Strafe für den Komplizen von O.? Knut Rössler, Anwalt der älteren Schwester, fordert dasselbe wie die Staatsanwaltschaft. Ebenso Hans Regenbogen, Anwalt von Riechers Schwester, die in Horb wohnt.

Rüdiger Kaulmann, Anwalt der Zwillingsschwester, fordert dagegen auch lebenslänglich für den Komplizen des syrischen Flüchtlings. Er sagt: "Meine These ist, wenn Iyad da unmaskiert reinläuft, ist es klar, dass Riecher sterben muss. 18.45 Uhr hat O. Iyad zur Wohnung des Opfers gebracht. Nach 18.54 Uhr loggt sich sein Handy daheim in der Ritterschaftstraße ein. Dann gibt es einen Anruf von Iyad. Eine Verbindung von 43 Sekunden. Ob gesprochen wurde, lässt sich nicht beweisen. Ich halte es jedenfalls für weltfremd, dass Iyad O. während des Raubes anruft, um ihm zu sagen, das alles gut läuft. Ich bin der festen Überzeugung, das Iyad von Riecher auf O. angesprochen wurde. Die Verbindung zwischen den beiden ist aufgeflogen. Die Reaktion kommt prompt. Zehn Sekunden nach diesem Anruf verlässt O. den heimischen Routerbereich. Und kehrt zurück. Sein Handy loggt sich um 19.03 Uhr im Haus des Opfers ein. Iyad muss klar sein: Spätestens wenn er O. informiert, muss klar sein, dass Riecher sterben muss. Deshalb ist von sukzessiver Mittäterschaft auszugehen!"

Trophäe der Überheblichkeit

Rechtsanwalt Kaulmann ist auch davon überzeugt, dass der syrischen Flüchtling danach noch einmal in das Haus des Opfers – ohne seinen Komplizen – zurückgekehrt ist: "Er hat sicherlich noch einmal nach Beute gesucht. Es ist völlig unklar, wie viel er gefunden hat. Das passt auch zum Poltern, welches die Obermieterin des Opfers später gehört hat."

Das blutige Hemd des Opfers, welches O. versteckt hatte, sieht Kaulmann, der sonst Strafverteidiger ist, als "mögliche Trophäe der Überheblichkeit von O. Und als Erpressungsmittel gegen Iyad, weil er wusste, dass am Hemd Spuren von seinem Komplizen sind." Auch der Leichenfund am nächsten Tag mit dem traumatisierten Familienvater sei ein Akt der "Show" und der "Überheblichkeit und Übertreibung" von O. gewesen.

Kaulmann geht deshalb auch bei Iyad von einer "Verdeckungsabsicht" aus: "Deshalb sollten beide lebenslang bekommen." Allerdings solle die Schwurgerichtskammer auch rechtlich klären, ob Iyad durch sein frühes Geständnis des "zentralen Tathergangs" bei der Polizei ohne Verteidiger nicht auch "Aufklärungshilfe" geleistet habe. Das könnte dann strafmildernd wirken. Kaulmann: "Dann wären 10 bis 15 Jahre angemessen."

"Angsteinflößender Bär"

Wido Fischer, Verteidiger des staatenlosen Palästinensers, spricht von "recht wilden Vermutungen des Kollegen Kaulmann". Er betont, dass der leitende Ermittler vor Gericht gesagt hatte, dass die Annahmen der Polizei zum Tathergang ausschließlich auf der Aussage von Iyad beruhen.

Fischer: "Iyad hat von Anfang an die Wahrheit erzählt. Was O. gemacht hat, nennt auch der Staatsanwalt einen Exzess. Und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem die Situation aus Sicht von Iyad unter Kontrolle war. Das Opfer war bereit, ihm mehr Geld zu geben. Warum hätte Iyad den Angriff mittragen sollen? Aus seiner Sicht hat O. verhindert, dass größere Beute gemacht wurde."

Iyads Verteidiger Fischer betont, dass sein Mandant unter Drogeneinfluss das Geschehen nur verzögert mitbekommen habe. Sagt auch: "Er war mit der Situation überfordert. Er hatte auch Angst vor dem damals massigen und kräftigen O. Die Fotos aus den ersten Vernehmungen zeigen einen Angeklagten, der mich an einen Bären erinnert!" Deshalb bleibe für ihn lediglich die räuberische Erpressung in Mittäterschaft übrig. "Auch wenn das für manche frustrierend sein mag."

Fischer fordert deshalb eine Freiheitsstraße nicht über zwei Jahren und den Haftbefehl aufzuheben. Der Strafverteidiger betont, dass die Angaben von Iyad zurAufklärung der schweren Straftat geführt habe: "Er hat gestanden. Hat Reue gezeigt. Und Wiedergutmachung versucht."

Kronzeuge Iyad?

Iyads zweiter Verteidiger Kristian Frank hebt besonders auf die Kooperation des staatenlosen Palästinensers ab: "Sein Wunsch war, seine Vernehmung und die Erklärung in die Verhandlung einzuführen. Weil er wollte, dass die Wahrheit ans Licht kommt."

Normalerweise, so Frank, hätte er als Verteidiger dagegen Widerspruch eingelegt. Rechtlich nimmt er ausführlich die Vorwürfe des Raubes mit Todesfolge oder Unterlassung auseinander. Betont die Aufklärungshilfe von Iyad: "Was hätte die Staatsanwaltschaft in die Anklage über den Tathergang hineinschreiben können ohne seine Angaben, was in der Wohnung passiert ist? Diese Angaben haben geholfen, den Mordvorwurf zu festigen und den Täter zu überführen. Wenn das keine wesentliche Aufklärungshilfe ist, können wir den einschlägigen Paragrafen ganz abschaffen!"

Frank weiter: "Wo ist die Kausalität zwischen der räuberischen Erpressung und dem Exzess des O.? Deshalb entfällt die Tötung durch Unterlassung. Die Vorstellung meines Mandanten war: Er geht rein, bekommt mittels Gewaltandrohung das Geld und geht wieder raus."

Der staatenlose Palästinenser leide unter der Haft, habe nach dem ersten Gespräch mit seiner Mutter nach neun Monaten geweint. Frank: "Deshalb sollte die Freiheitsstrafe zwei Jahre nicht überschreiten. Und zur Bewährung ausgesetzt werden. Er kann zu seiner Ehefrau zurückkehren und ist sichtlich beeindruckt durch die U-Haft!"

Am heutigen Freitag geht es den Plädoyers der Verteidiger von O. weiter. Dann hat die Schwurgerichtskammer zweieinhalb Wochen Zeit, um über das Urteil nachzudenken.

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